zum Hauptinhalt
Die Brandschutzbrigade des Instituto Homem Pantaneiro bespricht einen Trainingseinsatz.

© Sandra Weiss

Brandschutz im Pantanal in Brasilien: Die Sumpf-Feuerwehr setzt auf künstliche Intelligenz

Halb so groß wie Deutschland und kaum besiedelt: Brandbekämpfung im Biosphärenreservat Pantanal war lange ein Albtraum – bis Umweltschützer moderne Technik einsetzten.

Als ihr Mann Chico Mattis an diesem Tag im September 2020 vom Fischen zurückkam, hatte Maria Aires gleich ein komisches Gefühl. „Flussabwärts brennt es“, sagte der 63jährige. Am Horizont, wo sonst die Sumpfniederungen des brasilianischen Feuchtgebiets Pantanal zu einem blau-grünen Panorama verschmelzen, zog dunkler Rauch auf.

Brände sind nicht ungewöhnlich und gehören zusammen mit den periodischen Überschwemmungen zu den Selbst-Regulierungsyzklen des Pantanal. Mit 195.000 Quadratkilometer ist es das größte Binnen-Feuchtgebiet der Erde und fast halb so groß wie Deutschland.

Maria Aires und ihre Familie hätten durch die Feuer 2020 fast ihr Haus verloren, konnten es aber in letzter Minute retten.

© Sandra Weiss

Ein Teil davon ist Nationalpark, ein Teil ist Privatbesitz. In der Pufferzone leben zudem traditionelle Fischergemeinschaften wie die von Mattis und Aires. Die Region Serra do Amolar, wo Familie Mattis lebt, ist eine der einsamsten und abgelegensten des Pantanal.

Mattis ging auf den Balkon seines Holzhäuschens und versuchte, über sein Handy die Schule zu erreichen. Die liegt zwei Stunden Bootsfahrt weiter flussabwärts Richtung Corumbá, der nächsten, größeren Stadt.

Chico Mattis schützte das Haus seiner Familie mit dem Gartenschlauch gegen das anrückende Feuer.

© Sandra Weiss

Nach mehreren Anläufen klappte es. Die Feuerwehrleute seien schon unterwegs, teilte er danach seiner Frau mit. Was er zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Sie waren bereits seit vier Tagen und Nächten im Dauereinsatz, um der Feuersbrunst Einhalt zu gebieten.

Der Brand schwelte im Moor unter der Oberfläche weiter.

Brandschützer Manuel Garcia

Zwei sehr trockene Jahre hatten das Pantanal in Zunder verwandelt. „Auch wenn wir oberflächlich löschen konnten, schwelte der Brand im Moor unter der Oberfläche weiter“, erzählt Brandschützer Manuel Garcia von der Umweltschutzorganisation Instituto Homem Pantaneiro (IHP). „Der Wind trug die Funken über 150 Meter breite Flüsse.“

Die Feuerwehr war komplett überfordert

Es brannte nicht nur an einer Stelle, sondern an dutzenden gleichzeitig. Die Feuerwehr war komplett überfordert; die aus umliegenden Städten und Bundesstaaten geschickte Verstärkung kannte sich nicht aus im Sumpfgebiet, was die Löscharbeiten behinderte.

Die Bewohner des Pantanal leben sehr einfach und naturverbunden vom Fischfang und der Landwirtschaft.

© Sandra Weiss

Familie Mattis kannte den Ernst der Lage nicht und wartete hoffnungsfroh. Doch der Wind wehte aus der falschen Richtung. Zwei Stunden später war das Feuer in Sichtweite. „Die Luft war rauchig und furchtbar heiß“, sagte Maria Aires. „Es machte mir Angst.“

Dann kamen plötzlich die Vögel, zu tausenden waren sie auf der Flucht, eine riesige Wolke. „Sie waren überall, sogar im Haus“, erzählt die 43jährige mit erstickter Stimme. „Wir gingen dann rein, drehten den Gartenschlauch auf, machten den Ventilator an und sprühten das Haus von außen und innen nass.“ Dann hörte sie die Stimme ihres siebenjährigen Sohnes Alex: „Mama, ich will nicht sterben“, sagte er, der Albino und mittlere ihrer fünf Kinder.

