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Die Stimme des Staatschefs: George Weah am Dienstag im Wahllokal. Ihm werden die größten Chancen eingeräumt.

© AFP/GUY PETERSON

Der Stürmer und seine verletzte Nation: Liberias gewaltsame Geschichte wirkt weiter

Heute will Präsident Weah, einst Fußballer beim AC Mailand und Chelsea, wiedergewählt werden. Viel erreicht hat er bisher nicht.

Mehr als ein Jahrzehnt Bürgerkrieg, der das Land in Scherben schlug. Kurz darauf eine verheerende Ebola-Epidemie und dann Covid-19. Viel Zeit für Normalität hatte Liberia in jüngerer Zeit nicht. Jetzt musste der westafrikanische Staat nach Abzug der UN-Friedenstruppen vor fünf Jahren erstmals selbst Wahlen auf die Beine stellen. Staatspräsident George Weah, im früheren Leben Stürmer beim AC Mailand und für Chelsea, strebt an diesem Dienstag eine zweite Amtszeit an.

Liberia habe Angst vor Gewalt, konstatierte im Wahlkampf Grant Masterson, Landesdirektor des Wahlinstituts für nachhaltige Demokratie in Afrika (EISA) in der Hauptstadt Monrovia: Es kursierten „Fake News, Falschinformationen und Verschwörungstheorien“. Doch die Medien und die Zivilgesellschaft hätten hart daran gearbeitet, „mit richtigen und unabhängigen Inhalten entgegenzuwirken“.

Mitten im Wahlkampf hatte sich die Spannung vor zwei Wochen entladen, als Unterstützer von Weahs Koalition für Demokratischen Wandel (CDC) und der Einheitspartei (UP) von Oppositionsführer Joseph Boakai aneinandergerieten. Drei Menschen starben. Die internationale Gemeinschaft beobachtet die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an diesem 10. Oktober gespannt. Die USA hatten politischen Hitzköpfen bereits mit Sanktionen gedroht.

Tatsächlich kam es vor dem Wahltag bis auf diesen einen Zusammenstoß zu „keinen nennenswerten Störaktionen, Ausschreitungen oder Behinderungen einzelner Kampagnen“, sagt Andreas Schieder dem Tagesspiegel. Der österreichische EU-Politiker begleitet die heutige Wahl als Chef der EU-Wahlbeobachtungskommission.

Die Regenzeit verschärft die Bedingungen dieser Wahl: „Zu den politischen Herausforderungen kommen die logistischen. Liberia ist kein großes Land, trotzdem macht die schlechte Infrastruktur es durchaus zu einer Herausforderung, einzelne Regionen zu erreichen.“

Liberia gilt als älteste Demokratie Afrikas. 1822 wurden hier die ersten befreiten Sklaven aus Amerika angesiedelt. 1847 riefen sie eine Republik aus. Jedoch: Von Beginn an bestimmten Spannungen das Zusammenleben von Liberias indigenen Bewohnern und den Siedlern aus den USA, die seither die Politik beherrschten.

Einige Senatoren und Parlamentarier waren oder werden verdächtigt, in den Bürgerkrieg involviert gewesen zu sein.

Grant Masterson, Landesdirektor des Wahlinstituts für nachhaltige Demokratie in Afrika (EISA)

Die Rivalitäten setzten 1980 mit dem Sturz von Präsident William Tolbert eine Gewaltspirale in Gang. Autokraten und Kriegsherren lösten sich nach jeweils blutigen Putschen ab. Insgesamt wurde 14 Jahre lang gekämpft, auch mit Kindersoldaten. 250.000 Menschen starben, zwei Millionen mussten fliehen.

Bis heute ist die gewaltsame Geschichte im Alltag sichtbar – nicht nur durch verstümmelte Menschen im Straßenbild. Zuletzt wurden wieder Forderungen laut, einen Sonderstrafgerichtshof zu gründen. Bisher wurden Liberias Kriegsverbrechern vor allem in den USA, Europa oder im Nachbarland Sierra Leone der Prozess gemacht.

So etwa dem Warlord und Ex-Präsidenten Charles Taylor. Dessen Ex-Frau, Jewel Howard-Taylor, ist heute Liberias Vizepräsidentin. Sie hatte sich von Taylor politisch losgesagt und ließ sich kurz vor seiner Verhaftung 2006 von ihm scheiden. Jetzt stellt sie sich an der Seite von Präsident Weah der Wiederwahl.

15
Prozent der Kandidaten für die Parlamentswahl sind Frauen

„Einige Senatoren und Parlamentarier waren oder werden verdächtigt, in den Bürgerkrieg involviert gewesen zu sein. Man nutzt ihre Vorgeschichte, um sie im Wahlkampf zu schwächen“, berichtet Masterson. Mehr noch als die gewaltvolle Geschichte würden aber die aktuellen Probleme den Wahlausgang bestimmen. Jeder vierte Liberianer lebt von unter zwei Euro am Tag; die Lebenserwartung liegt bei 61 Jahren.

Der Ex-Fußballstar Weah war 2018 mit dem Versprechen ins Amt gelangt, Jobs zu schaffen und den maroden Bildungssektor zu reformieren. Kritiker werfen Weah nach seiner ersten Amtszeit Versagen vor.

Der Wiederaufbau des Bildungssystems gelang nur teilweise; für die Abschaffung der Studiengebühren wird Weah allerdings von vielen jungen Leuten gefeiert. Auch Korruption, die Gesundheitsversorgung und der Zugang zu Wasser und Strom sind weiter problematisch in Liberia. Weahs Wiederwahl gilt dennoch als wahrscheinlich.

Zwanzig Kandidaten gingen an diesem Dienstag ins Rennen, dessen Ausgang erst in etwa zwei Wochen feststehen soll. Als aussichtsreich gelten neben Amtsinhaber Weah der frühere Vizepräsident Boakai, der Geschäftsmann Alexander Cummings und der Menschenrechtsanwalt Tiawan Gongloe – eine Liste, die in Afrikas ältester Demokratie ein weiteres Problem aufzeigt: Nur zwei Frauen stellen sich dem Votum.

Ähnliches gilt laut EU-Wahlbeobachter Schieder für die Parlamentswahl, wo der Anteil der Kandidatinnen bei 15 Prozent liegt. Er rechnet damit, dass der „an sich schon geringe Frauenanteil in Liberias Parlament noch einmal sinken“ wird. Vergessen scheint die historische Wahl von 2005. Damals hatten die Liberianer die erste Präsidentin des Kontinents ins Amt gewählt, Ellen Johnson Sirleaf. Sie erhielt später den Friedensnobelpreis.

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