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Das Kulturzentrum „Creamic & Art Center“ im armen Stadtteil Trenchtown der jamaikanischen Hauptstadt.

© Sandra Weiss

Besuch im Geburtsort Bob Marleys: Ein Stigma aus Drogen und Gewalt

In Trenchtown, wo Reggae-Musiker Bob Marley aufgewachsen ist, herrschten einst bürgerkriegsähnliche Zustände. Heute leben viele dort in Armut. Doch ein Mann bringt Hoffnung.

Wer Jamaikas Hauptstadt Kingston besucht, wird wahrscheinlich dem Museum des berühmten Reggae-Sängers Bob Marley einen Besuch abstatten -und dort erst einmal überrascht werden. Das Kolonialhaus mit dem tropischen Garten in der Hope Street wirkt gediegen langweilig- trotz der bunten Graffitis und der durch die Luft wabernden Marihuana-Schwaden.

Es liegt in einem reichen Villenviertel, in das der Sänger umzog, als er schon international Erfolg hatte. Zu Marleys Nachbarn gehörte seinerzeit Premierminister Michael Manley. Aufgewachsen aber ist Marley dort, wo noch heute das kreative Herz Jamaikas schlägt: in Trenchtown, einem Arbeiterviertel in Hafennähe.

Trenchtown war schon zu Marleys Lebzeiten keine gute Gegend. Ärmliche Wellblechhütten, vermüllte Strassen und Bettler zeugen davon, dass sich auch seit seinem Tod 1981 dort nicht viel verändert hat.

Friedensbotschafter inmitten von Gewalt

22 Jahre nach Marley wurde hier Garfield Williams geboren, ein hagerer, tätowierter Mann mit rasierter Glatze. Als er sechs Jahre alt war, wanderte seine Mutter mit ihm und seinem Bruder nach Kanada aus. 2010 kehrte er zurück nach Jamaika. Nicht, um sich vom hart verdienten Geld einen geruhsamen Lebensabend zu machen wie andere Rückkehrer, sondern um etwas zu verändern. Und zwar mit Kunsthandwerk.

In Zeiten Bob Marleys war Trenchtown Epizentrum der politischen Gewalt. In Jamaika herrschten damals bürgerkriegsähnliche Zustände, es bekämpften sich die Anhänger der beiden großen Parteien – die pro-kommunistische People‘s National Party (PNP) von Manley und die pro-US-amerikanische Jamaica Labour Party (JLP) von Edward Seaga.

Viel dieser Gewalt entlud sich in Trenchtown. Und mittendrin stand Marley mit seiner Rastafari-Bewegung. Ein einsamer, singender Friedensbotschafter, der sich nicht vereinnahmen lassen wollte. So wie heute Garfield Williams.

Es fehlt hier an allem. An Infrastruktur, an Arbeitsplätzen, an Perspektive.

Garfield Williams, Anwohner von Trenchtown und Betreiber des Kulturzentrums „Ceramic & Art Center“

Mittlerweile wird in Trenchtown nicht mehr um Politik, sondern um Drogen gekämpft. Der bunt angestrichene Schuppen mit Wellblechdach von Williams Ceramic & Art Center bildet einen Kontrast zur Gewalt. „Das hier ist eine Oase“, erzählt Williams, während er kraftvoll den Lehm umrührt, aus dem die Kinder am Tisch nebenan Figuren formen. Das Zentrum liegt etwas versteckt hinter einem Altersheim.

Bis zu 30 Kinder aus der Nachbarschaft kommen regelmäßig, nachmittags und am Wochenende. Ein paar Stunden lang können sie bei Williams ihren harten, entbehrungsreichen Alltag vergessen und ihrer kreativen Ader freien Lauf lassen. Einige der Lehrer kommen aus dem Altenheim, so wie der 65-jährige Abraham, der mit seinen schmalen, knorrigen Händen geschickt feingliedrige Rastafari-Figürchen herstellt, die im angeschlossenen Laden verkauft werden.

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Unter den Kindern, die an diesem Samstag zum Töpfern gekommen sind, sind Charisma, 9 und Jamila, 7. Die beiden sind Freundinnen. Ihre alleinerziehenden Mütter müssen auch am Wochenende arbeiten. Zuhause sei es langweilig, sagt Charisma, und ihre älteren Brüder hingen mit Freunden herum, vor denen sie sich fürchte.

Garfield Williams unterstützt Kinder aus Trenchtown dabei, sich kreativ auszudrücken.

