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Glasbox im Gerichtssaal: bewacht von vermummten Polizisten.

© IMAGO/Photo News/Didier Lebrun

Brüsseler Terrorprozess geht in die letzte Runde: Wie viele Jahre Gefängnis gibt es für 35 Morde?

Siebeneinhalb Jahre nach den Terroranschlägen endet der größte und teuerste Strafprozess in der belgischen Geschichte. Nun geht es um das Strafmaß der bereits schuldig Gesprochenen.

Die Uhr zeigt 7:58 als die erste Splitterbombe am Brüsseler Flughafen explodiert, in der Abflughalle, nahe eines American-Airlines-Schalters. Elf Sekunden später explodiert die zweite. Die dritte um 9:11 Uhr im EU-Viertel, in einem haltenden Zug in der Metrostation Maelbeek, eine jener Stationen, an denen man aussteigt, wenn man zum Europaparlament will.

Es ist der 22. März 2016, der Tag, an dem Selbstmordattentäter im Namen des „Islamisches Staates“ einen Terroranschlag in Brüssel verüben. Das Leben von 32 Menschen endet, drei weitere sterben später an den Folgen, etwa 700 werden verletzt, 340 davon schwer.

Siebeneinhalb Jahre später geht an diesem Montag der größte, aufwendigste und teuerste Gerichtsprozess in der belgischen Geschichte in seine letzte Runde: Jetzt soll das Strafmaß der Angeklagten festgelegt werden. Ihnen droht lebenslang Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Etwa zwei Wochen werden die Beratungen dauern.

Im Juli waren sechs der zehn Angeklagten des 35-fachen terroristischen Mordes und 700-fachen versuchten Mordes für schuldig befunden worden, zwei weitere für die Mitgliedschaft in einer Terror-Vereinigung, die übrigen zwei wurden freigesprochen. Eine zwölfköpfige Jury hatte darüber entschieden. Sie hatte sich 18 Tage lang beraten, ohne Kontakt zur Außenwelt, an einem geheimen Ort, vermutlich ein Hotel irgendwo in Brüssel oder in der Nähe. Zur Verurteilung war Einstimmigkeit erforderlich.

Der Beginn des Prozesses wurde immer wieder verschoben

Nach den Anschlägen vergingen mehr als sechs Jahre, geprägt von einem juristischen Kleinkrieg, bis im Dezember 2022 der Mammutprozess begann. Eigentlich hätte er bereits im Oktober beginnen sollen, doch das Verfahren war wieder einmal verschoben worden, wegen eines Streits über Sicherheitsvorkehrungen.

Mit mehr als 900 Nebenklägern und einem großen Medieninteresse konnte der Prozess nicht im Brüsseler Justizpalast ausgetragen werden, sondern fand stattdessen im umgebauten ehemaligen Nato-Hauptquartier am Rande der Stadt statt. Die Prozesskosten liegen bei mehr als 35 Millionen Euro, zehn Millionen davon fielen für die Umbaukosten an.

35 Millionen
Euro kostete der Prozess den belgischen Staat mindestens.

Auf der Anklagebank neun Männer, teils Kindheitsfreunde, sieben von ihnen saßen zusammen in einem großen Glaskasten – gegen Einzelkabinen gingen sie juristisch vor –, bei ihnen vermummte Polizisten, die sie bewachten. Ein Angeklagter, der mutmaßliche Drahtzieher, fehlte: Vermutlich ist er 2017 bei einem US-Drohnenangriff in Syrien gestorben.

500 Seiten umfasste die Anklageschrift; es folgte ein siebenmonatiger Prozess, bei dem es immer wieder zu Verzögerungen kam. Die Angeklagten weigerten sich zwischenzeitlich, am Prozess teilzunehmen: aus Protest gegen Transportbedingungen und regelmäßige Leibesvisitationen. Geschworene erkrankten an Covid. Der Anwalt eines Angeklagten starb plötzlich an einem Herzinfarkt.

