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Passanten schauen zum Genbaku-Dom im Hiroshima Peace Memorial Park.

© dpa/Michael Kappeler

G7-Gipfel in Hiroshima: Warum die Stadt des Friedens um ihren Ruf fürchtet

Einst wichtiger Militärstützpunkt, inszeniert sich Hiroshima seit der Zerstörung durch die Atombombe 1945 heute als Friedensstadt. Ein Blick auf Mythos und Wirklichkeit. 

In der Innenstadt von Hiroshima tummeln sich an einem ganz normalen Tag Touristen aus aller Welt. Sie spazieren durch den Friedenspark, nahe dem einstigen Ground Zero, der von Verweisen auf die Geschichte nur so wimmelt: Hier eine Skulptur mit den Namen der Opfer des Atombombenangriffs 1945.

Dort ein Brunnen, der an diejenigen erinnern soll, die nach der Katastrophe auf der Suche nach Wasser starben. Am Horizont ragt der „Atomic Dome“ hervor, jene Ruine mit Kuppelturm, in der einst lokale Produkte gehandelt wurden, die heute aber für etwas ganz Anderes bekannt ist.

Der „Atomic Dome“ ist das einzige Gebäude, das nach der Bombe über Hiroshima zumindest in ihrer Grundstruktur stehenblieb. Um kurz nach acht Uhr morgens des 6. August 1945 detonierte eine von den USA gebaute Atombombe 600 Meter oberhalb der Dächer der Stadt.

Der wichtigste Gipfel der japanischen Geschichte

Mit dem Atompilz entstand ein Sonnen gleicher Feuerball. In den Tagen nach diesem ersten Atombombenangriff der Geschichte starben bis zu 65.000 Menschen, bald verdoppelte sich die Opferzahl. Als drei Tage später auch Nagasaki mit einer Bombe zerstört wurde, kapitulierte Japan. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Und in Hiroshima schwor man sich: Man würde sich fortan für Frieden einsetzen. Und immer gegen Krieg.

Der japanische Premierminister Fumio Kishida
Der japanische Premierminister Fumio Kishida

© action press/KYODO NEWS

Diese Botschaft könnte es auch geben, wenn Hiroshima in dieser Woche die wichtigsten Vertreter der führenden Industrienationen empfängt. Die Regierungschefs der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas und Italiens sowie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen reisen vom 19. bis zum 23. Mai zum G7-Gipfel an.

Gerade gegenüber Russland, das im Februar 2022 die Ukraine angriff und zuletzt mit der Nutzung von Atomwaffen drohte, werden sie ihre Verachtung betonen. Und für Gruppenbilder, die Friedensbotschaften in die Welt senden, könnte sich keine Stadt besser eignen als Hiroshima.

Aber ausschließlich um Pazifismus wird es hier kaum gehen. „Dieser G7-Gipfel wird der wichtigste in der japanischen Geschichte“, erklärte Premierminister Fumio Kishida vor Beginn des Treffens.

Japan nicht nur als Wirtschafts- sondern auch als Militärmacht

Der konservative Politiker, der auch Atombombenopfer zu seinen Familienmitgliedern zählt, führt seit seinem Amtsantritt im Oktober 2021 die Agenda seines Vorgängers Shinzo Abe fort.

Das seit der Nachkriegszeit pazifistisch eingestellte Japan soll nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Militärmacht sein. Gerade gegenüber dem Rivalen China will sich Japan, flankiert von potenten Freunden, als Asiens Hegemon zeigen.

Viele Japaner sind besorgt, dass der G7 Gipfel zur Aufrüstung, nicht zur Friedensbewahrung gilt.
Viele Japaner sind besorgt, dass der G7 Gipfel zur Aufrüstung, nicht zur Friedensbewahrung gilt.

© AFP/PHILIP FONG

Und in Hiroshima macht diese Aussicht nervös. Wie kaum eine andere Stadt der Welt ist sie in die Friedensbewegung integriert. Diverse pazifistische Werke der Popkultur – von Manga über Musik bis Film – haben diese westjapanische Stadt als ihren Schauplatz.

Von hier wird auch die Initiative „Mayors for Peace“ gemanagt, mit der sich über 8.200 Bürgermeister rund um die Welt für nukleare Abrüstung einsetzen. „Wir drängen die Anführer der G7 dazu, sich für internationalen Austausch einzusetzen und auf Abrüstung zu drängen“, forderten sie letzte Woche.

