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Ein Migrant an Bord eines Rettungsschiffs in Lampedusa (Archivbild).

© Reuters/Guglielmo Mangiapane

Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer: Italien verschärft seine Politik gegen Migranten weiter

Ausgerechnet den Tod von fast hundert Geflüchteten nimmt die Regierung Meloni zum Anlass für schärfere Gesetze. Ihr Vertrauter spricht nun von „Umvolkung“.

Als in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar ein Boot mit etwa 150 Migrant:innen an Bord vor Kalabriens Küste zerschellte, hatte Italiens Innenminister die Schuldigen rasch festgemacht: die Opfer selbst. Auch die größte Verzweiflung, so Matteo Piantedosi, rechtfertige es nicht, die eigenen Kinder auf so gefährliche Fahrten zu schicken.

Das Kabinett von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni versammelte sich kurz darauf nahe der Unglücksstelle, wo in den vergangenen Wochen knapp 100 Tote angespült wurden, und beschloss – nicht mehr Schutz, sondern Strafen von bis zu 30 Jahren Haft für Fluchthelfer. Letzte Woche rief man sogar den Migrationsnotstand aus.

Die Welle entsetzter Kommentare vor allem nach Piantedosis Ausführungen versuchte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, nicht nur Parteifreund, sondern auch Schwager von Meloni, zu brechen mit dem Versprechen, man werde ja auch legale Wege nach Italien öffnen. „Wir sind an der Arbeit, um dieses Jahr 500.000 Migranten legal nach Italien zu holen“, sagte er zwei Tage nach dem Unglück vor Crotone. Allein die Landwirtschaft habe einen Riesenbedarf an Arbeitskräften.

Zum 28. März, dem „Click Day“ für Anträge auf legale Beschäftigung, wurde die Höchstzahl diesmal um 13.000 auf knapp 83.000 Plätze erhöht. Kaum waren die Seiten dafür freigeschaltet, war das Kontingent auch schon ausgeschöpft. Und diese sowieso enge Tür hat nun ausgerechnet Lollobridiga am Dienstag mit lautem Knall zugeworfen: Er halte Migration zwar für etwas Natürliches, sagte der Minister.

Aber diese Ressource dürfe erst genutzt werden, wenn das Arbeitskräfteangebot im Inland ausgeschöpft sei. Und Lollobrigida fügte einen Kampfbegriff der extremen Rechten an: „Wir dürfen uns nicht mit dem Thema Umvolkung abfinden. Wir müssen auch an das Italien von morgen und übermorgen denken. Deshalb müssen wir die Geburtenrate steigern.“

Italiens Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida

© Reuters/Yara Nardi

Das Wort sostituzione etnica, das der Minister benutzte, ist im deutschen Sprachraum auch als „Bevölkerungsaustausch“ bekannt, ein rechtsextremer Verschwörungsmythos, der behauptet, die „weiße Rasse“ sei existenziell durch Einwanderung bedroht und werde schleichend durch Nichtweiße ersetzt.

Die Geburtenrate zu steigern, das hat allerdings auch unter früheren Regierungen nicht so richtig funktioniert. Immer neue Negativrekorde im Weltvergleich teilt sich Italien mit Deutschland. Nach den Zahlen des nationalen Statistikinstituts Istat rutschte man im vergangenen Jahr erstmals unter die Marke von 400.000 Geburten, ein Minus von noch einmal drei Prozent zum Vorjahr.

Mehr als die Hälfte von Italiens Regionen schrumpfen

Landeskinder, die Kinder bekommen könnten und, wie Lollobrigida es sich wünscht, im Lande arbeiten und Steuern zahlen, gibt es ebenfalls immer weniger. Die Europäische Union führt 13 der 21 italienischen Regionen unter denen auf, deren junge Bevölkerung, oft durch Auswanderung, nicht nur schrumpft. Wer bleibt, schafft dort auch nicht so oft wie nötig einen Studien- oder Berufsabschluss. Das Problem betrifft das Aostatal und Ligurien im Norden ebenso wie Umbrien und Sizilien.

Trotzdem scheint die rechtsextreme Regierung jetzt eine Art Kreuzzug gegen die auszurufen, die kommen wollen. Und nicht nur gegen sie. Vor Tagen hat sie angekündigt, dass die protezione speciale abgeschafft werde, jener Status, der auch nicht anerkannte Asylsuchende schützt, wenn Abschiebung in ihr Herkunftsland ihr Leben bedrohen würde. Im Deutschen entspricht das der Duldung. Die Regierung in Rom behauptet allerdings, „besonderen Schutz“ gebe es nur in Italien, er sei eine Anomalie.

Was der Minister sagt, ist ekelhaft und seines Amts unwürdig. Es erinnert an die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Elly Schlein, Oppositionschefin, über die Äußerungen Lollobrigidas

Fachleute bezweifeln, dass es zu Massenabschiebungen kommen wird, einfach deshalb, weil die Behörden dies nicht schaffen. Ohne ein Recht auf Aufenthalt würden die Betroffenen aber zwangsweise Illegale und noch verletzlicher und erpressbarer.

Abdrängen in die Illegalität

Vor allem auf den Gemüsefeldern im Süden schuften Migrant:innen aus Afrika und Südasien für den EU-Markt oft zu Hungerlöhnen, die sie nicht einmal einklagen können, wenn sie ihnen vorenthalten werden. Aber auch die Bürgermeister etlicher großer und von Mitte-links regierter Städte – darunter Mailand, Neapel, Rom, Turin, Bologna und Florenz – haben einen gemeinsamen Brandbrief nach Rom geschickt.

Sie fürchten, dass sich die Lage der migrantischen Bevölkerung in den Städten weiter verschärft, und verlangen unter anderem ein garantiertes Recht für deren Kinder, zur Schule zu gehen.  

Die Debatte um die protezione speciale tobt seit Tagen. Dass Lollobrigida die Politik der Regierung jetzt auch noch mit der Angst vor „Umvolkung“ begründete, kommentierte die Vorsitzende der Sozialdemokraten ebenfalls mit scharfen Worten: Der Minister drücke sich aus wie ein „weißer Suprematist“, so Elly Schlein. Was er sage, sei „ekelhaft und seines Amts unwürdig“ und erinnere sie „an die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts“.

Und dies, so fügte sie hinzu, am selben Tag, an dem Italiens Staatspräsident Auschwitz besuche.

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