Die Vögel suchten Schutz in ihrem Garten

Dann, es wurde schon dämmrig, kam Manuel Garcia mit seiner Feuerwehrbrigade. Sie pumpten Wasser aus dem Fluss, die ganze Nacht. „Immer wieder flackerten Brandherde auf“, erinnert er sich. Irgendwann kochte Aires Reis – die Hälfte für die Menschen, die andere Hälfte für die Vögel, die in ihrem Garten und auf der Veranda Schutz gesucht hatten.

Das Pantanal ist eine Oase für viele Arten wie hier die weißen Reiher.

© Sandra Weiss

Am nächsten Morgen waren die Tiere immer noch da, saßen auf den wenigen Bäumen, die halb verkohlt das Inferno überlebt hatten. „Ich sah sie, und musste weinen“, sagt Aires. Fortan fütterte sie sie jeden Tag. Ein Veterinär des IHP gab ihr Tipps: Sie solle Maniokmehl verfüttern, Körner, Obst und Gemüse.

Sie pflanzte ein Maisfeld an, das sie sich mit den Vögeln teilte. Verletzte und verbrannte Tiere brachte sie in eine Rettungsstation des IHP. „Wir Pantaneiros“, sagt sie, „wir lieben die Natur, die Tiere. Ohne unsere Hilfe wären diejenigen, die das Feuer überlebten, danach verhungert.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Sechs Monate lang fütterte sie die Vögel täglich – bis sich die Natur etwas erholt hatte, und die Vögel selbst wieder Futter fanden. 2020 hat das Pantanal die verheerendsten Brände in einem halben Jahrhundert erlebt. Die Serra do Amolar verlor 90 Prozent ihrer Vegetation, 17 Millionen Wirbeltiere starben.

Das Feuer 2020 war ein Weckruf für uns alle.

Angelo Rabelo, Direktor der Umweltschutzorganisation  Instituto Homem Pantaneiro.

„Es war ein Weckruf für uns alle“, sagt Angelo Rabelo, Direktor des Instituto Homem Pantaneiro. Es hat seinen Sitz in einer altehrwürdigen Villa am Hafen von Corumbá. Im Untergeschoss ist ein kleines Museum eingerichtet über Geschichte, Kultur und Natur des Pantanal.

Mit hochauflösenden Kameras und moderner Computertechnik können die Naturschützer große Teile des Nationalparks überwachen. 

© Sandra Weiss

Im zweiten Stock ist das Büro Rabelos. Von seinem Schreibtisch aus sieht man weit über mäandernde Flüsse und grünes Marschland. Manchmal fliegen Tukane am Fenster vorbei. Im kleinen Hafen ankern Ausflugsboote für Sportfischer – Fischen ist eine der touristischen Attraktionen des Pantanal.

Rabelo ist ein durchtrainierter Mittfünfziger mit grauen Schläfen. Der ehemalige Oberst strahlt Autorität aus, er kommt schnörkellos auf den Punkt: „Uns war klar, dass wir uns besser vorbereiten mussten.“ Im Zuge des Klimawandels werden sich solche Extremwetterlagen häufen, schätzen Wissenschaftler.

Angelo Rabelo hat sich mit anderen Umweltschützern sowie Rinderfarmern verbündet, um gemeinsam gegen die Brandgefahr vorzugehen.

© Sandra Weiss

Rabelo schloss sich mit Umweltschutzorganisationen wie SOSPantanal und Ecotropica zusammen. Er holte Fazendeiros an Bord, die im Pantanal Rinderfarmen betreiben. Stiftungen reicher Unternehmer spendeten Geld, mit Forschungsinstituten und Reiseveranstaltern schmiedete er Partnerschaften. Zum Teil finanziert sich das IHP aus Touren ins Pantanal.