Wir drängen die Anführer der G7 dazu, sich für internationalen Austausch einzusetzen und auf Abrüstung zu drängen.

Die Initiative „Mayors for Peace

Nicht nur die Vertreter der Mayors for Peace machen sich Sorgen, dass beim G7-Gipfel in Hiroshima Friedensbotschaften zu Lippenbekenntnissen verkommen, stattdessen eine Aufrüstungsspirale beschleunigt wird. Zwar hat Fumio Kishida angekündigt, er wolle den G7-Gipfel dazu nutzen, für eine Welt ohne Atomwaffen zu werben.

Angst vor Geschichtsvergessenheit

Dies in Hiroshima nicht zu tun, käme allerdings auch Geschichtsvergessenheit gleich. Interessanter hierbei: Angesichts der angespannten geopolitischen Lage wird Japan von der Atommacht USA kein Statement für nukleare Abrüstung erwarten.

Für viele Menschen und Politiker in Hiroshima wird der Gipfel wohl schon deshalb zu einer Enttäuschung. Man merkt es auch in einer der führenden Hochschulen der Stadt. Neun Kilometer nordwestlich vom einstigen Ground Zero erklärt Yasuhiro Inoue, Professor für Medienwissenschaften an der Hiroshima City University, seinen Studierenden die Geschichte des geheimen Manhattan Project, mit dem die USA einst die Bombe bauten.

8.200
Bürgermeister weltweit setzen sich unter „Mayor for Peace“ für nukleare Abrüstung ein.

„Zuerst sollte Deutschland getroffen werden“, sagt Inoue vor aufmerksamen Studenten. „Aber im Mai 1943 wurde Japan zum Ziel erklärt.“

Rhetorik, die nicht zu einer Friedensstatt passt

Eine der Studentinnen macht besonders viele Notizen. Immer wieder schaut sie von ihrem Schreibblock an den Projektor, der eine Zeitreihe mit den Meilensteinen auf dem Weg zur Atombombe zeigt.

„Ich wünsche mir, dass es beim G7-Gipfel vor allem um Frieden geht“, sagt die 19-jährige Nonoka. „Nur dann ergibt es doch Sinn, dieses Treffen in Hiroshima zu veranstalten.“ Nonoka fürchtet um den Ruf ihrer Heimatstadt: „Wir verlieren doch unsere Glaubwürdigkeit als Ort des Friedens, wenn die G7-Staaten hier gegen China und Russland mit Aufrüstung drohen.“

Es wäre eine Rhetorik, die nicht so recht zu einer Friedensstadt passen würde. Aber, gibt Yasuhiro Inoue zu Bedenken, zu Hiroshima passe sie vielleicht dennoch.

Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit als Ort des Friedens, wenn die G7-Staaten hier gegen China und Russland mit Aufrüstung drohen.

Nonoka, Studentin in Japan.

Denn die Stadt von heute 1,1 Millionen Menschen pflege von sich ohnehin ein Image, das etwas pazifistischer ist als die Wahrheit war. Hiroshima war ein wichtiger Stützpunkt der japanischen Armee für den Krieg. Auch hier haben viele Japanerinnen und Japaner den Angriffskrieg ihres Staates bis zum Ende unterstützt.

Allerdings erfährt man hiervon wenig, wenn man nicht ausdrücklich nachfragt. Auch das Friedensmuseum, der wichtigste Anziehungspunkt Hiroshimas für Touristen aus dem Ausland, erzählt von japanischen Aggressionen im Krieg fast nichts.

1,1
Millionen Menschen leben heute in Hiroshima.

Die Hauptausstellung beginnt dort mit einer Erzählung vom schönen Wetter, mit dem der 6. August 1945 begann. Und dann fiel, sprichwörtlich aus heiterem Himmel, eine Atombombe.

Über den grausamen Akt des damaligen japanischen Gegners USA ist dort viel erzählt. Über die japanischen Grausamkeiten, die die Vorgeschichte bildeten, erfahren Besuchende wenig.

Zynische Stimmen sagen über Hiroshima dieser Tage, dass ein G7-Gipfel, der pazifistische Beteuerungen mit Verständigungen zur Aufrüstung vermischt, vielleicht sogar recht gut zur westjapanischen Stadt passen.

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