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Bei einer Demonstration in den USA geraten Abtreibungsgegner:innen und Befürworter:innen aneinander.

© dpa/AP/Amanda Andrade-Rhoades

Empört, bewegt, polarisiert: Wie die Politik in Europa und den USA das Thema Abtreibung für sich nutzt

In den USA spaltet das Thema Parteien und Bevölkerung. In Spanien tobt im Superwahljahr eine Debatte um Abtreibungsrechte. In Bayern bezieht die CSU vor der Landtagswahl klar Position.

Eine Frau, die ihre Schwangerschaft abbrechen möchte, soll sich die Herztöne des ungeborenen Kindes anhören. So wünscht es die rechtspopulistische Vox-Partei in der spanischen Region Kastilien und León. Sie will damit Schwangere von einer Abtreibung abbringen.

Eine entsprechende Regelverschärfung kündigte der regionale Vizeregierungschef Juan García-Gallardo Anfang des Jahres an. Demnach sollen Ärzt:innen dazu verpflichtet werden, Patientinnen vor ihrer Entscheidung nicht nur nahezulegen, die Herztöne anzuhören, sondern auch ein 4D-Ultraschallbild anzuschauen oder sich psychologisch beraten zu lassen.

Der Vorstoß der Konservativen löste in ganz Spanien Empörung aus. Denn er richtet sich ganz klar gegen den liberalen Kurs der Zentralregierung, die den Zugang zu Abtreibungen weiter erleichtern möchte. Das Vorhaben in Kastilien und León verstoße gegen die Verfassung, hieß es. Die Regierung will juristisch dagegen vorgehen.

Juan García-Gallardo, Vize-Regierungschef von Kastilien und León, möchte die Regeln für Abtreibungen verschärfen.

© dpa/Europa Press

Die Debatte um Abtreibungen kocht zu einem strategisch wichtigen Zeitpunkt hoch: Spanien befindet sich in einem Superwahljahr. Im ganzen Land finden Kommunalwahlen statt, in den meisten autonomen Gebieten Regionalwahlen und Ende des Jahres landesweit Parlamentswahlen, bei denen Regierungschef Pedro Sánchez um seine Wiederwahl kämpft. Die Parteien bringen sich entsprechend in Stellung.

„Abtreibung ist im Wahlkampf angekommen“, schrieben spanische Medien. Das Thema hat besonders Potenzial, mögliche Wähler zu mobilisieren. Denn es geht dabei um moralische Grundsatzfragen und persönliche Überzeugungen.

„Es gibt ein strategisches Interesse der Parteien, polarisierende Fragen auf die Agenda zu nehmen“, sagt Politikwissenschaftler Marc Debus, der sich unter anderem mit Parteienwettbewerb und Wahlforschung beschäftigt. Man achte auf Stimmungsumschwünge in der öffentlichen Debatte und reagiere darauf, um sie für sich zu nutzen.

Die Parteien hätten dann die Aufgabe, sich dazu zu positionieren. „Das kann auch in Deutschland passieren“, meint der Professor an der Universität Mannheim.

In Bayern war das kürzlich der Fall. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte zu Beginn des Jahres angekündigt, den Paragrafen 218 streichen zu wollen. Dieser regelt, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur straffrei bleibt, wenn sich die Frau vorher beraten lässt.

Es gibt ein strategisches Interesse der Parteien, polarisierende Fragen auf die Agenda zu nehmen.

Marc Debus, Politikwissenschaftler an der Uni Mannheim

Aus dem CSU-geführten Bayern kam sofort Protest. Die dortige Familienministerin Ulrike Scharf drohte damit, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, sollte der Paragraf gestrichen werden. Die Pläne der Grünen-Bundesministerin bezeichnete sie als „Albtraum“ und „Skandal“.  

In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ beklagte Scharf später einen „Trend zur Selbstbestimmung“. „Wenn jemand schwanger wird, dann geht es meines Erachtens nicht nur um einen persönlich, sondern auch um den Schutz des ungeborenen Lebens“, sagte sie.