Ein effizientes, hochmodernes Frühwarnsystem.

„Hier ist das Resultat“, sagt Rabelo und zeigt stolz auf den hinteren Teil des Großraumbüros. Dort stehen riesige Bildschirme, an mehrere Computer angeschlossen. Sie zeigen Aufnahmen von elf hochauflösenden Kameras, die auf hohen Türmen in der Serra do Amolar montiert wurden und knapp 70.000 Quadratkilometer des Nationalparks überwachen.

Die Bilder werden mit künstlicher Intelligenz ausgewertet und können in weniger als fünf Minuten Brandherde erkennen und deren wahrscheinliche Ausbreitungsrichtung und Geschwindigkeit vorhersagen.

Der Blick über das Pantanal und die Serra de Amolar von der Fazenda Morro Alegre.

© Sandra Weiss

Kombiniert werden sie mit satellitengestützten Daten aus den angrenzenden Regionen, die allerdings weniger präzise und deutlich langsamere Ergebnisse bringen. Im Zusammenspiel sind beide Systeme für so menschenleere Gegenden wie das Pantanal aber ein effizientes, hochmodernes Frühwarnsystem.

Doch Technologie ist nicht alles – denn löschen können die Kameras den Brand nicht. Das IHP hat deshalb auch freiwillige Feuerwehr-Einheiten trainiert und die Brandschutzbrigade Alto Pantanal gegründet. Rinderhirten und Fischer, Köchinnen und Hausfrauen wissen nun, wie man Sumpfbrände mit einer Art Teppichklopfer bekämpft und sind per Funkgerät vernetzt.

Die private Rinderfarm Santa Teresa wurde 2020 vom Feuer fast komplett zerstört . Heute ist sie ein wichtiger Stützpunkt der Brandschutzbrigaden.

© Sandra Weiss

Hunderte von Pantaneiros haben mit vereinter Kraft und Traktoren der Fazendeiros an strategischen Orten Feuerschneisen geschlagen, die auch den Tieren als Fluchtkorridore dienen können. Die Rinderhirten achten darauf, die Kühe regelmäßig auf neue Weiden zu treiben, um die Vegetation kurz zu halten.

Die traditionellen Anwohner haben schon immer Feuer auf Weideflächen gelegt, aber sie kennen den richtigen Zeitpunkt dafür.

Angelo Rabelo

Es gab Workshops: „Die traditionellen Anwohner haben schon immer Feuer auf Weideflächen gelegt, aber sie kennen den richtigen Zeitpunkt dafür. Neue Landbesitzer hingegen sind mit dieser Technik nicht vertraut“, erklärt Rabelo. Künftig sollen in besonders schwer zugänglichen Gegenden auch Drohnen bei der Brandbekämpfung eingesetzt werden.

Das Umweltinstitut Ibama richtete nach dem großen Brand ein System zur Vorbeugung und Bekämpfung von Waldbränden (PrevFogo) ein, mit dem das IHP eng zusammenarbeitet. In diesem Jahr finanziert das Ibama 44 Brigadisten, die während der Brandsaison die Region patrouillieren.

Das menschlich-technologische Präventionsprogramm entfaltet sein Potenzial im Zusammenspiel: „Dank des Überwachungssystems können wir den genauen Ort des Ausbruchs feststellen und informieren die nächstgelegenen Feuerwehrteams, Freiwillige und Mitarbeiter der umliegenden Bauernhöfe, damit sie sich rasch vor Ort begeben können“, erklärt Rabelo.

Das Ergebnis kann sich bislang sehen lassen: Im Jahr 2021 gab es nur auf sieben Prozent der Fläche der Serra do Amolar Brandschäden, im Jahr darauf sogar noch weniger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false