Hunderte Zeugen schilderten, wie sie den 22. März 2016 erlebten, welche Auswirkungen der Tag auf ihr Leben hatte. Manche von ihnen redeten zehn Minuten, andere mehrere Stunden.

Trauer in Brüssel: 500 Seiten umfasst die Anklageschrift.
Trauer in Brüssel: 500 Seiten umfasst die Anklageschrift.

© picture alliance /dpa/Christophe Petit Tesson

Dabei ging es auch um die Frage: Warum hat Belgien seine Einwohner nicht vor dem Terroranschlag bewahrt?

Die Sicherheitsbehörden waren nach den Anschlägen in Kritik geraten. Die Beteiligten des Terroranschlags befanden sich bereits im Visier der Polizei, doch konnten aus Ressourcengründen nicht besser überwacht werden.

Zudem hatte es Warnungen aus Griechenland, der Türkei und den USA gegeben, denen nicht ausreichend nachgegangen wurde, die verloren gingen oder gänzlich ignoriert worden waren. Darunter war sogar eine konkrete Warnung über einen Terroranschlag am Brüsseler Flughafen. Der damalige israelische Geheimdienstminister Israel Katz warf den Belgiern vor, lieber „weiter Schokolade essen und das Leben genießen“ zu wollen, statt sich um die Terrorismusbekämpfung zu kümmern.

Die beschädigte Fassade des Brüsseler Flughafens.
Beschädigte Fassade des Brüsseler Flughafens: Es hatte keinen Notfallplan gegeben.

© Laurent Dubrule/dpa

Die komplexe föderale Struktur Belgiens mit seinen verschiedensprachigen Regionen und Gemeinschaften, die lieber alleine vor sich hin arbeiten, statt miteinander zu reden, trug zusätzlich zum Ermittlungschaos bei.

Auch am Anschlagstag selbst gab es Pannen. So hatte der Brüsseler Flughafen keinen Notfallplan für Terroranschläge, wie aus einem Untersuchungsbericht des belgischen Parlaments hervorging. Folglich gingen die Einsatzkräfte bei den Rettungsmaßnahmen unkoordiniert vor, es gab nur einen einzigen Sprengstoff-Spürhund, der nach weiteren Bomben suchen konnte, das Funknetz war überlastet, wodurch die Kommunikation stark eingeschränkt wurde.

Die Rue de la Loi an der Metrostation Maelbeek: Es dauert eine halbe Stunde, den U-Bahn-Verkehr der Stadt stillzulegen.
Die Rue de la Loi an der Metrostation Maelbeek: Es dauert eine halbe Stunde, den U-Bahn-Verkehr der Stadt stillzulegen.

© dpa/Federico Gambarini

Es war nicht das einzige Kommunikationsproblem an diesem Tag: Um 8:20 Uhr wurde das Brüsseler Nahverkehrsunternehmen STIB über den Terroranschlag am Flughafen informiert. Aber erst um 9:07 Uhr schickte die Polizeizentrale eine Mail an den Chef der Bahnpolizei, mit dem Befehl, den Metroverkehr stillzulegen – was eine halbe Stunde dauert.

Diese Mail ging allerdings versehentlich an seine private Adresse, wo sie unbemerkt blieb. Sie kam ohnehin zu spät: Wenige Minuten später explodierte der Sprengsatz in der Station Maelbeck.

Hinter den Anschlägen von Brüssel stand wohl die dieselbe Terrorzelle wie bei jenen von Paris im November 2015. Daher standen sechs Attentäter, die bereits in Paris verurteilt worden waren, auch in Brüssel vor Gericht. Einer von ihnen ist Salah Abdeslam, der sich vor einem Stadion in einem Vorort von Paris in die Luft hatte sprengen wollen, dann aber flüchtete.

Die Terroristen von Brüssel hatten vorgehabt, erneut in Paris zuzuschlagen, sich aus Zeitmangel dann aber für die belgische Hauptstadt entschieden, wo sie den Rest ihres Lebens vermutlich hinter Gittern verbringen werden.

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