Als Wahlkampf wollte Scharf ihre deutlichen Worte nicht verstanden wissen. Doch sie betonte: „Wir tun gut daran, klare Positionen einzunehmen.“ Es sei gut, dass nach 16 Jahren großer Koalition Unterschiede zwischen den Parteien wieder deutlich würden und die Bürger diese wahrnähmen. Die Parteien schärfen ihr Profil. Im Oktober stehen in Bayern Landtagswahlen an.

Die CSU könnte versuchen, mit dem Thema ihre katholisch-konservative Kernwählerschaft vor allem in ländlichen Gebieten an sich zu binden. Jedoch, so gibt Politikwissenschaftler Debus zu bedenken, aktiviere das Thema immer auch progressive Gruppen wie Frauenrechtler:innen. Für Parteien könne es deshalb heikel sein, ein umstrittenes Thema in den Fokus zu stellen.

Das Thema Abtreibung spaltet die USA

Ein Blick in die USA zeigt, wie stark das Thema Abtreibung spalten kann. Bei den Midterms im November gewann das Thema besondere Bedeutung. Einige Monate zuvor hatte der Supreme Court das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gekippt und die Gesetzgebung den einzelnen Bundesstaaten überlassen.

Seit dem Urteil ist Abtreibung einer Auflistung der „New York Times“ zufolge in mindestens 13 Bundesstaaten verboten. In einigen, wie Missouri oder Texas, sind nicht einmal bei Vergewaltigung oder Inzest Ausnahmen möglich.

Die USA seien ein Spezialfall, sagt Politikwissenschaftler Debus. Das Recht auf Abtreibung sei dort seit Jahrzehnten präsent, sowohl bei den Parteien als auch in der Bevölkerung. „Es gibt zu Abtreibungen stark abweichende Meinungen, deshalb wirkt das Thema extrem polarisierend.“

Hauptsächlich zwei Gruppen stehen sich in den USA gegenüber: Die Progressiven verknüpfen das Recht auf Abtreibungen mit Frauenrechten, die konservativen Christen berufen sich auf den Schutz des ungeborenen Lebens.

„Beide Gruppen sind wichtige Wähler für die Demokraten und Republikaner“, sagt Debus. „In so einem Kontext lohnt es sich, das Thema parteipolitisch sehr stark zu besetzen.“

Abtreibungsgegner bei der Demonstration „March for Life“ („Marsch für das Leben“) in Washington.

© dpa/AP/Jose Luis Magana

In Europa sei das Thema weniger zentral, sagt Debus. Doch gerade in katholisch geprägten Ländern habe es das Potenzial, stark zu polarisieren.

Wie etwa gerade in Spanien. Im Dezember verabschiedeten die Sozialisten von Ministerpräsident Sánchez mit dem linken Koalitionspartner Unidas Podemos und verschiedenen Regionalparteien eine äußerst umstrittene Gesetzesreform.

Demnach soll ein Schwangerschaftsabbruch als Gesundheitsleistung angesehen werden, die kostenlos und rechtlich garantiert ist. Alle Krankenhäuser müssten Abtreibungen durchführen. Auch Minderjährige ab 16 Jahren dürften nach der Änderung ohne Einwilligung der Eltern und ohne Beratung einen Abbruch vornehmen lassen.

Das Gesetz muss im Senat noch verabschiedet werden. In Spanien sind für das Gesundheitssystem allerdings die Regionalregierungen zuständig.

In der katholischen Kirche in Spanien regt sich großer Widerstand gegen die Reform. Auch die Christdemokraten und Rechtspopulisten positionieren sich klar dagegen. Die Vox-Partei macht dies mit ihrem Vorstoß in Kastilien und León deutlich.

Dabei orientiert sie sich an Ungarn. In dem ebenfalls mehrheitlich katholischen Land müssen sich Frauen seit vergangenem Jahr die Herztöne des Ungeborenen anhören, bevor sie einen Abbruch durchführen lassen.