© Sandra Weiss

„Hier im Zentrum lerne ich neue Dinge“, erzählt die Neunjährige, während sie den Tonballen vor sich auf dem Tisch energisch bearbeitet. „Schau mal, das wird eine Meerjungfrau.“

Vielen Kindern in Trenchtown fehle familiärer Halt, sagt Williams Mutter Verona. Sie lungern auf der Straße herum und geraten rasch auf die falsche Bahn. „Deshalb bin ich damals nach Kanada gegangen“, erzählt die 75-jährige Frau mit silbergrauem Haar und dicker Brille. Heute ist Auswandern schwieriger. Die Einwanderungshürden in die USA und Kanada sind höher.

Ausweg aus dem Teufelskreis

Gleichzeitig ist die Bevölkerung in Jamaika gewachsen. Oft teilen sich acht bis zehn Personen drei winzige Zimmer. Formelle Arbeit zu finden ist schwierig, viele Kinder brechen die Schule ab, weil kein Geld für Hefte und Schuluniformen da ist. Zermürbt von Armut zerbrechen Familien. Alkoholabhängigkeit, sexueller Missbrauch und intrafamiliäre Gewalt schaffen einen Kreislauf der Ausweglosigkeit in Trenchtown.

Ich bin oft der einzige, dem sich die Kinder anvertrauen.

Garfield Williams, Betreiber des Ceramic & Art Center in Trenchtown

„Es fehlt hier an allem“, sagt Williams „An Infrastruktur, an Arbeitsplätzen, an Perspektive.“ Vor allem aber an Liebe. „Ich bin oft der einzige, dem sich die Kinder anvertrauen“, erzählt er. Häufig sind es Geschichten von Missbrauch und Gewalt. Williams hört zu, gibt Ratschläge, vermittelt notfalls an die Behörden weiter.

Er habe Glück gehabt, dass er in Kanada aufwuchs, mit Zeltlagern, Sportmöglichkeiten, einem Kulturangebot. „Was ich dort gelernt habe, kann ich nun mit ihnen teilen“, sagt der 55-Jährige.

Bei ihm wird nicht nur getöpfert. Das Zentrum hat auch einen kleinen Park mit einem Spielplatz, aus Sperrholz und alten Autoreifen. Überall prangen Sprüche der Rastafari-Bewegung. Es geht „positive vibrations“, um den Stolz auf die Geschichte der Schwarzen, die einst als Sklaven nach Jamaika verschleppt wurden.

Das Kulturzentrum „Ceramic & Art Center“ gibt den Menschen aus Trenchtown Raum, ihre Kreativität auszuleben.

© Sandra Weiss

Und um gewaltlose Konfliktlösung – ganz wie bei Marley, der 1978 bei einem legendären One Love-One Peace-Konzert die beiden politischen Widersacher Manley und Seaga auf die Bühne holte und zu einem Händedruck veranlasste.

Auf die Idee mit dem Töpfern kam Williams, weil er das als Kind gerne tat – und weil es die dafür notwendige Tonerde billig in der Nähe gibt. Er selbst arbeitete in der Autoindustrie am Band, sein Erspartes ist inzwischen aufgebraucht, und das Zentrum trägt sich trotz des kleinen Verkaufsladens nicht selbst.

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Besser läuft es erst seit der Pandemie: Williams machte einen Kurs und lernte, das Zentrum besser zu vermarkten. Inzwischen ist er in sozialen Medien aktiv und mit Hotels und Andenkenläden in Kontakt, um für sie zu produzieren und interessierten Touristen Führungen anzubieten. Auch die Politik ist auf den umtriebigen Unternehmer aufmerksam geworden.

Das Stigma überwinden

Oppositionsführer Mark Golding von der PNP, zu dessen Wahlkreis Trenchtown gehört, sieht Williams als Vorbild: „Das Viertel hat ein Stigma von Drogen und Gewalt, aber hier gibt es unheimlich viele kreative Menschen“, sagt der kräftige Mann im Hawaiihemd. Er möchte die kreative Seite des Arbeiterviertes besser vermarkten, um so Tourismus nach Trenchtown bringen.

Mit Williams diskutiert Golding gerade über ein Verkaufsgeschäft des Ceramic & Art Centers im Culture Yard, einem vor 23 Jahren eröffneten Jugend- und Kulturzentrum in Trenchtown. Dort können Touristen den authentischen, aktuellen „Vibe“ des Viertels erleben und sich von Ortskundigen durchs Viertel führen lassen.

Noch wagen sich wenige in die Gegend, doch Golding hat Hoffnung: Nur sieben Kilometer Luftlinie entfernt legen die großen Kreuzfahrtschiffe an. Wenn auch nur ein kleiner Teil der Passagiere nach Trenchtown kommen würde, wäre dies ein wirtschaftlicher Lichtblick für das Viertel. Gerade den Jugendlichen würden sich neue Einkommenschancen eröffnen.

Die Reportage entstand auf einer Pressereise mit der TUI Care Foundation.

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