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Seit der Aufkündigung des Getreideabkommens ist das Schwarze Meer für Frachter gefährlich geworden.

© dpa/Ukrinform/Uncredited

Druck vom Westen und von Putin: Für die Türkei wird es auf dem Schwarzen Meer gefährlich

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan möchte ein neues Getreideabkommen vermitteln. Das Entern eines türkischen Frachters durch russische Soldaten zeigt jedoch: Erdogan steht zwischen den Fronten.

Schwer bewaffnete Soldaten seilen sich aus Hubschraubern auf das Deck eines Frachters im Schwarzen Meer ab und durchkämmen die Mannschaftsräume. „Hinsetzen!“, herrschen sie die Besatzungsmitglieder auf der Brücke mit vorgehaltener Waffe an. Russische Staatsmedien veröffentlichten ein Video des Einsatzes, das eine außenpolitische Botschaft transportierte.

Das geenterte Schiff, die „Sükrü Okan“, hat eine türkische Besatzung und wurde von den russischen Soldaten in internationalen Gewässern nahe der türkischen Küste bei Istanbul aufgebracht: eine Warnung an Ankara.

Der Angriff auf das Schiff so nah an Istanbul sei „Piraterie“, sagt der Istanbuler Sicherheitsexperte Yörük Isik. Weil die russische Marine zu einer wirksamen Seeblockade der ukrainischen Küste nicht fähig sei, bedränge sie einzelne Schiffe, sagte Isik dem Tagesspiegel. Das sei ein Armutszeugnis: „Sie sind so tief gesunken, dass ihnen nur noch Piraterie bleibt – das ist traurig.“

Das Schwarze Meer ist gefährlicher geworden

Das Schwarze Meer ist seit dem Ablauf des Getreide-Abkommens am 17. Juli gefährlicher geworden. Russland warnt, alle Schiffe mit Kurs auf die Ukraine seien potenzielle Waffenlieferanten und damit legitime militärische Ziele, und greift ukrainische Häfen an. Kiew reagierte mit einem Drohnenangriff auf ein Kriegsschiff im russischen Exporthafen Noworossijsk.

Der Türke Yörük Isik fährt mit einer Fähre über den Bosporus und beobachtet Schiffe. Foto: Murad Sezer/privat
Der Türke Yörük Isik fährt mit einer Fähre über den Bosporus und beobachtet Schiffe. Foto: Murad Sezer/privat

© privat/MURAD SEZER

Die Ukraine rief außerdem einseitig einen Seekorridor für Schiffe aus, die trotz der russischen Drohung im Schwarzen Meer unterwegs sind. Als erstes Schiff passierte der Containerfrachter „Joseph Schulte“, der zum Teil deutschen Eignern gehört, diesen Korridor und traf am Freitag aus Odessa kommend in Istanbul ein.

Für die Türkei ist die neue Konfrontation im Schwarzen Meer eine schlechte Nachricht. Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ sich im vergangenen Jahr als Architekt des Getreide-Abkommens feiern, das die Ausfuhr von 33 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide ermöglichte.

Erdoğan gibt Europa und den USA die Schuld

Seit dem Ablauf des Abkommens versucht Erdogan, den Vertrag neu aufzulegen. Er gibt Europa und den USA die Schuld daran, dass Russland das Abkommen aufgekündigt hat, und unterstützt die russischen Bedingungen für eine Neuauflage: Der Westen habe seine Zusagen an Russland nicht erfüllt, sagt Erdogan.

Hier spielt Erdoğan ein doppeltes Spiel: Er hat sich mit seinen jüngsten Bemühungen um ein besseres Verhältnis zum Westen – unter anderem verärgerte er Russland mit der Freilassung ukrainischer Offiziere – bei Kremlchef Wladimir Putin unbeliebt gemacht.

Putins Besuch in der Türkei angekündigt

Das Video von der „Sükrü Okan“ ist ein Beispiel dafür. Erdogan kündigt zudem seit Mai einen baldigen Besuch von Putin in der Türkei an, doch der Kreml zögert mit einem Datum. Trotzdem hofft Erdogan auf ein Treffen noch im August.

Ganz offenbar will er deshalb Putin nicht noch mehr verärgern. Zu dem russischen Militäreinsatz auf der „Sükrü Okan“, die unter der Flagge des Pazifik-Kleinstaates Palau fährt, schwieg Erdogans Regierung tagelang. Kritik der Opposition an der Leisetreterei zwang das Informationsamt in Ankara schließlich zu einer windelweichen Stellungnahme.

„Sükrü Okan“ fahre nicht unter türkischer Flagge und sei außerhalb türkischer Gewässer geentert worden, erklärte die Behörde. Ankara habe Moskau „in angemessener Form gewarnt“.

Erdoğans Zurückhaltung zeige, dass seine Regierung nach wie vor eine Wiederbelebung des Getreide-Abkommens anstrebe und deshalb keinen offenen Streit mit Russland wolle, sagt Yörük Isik. „Sie zählen immer noch darauf, dass sie die Russen mit einer Initiative in letzter Sekunde zum Getreide-Deal zurückbringen können.“

Aussichtslos sei das nicht, findet Isik: Russland sei isoliert und auf neue Absprachen angewiesen. Bisher reagiert Moskau allerdings nicht auf Erdoğans Angebote.

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