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Der National Education Union zufolge haben Lehrer:innen zwischen 2008 und 2021 durchschnittlich fast 20.000 Pfund (23.000 Euro) Realeinkommen verloren.

© AFP/Oli Scarff

Bildungsmisere in Nordirland: „Die Schulen stehen kurz vorm Kollaps“

Nordirland Schulen fehlen mindestens 80 Millionen Euro. Lehrkräfte warnen nun vor den Folgen. Die Kürzungen würden eine Gruppe „unverhältnismäßig“ hart treffen.

Auf dem Schild um den Türknauf des Lehrerzimmers steht: „Ein guter Lehrer erklärt, ein großartiger Lehrer inspiriert“. Richard Kehoe will so ein Lehrer sein, wirkt aber niedergeschlagen. Kaum inspirierend.

Ihre Traurigkeit sei für sie zur Routine geworden, habe ihm eine seiner Schülerinnen kürzlich erzählt. Überrascht ist der 26-Jährige über solche Aussagen nicht mehr. Im März ist das „Happy Healthy Minds“-Programm ausgelaufen. Es unterstützte Kinder mit psychischen Problemen. Kinder wie Kehoes neunjährige Schülerin.

Richard Kehoe unterrichtet an der St.-Ronan-Grundschule im nordirischen Newry. Einer Kleinstadt mit weniger als 30.000 Einwohner:innen, acht Kilometer von der irischen Grenze entfernt. Doch dem öffentlichen Haushalt in Nordirland fehlt seit Jahren Geld. Im Februar berichtete die BBC, dass der Etat für das kommende Jahr um 500 Millionen Pfund (575 Millionen Euro) gekürzt werden soll.

Programmen für benachteiligte Kinder fehlt das Geld

Allein den jährlichen Mitteln für das Bildungswesen fehlen dadurch 70 Millionen Pfund (80 Millionen Euro), inflationsbereinigt wird die Kürzung noch höher ausfallen. Programme wie „Happy Healthy Minds“ oder die Unterstützung benachteiligter Kinder, kostenloses Schulessen für 96.000 Schüler:innen kann sich Nordirland nicht mehr leisten.

St.-Ronan-Grundschule im nordirischen Newry: 400 Kinder lernen hier mit Ganztagsbetreuung.

© Farangies Ghafoor

Knapp 400 Kinder zwischen fünf und elf Jahren lernen in der St.-Ronan-Grundschule, nach dem Unterrichtsende werden viele von ihnen im Hort betreut. In den leeren Klassenzimmern stehen blaue Stühle auf den Tischen.

Von der Decke hängen Schilder, die das Klassenzimmer in Hör-, Schreib-, Mathe-, Musik- und Bastelbereich aufteilen. An einer Wand kleben selbstgemalte Bilder von der Erdkugel, an der anderen stehen Hula-Hoop-Reifen. Die St.-Ronan ist ein Ort, an dem sich Schüler:innen wohlfühlen sollen.

Das gelingt immer seltener. „Kinder brechen zusammen, haben Lernschwierigkeiten“, sagt Kevin Donaghy, der Direktor. Im April fuhr er deshalb nach Belfast, nationale Bildungsgewerkschaften hatten zum Großstreik aufgerufen.

Im regulären Unterricht könne sein Personal nicht mehr auffangen, was durch Programme wie „Happy Healthy Minds“ an zusätzlicher Unterstützung wegfällt.

11.500
Euro weniger als in Schottland verdienen Lehrkräfte pro Jahr in Nordirland.

Nach Angaben der Schulbehörde treffen die geplanten Kürzungen „jedes Schulkind in Nordirland“ und wirken sich „unverhältnismäßig auf sozial Benachteiligte aus“.

Kevin Donaghy, Schulleiter der St.-Ronan-Grundschule

© Farangies Ghafoor

Donaghy und seine Kolleg:innen fordern deshalb, dass die Politik endlich eingreift. Doch die Regierung in Belfast ist gelähmt. Seit der vergangenen Wahl im Mai 2022 können sich die großen Parteien auf keine Zusammenarbeit einigen, das Parlament ist im Stillstand. Die Folgen treffen die Schüler:innen.

Hochwertige Bildung könne durch die Kürzungen schon lange nicht mehr angeboten, sagt der Schulleiter Donaghy am Tag des Streiks. Schulmaterial fehle, Lehrkräfte kämpften mit einer steigenden Arbeitsbelastung und stagnierenden Gehältern. Immer mehr geben auf, einige ziehen weg.

23.000 weniger Lohn in 15 Jahren

Erstmals seit Jahrzehnten zeichnet sich in Nordirland deshalb ein Lehrkräftemangel ab. Der Gewerkschaft Ulster Teacher’s Union zufolge verdienen Berufseinsteiger:innen in Nordirland jährlich 10.000 Pfund (11.500 Euro) weniger als Kolleg:innen in Schottland. Die National Education Union gibt an, dass Lehrer:innen zwischen 2008 und 2021 durchschnittlich fast 20.000 Pfund (23.000 Euro) Realeinkommen verloren haben.

Kinder brechen zusammen, haben Lernschwierigkeiten.

Kevin Donaghy, Schulleiter der St.-Ronan-Grundschule

An der St.-Ronan-Grundschule fragt sich Richard Kehoes Kollegin Fiona, wie lange sie das noch durchhalten kann: „Wir lieben die Kinder, aber wie sollen wir 43 Jahre diese Belastung für 30 Kinder tragen?“ Doch, um über ihre Arbeitssituation zu sprechen, dafür fehle ihr die Zeit. In wenigen Minuten beginnt die nächste Stunde, Fiona McKenna betreut den Schulchor.

Für seinen Beruf werben, das will auch Schulleiter Kevin Donaghy nicht mehr. Zu viel Arbeit. „Ich bin Schulleitung, Personalabteilung, Kummerkasten für Kinder, Eltern und Lehrer, Organisator von Fortbildungen.“ Und oberster Pädagoge der Schule.

Täglich wartet er am Eingang der Schule, um seine Kinder zu verabschieden. Er ruft sie namentlich auf, sobald er ihre wartenden Eltern sieht, und entlässt jedes Kind persönlich.

„Die Schulen stehen kurz vorm Kollaps“, sagt er zum Abschluss. Nur entscheide Belfast, wie hart oder weich sie landen.

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