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Nach einer Woche Feuerpause hat Israel die Kampfhandlungen im Gazastreifen wieder aufgenommen.

© dpa/Ilia Yefimovich

Feuerpause in Gaza beendet: Wie geht es weiter im Krieg zwischen Israel und der Hamas?

Nachdem aus Gaza erneut Raketen fliegen, nimmt Israel den Kampf gegen die Islamisten wieder auf und wird wohl in den Süden vorrücken. Wie die nächsten Tage und Wochen aussehen könnten.

Die Feuerpause ist vorbei. Israels Armee hat eigenen Angaben zufolge die Kämpfe gegen die Hamas im Gazastreifen wieder aufgenommen. Am Freitagmorgen endete die einwöchige Kampfpause ohne eine weitere Verlängerung. In der Zeit waren 105 Geiseln gegen 240 palästinensische Häftlinge ausgetauscht worden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.


Warum endete die Feuerpause?

Beide Seiten werfen sich einen Bruch der Abmachungen vor. Israel sei mit Raketen beschossen worden, erklärte die Armee. Hamas sei zudem der Verpflichtung, alle weiblichen Geiseln freizulassen, nicht nachgekommen, teilte das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit.

Hamas wiederum erklärte laut dem Fernsehsender Al Dschasira, man habe die Übergabe der drei Leichen der Bibas-Familie sowie die Freilassung des Familienvaters angeboten. Israel habe sich die ganze Nacht über geweigert, die Angebote mit dem Ziel der Freilassung weiterer Geiseln anzunehmen.

Das Ende der Feuerpause kommt Experten zufolge kaum überraschend. „Die vergangenen Tage haben in Israel eine Illusion von Normalität genährt“, sagt Simon Wolfgang Fuchs von der Hebräischen Universität in Jerusalem. „Es war aber klar, dass die Waffenruhe irgendwann zu Ende gehen wird.“

Netanjahu habe kein politisches Interesse an einer dauerhaften Feuerpause oder einer Freilassung aller palästinensischen Häftlinge. „Und er hat immer deutlich gemacht, dass Israel bis zum Ende kämpfen wird“, erläutert der Professor für Nahoststudien.

Diese Haltung sei auch Netanjahus Kampf um sein persönliches politisches Überleben geschuldet: „Eine Einstellung der Kampfhandlungen, ohne Hamas als Regierung und Terrormiliz zerstört zu haben, würde unmittelbar zur Implosion seiner Koalition führen.“

Israels Premier Netanjahu hält an seinem Ziel fest, die Hamas zu zerstören.
Israels Premier Netanjahu hält an seinem Ziel fest, die Hamas zu zerstören.

© dpa/Abir Sultan


Wie wird Israel jetzt militärisch vorgehen?

„Der Krieg muss jetzt auf den Süden des Gazastreifens ausgeweitet werden, wo das Führungspersonal der Islamistengruppe, die verbleibenden Geiseln und ein erheblicher Teil des noch intakten militärischen Potenzials der Hamas vermutet wird“, sagt Eckhard Woertz vom Giga-Institut für Nahoststudien.

Die vergangenen Tage haben in Israel eine Illusion von Normalität genährt.

Simon Wolfgang Fuchs von der Hebräischen Universität in Jerusalem

Denn am Ziel der politischen und militärischen Führung in Jerusalem habe sich nichts Grundsätzliches verändert: Die Hamas solle militärisch entscheidend geschwächt, die Führung der Terrororganisation vernichtet und die Geiseln möglichst befreit werden.


Wird Israels Militäreinsatz im Süden des Gazastreifens weniger massiv ausfallen als im Norden?

Sollte Israel den Krieg wieder aufnehmen und in den südlichen Gazastreifen vorrücken, sei es „zwingend erforderlich“, dass das humanitäre Völkerrecht beachtet und die Regeln der Kriegsführung eingehalten werden, sagte Blinken.

Die hohe Zahl der Todesopfer in der Zivilbevölkerung und die Vertreibung in dem Ausmaß, wie man sie im nördlichen Gazastreifen gesehen habe, dürfe sich im Süden nicht wiederholen.

Die Aufforderungen der USA nach „Mäßigung“ und „Präzision“ sind aufgrund der Bevölkerungsdichte allerdings schwer umzusetzen. „Wir werden in den nächsten Tagen zweifellos wieder Bilder großer Zerstörung und unermesslichen Leids sehen“, vermutet Experte Fuchs.

Das liegt auch daran, dass Hunderttausende Bewohner in den vergangenen Wochen aus dem Norden in den Süden des Gazastreifens geflohen sind. „Wo sollten die Zivilisten hingehen, falls es zu ähnlichen Bombardements wie während der Teilbesetzung des nördlichen Küstenstreifens kommt?“, fragt Eckart Woertz vom Giga-Institut für Nahoststudien.

Wohl zum besseren Schutz der Zivilbevölkerung hat das israelische Militär eine Karte Gazas erstellt, auf der das Gebiet in Hunderte kleine Blöcke eingeteilt ist, die jeweils eine Zahl tragen.

Diese Karte ist per QR-Code zugänglich. Nach Angaben der Armee soll sie den Zivilisten helfen, „sich zu orientieren und die Anweisungen zu verstehen und zur eigenen Sicherheit bestimmte Orte zu verlassen, wenn nötig“.

Wo sollten die Zivilisten hingehen, falls es zu ähnlichen Bombardements wie während der Teilbesetzung des nördlichen Küstenstreifens kommt?