Fall einer 14-Jährigen sorgt in Polen für Entsetzen

Im wegen seiner restriktiven Abtreibungsgesetze international kritisierten Polen, in dem in diesem Jahr eine Parlamentswahl ansteht, sorgte kürzlich der Fall einer 14-Jährigen für Empörung. Nachdem das geistig behinderte Mädchen von seinem Onkel vergewaltigt worden war, verweigerten ihr mehrere Krankenhäuser eine Abtreibung. Die Ärzte beriefen sich auf eine Gewissensklausel, wonach sie den Eingriff ablehnen dürfen, wenn er nicht ihren religiösen Überzeugungen entspricht. Erst als die Frauenrechtsgruppe Federa Druck machte, wurde ein Abbruch in einer Klinik in Warschau durchgeführt. 

Prompt wurden Forderungen auch aus der Opposition laut, die polnischen Abtreibungsgesetze zu lockern. Seit Inkrafttreten eines fast vollständigen Verbots im Jahr 2021 sind Abtreibungen in Polen nur noch dann zulässig, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder das Leben oder die Gesundheit der Frau gefährdet. Der Fall der 14-Jährigen zeigte aber, wie schwer Frauen in Polen ein Schwangerschaftsabbruch dennoch gemacht wird.

Ein restriktiverer Zugang zu Abtreibungen wurde auch vor der Wahl in Italien im vergangenen Jahr befürchtet. Wie in Deutschland ist dort der Schwangerschaftsabbruch nach einem Beratungsgespräch erlaubt. Doch weil ein großer Teil der Ärzte sich weigert, den Eingriff durchzuführen, sind die Hürden für schwangere Frauen schon jetzt hoch.

Die rechtsextreme Regierungschefin Giorgia Meloni machte schon im Wahlkampf deutlich, dass sie Abtreibungen ablehnt und eine konservative Familienpolitik vertritt. So war es nicht überraschend, dass Meloni Eugenia Roccella zur Familienministerin machte, eine christliche Fundamentalistin und Abtreibungsgegnerin. Dennoch stimmte das Parlament, in dem mehrheitlich das Rechtsbündnis vertreten ist, vor Kurzem dafür, den Abtreibungsparagrafen 194 unangetastet zu lassen.

In Deutschland wurde im vergangenen Sommer der umstrittene Paragraf 219a, der das Werbeverbot für Abtreibungen regelt, aufgehoben. Bis dahin war es Ärzt:innen untersagt, Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen etwa auf ihren Internetseiten zu veröffentlichen. Union und AfD kritisierten die Entscheidung und beriefen sich auf die Rechte des ungeborenen Kindes.

Die Ampel-Koalition hat angekündigt, eine Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafrechts prüfen zu lassen. Durch die Streichung des Paragrafen 218 wären Abtreibungen ohne Beratung straffrei möglich. Die konservativen Parteien wollen das verhindern.

Abtreibung hat das Potenzial, große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Marc Debus, Politikwissenschaftler

„Abtreibung hat das Potenzial, große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“, sagt Debus. In den 1970er und 1990er Jahren, als in Deutschland grundlegende Reformen zu Schwangerschaftsabbrüchen verabschiedet wurden, sei das Abtreibungsrecht heftig diskutiert worden.

„Diese Debatten, insbesondere im Parlament, finden hier auf qualitativ hohem Niveau statt“, sagt Debus. Anders als in den USA erziele man Kompromisse über Parteigrenzen hinweg.

Doch genau das nehme dem Thema auch einen Teil der Schärfe: Sobald tragfähige Lösungen gefunden werden, spiele das Thema in der öffentlichen Diskussion keine so große Rolle mehr. In Deutschland erreiche etwa man dann nur kleinere Gruppen, die Empörung halte sich in Grenzen.

Zumal auch christdemokratische Parteien offener geworden seien für liberale Positionen, sagt Debus. Eine nachlassende Bindung an die Kirchen und ein grundlegender sozialer Wandel hätten außerdem dazu geführt, dass traditionelle Positionen und Rollenbilder eher abnähmen.

Und dann sind auch andere Themen sehr viel präsenter: der Ukraine-Krieg, die Energiekrise, der Klimawandel. „Da hat es das Thema Abtreibungen schwer. Die Parteien riskieren damit, sich vorwerfen zu lassen, dass es gerade nichts Wichtigeres gibt“, sagt Debus.

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