Eckart Woertz vom Giga-Institut für Nahoststudien

Am Freitag wurden die Bewohner von vier Bezirken der Stadt Khan Younis im Süden allerdings mit Flugblättern nur sehr allgemein aufgefordert, sich aus der „gefährlichen Kampfzone“ nach Rafah an der Grenze zu Ägypten in Sicherheit zu bringen.


Was bedeutet das Ende der Feuerpause für die humanitäre Lage?

Internationale Hilfsorganisationen verurteilen die Wiederaufnahme der Kämpfe scharf. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen befürchtet „ein neues Blutbad“. Die Fortsetzung von Israels Offensive bedeute, dass „Menschen, die gerade in ihre Häuser zurückgekehrt sind, wieder fliehen müssen“, sagt Florian Westphal von der Kinderhilfsorganisation Save the Children dem Tagesspiegel.

Die Lage in den letzten drei Krankenhäusern Gazas ist katastrophal. Am Freitag wurden bis zum frühen Nachmittag 109 Palästinenser getötet – wie das Hamas-geführte Gesundheitsministerium mitteilte.
Die Lage in den letzten drei Krankenhäusern Gazas ist katastrophal. Am Freitag wurden bis zum frühen Nachmittag 109 Palästinenser getötet – wie das Hamas-geführte Gesundheitsministerium mitteilte.

© AFP/MOHAMMED ABED

Der abgeriegelte Küstenstreifen ist laut der Hilfsorganisation Care „im Moment der tödlichste Ort der Welt für Kinder“. Zwar ermöglichte die Feuerpause, die Menschen mit dringend benötigter humanitärer Hilfe zu unterstützen. Doch die gelieferte Unterstützung sei im Vergleich zum Bedarf „völlig unzureichend“ gewesen, sagt Hiba Tibi, Care-Länderdirektorin für Gaza und das Westjordanland.

Seit Beginn der Feuerpause sind dem Palästinensischen Roten Halbmond zufolge bis Mittwoch 1132 Lastwagen mit Hilfslieferungen angekommen. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) erreichte eigenen Angaben zufolge 120.000 Menschen im Küstenstreifen.

1132
Lastwagen mit Hilfslieferungen sind bis Mittwoch im Gazastreifen angekommen.

„Die Hilfsgüter beschränken sich auf absolut überlebensnotwendige Dinge wie Mehl, Konserven, Energieriegel und Wasser“, sagt Martin Rentsch, Sprecher des WFP in Berlin. „Diese kleinen Lichtblicke dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Hilfe immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein ist.“

Was wir wirklich brauchen, ist eine dauerhafte Waffenruhe.

Florian Westphal, Save the Children

Zwar sei jede Hilfe wichtig, die die Notleidenden in Gaza erreicht. „Aber diese wenigen Tage waren bei Weitem nicht ausreichend, um das enorme Leid der Menschen zu beenden“, fügt auch Florian Westphal hinzu. „Was wir wirklich brauchen, ist eine dauerhafte Waffenruhe.“  


Was wird aus der Feuerpause und dem Geiseldeal zwischen der Hamas und Israel?

Katar will sich bemühen, dass ein neuer Anlauf für eine Feuerpause zwischen der Hamas und Israel gemacht wird. In einer Erklärung des Emirats vom Freitag hieß es: „Das Außenministerium bestätigt, dass die Verhandlungen zwischen der palästinensischen und der israelischen Seite mit dem Ziel der Rückkehr zur Feuerpause fortgesetzt werden.“

Katar und sein Emir sind wichtige Vermittler zwischen Israel und der Hamas.
Katar und sein Emir sind wichtige Vermittler zwischen Israel und der Hamas.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Ob die Gespräche Erfolg haben werden, lässt sich Experten zufolge kaum verlässlich einschätzen. Simon Wolfgang Fuchs ist zurückhaltend bis skeptisch. Es sei fraglich, ob nach der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen noch eine Chance für die Abmachungen besteht, sagt der Professor für Nahoststudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Eckart Woertz, Direktor des Giga-Instituts für Nahoststudien in Hamburg, verweist darauf, dass es unter den Geiseln noch immer Frauen und Kinder gebe. „Sie hätten am ehesten eine Chance, in zukünftigen Übereinkünften freizukommen. Bei Soldatinnen und Soldaten ist dies schwieriger.“


Hat Israel Hinweise auf den Angriff vom 7. Oktober ignoriert?

Laut einem Bericht der „New York Times“ (NYT) lagen Israel mehr als ein Jahr vor dem 7. Oktober Hinweise auf einen geplanten Großangriff der islamistischen Hamas vor. Demnach gab es einen umfassenden Austausch israelischer Behörden zu einem 40 Seiten langen Dokument mit dem Codenamen „Jericho-Mauer“, das einen Gefechtsplan der Hamas skizzierte.

Dieser soll bis ins Detail dem Überfall geähnelt haben, den Hamas-Kämpfer dann Anfang Oktober aus dem Gazastreifen heraus ausführten. Das Szenario sei von israelischen Militär- und Geheimdienstmitarbeitern als zu anspruchsvoll und schwierig in der Ausführung abgetan worden, berichtete die US-Zeitung am Donnerstag.

So soll bekannt gewesen sein, dass Hamas mit Drohnen die israelischen Überwachungskameras ausschalten wollte, um dann in Massen nach Israel einzudringen – zu Fuß, auf Motorrädern oder auch mithilfe von Paraglidern. Die Warnungen von Analystinnen der Armee wurden von Vorgesetzten als „Imagination“ abgetan, wie aus E-Mails, die der NYT vorliegen, hervorgeht.

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