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In den Straßen Haitis regiert die Gewalt.

© Foto: picture alliance/AP/Odelyn Joseph

Bandenkriminalität, Armut, Cholera: Haiti versinkt in Chaos und Anarchie

Die Situation auf Haiti ist katastrophal. Die Menschen leiden unter Gangs, Hunger, einer korrupten Elite und Naturkatastrophen. Ist der Staat am Ende?

Das Martyrium der Frauen in Cité Soleil begann mit einer klaren Botschaft der Bandenchefs. Sie hätten im Beisein ihrer Lebensgefährten zu erscheinen. Was dann in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince passierte, ist nur schwer in Worte zu fassen.

Sechs Frauen mussten mitansehen, wie ihre Partner vor ihren Augen erschossen wurden. Dann wurden Frauen und Mädchen mehrfach vergewaltigt, ebenso wie werdende Mütter. Am Ende landeten deren Leichen grausam verstümmelt auf einer Müllhalde.

„Die Körper von Frauen und Mädchen werden oft als Kriegswaffe benutzt, als Botschaft an rivalisierende Gruppen“, heißt es in einem Bericht des Nationalen Netzwerks für die Verteidigung der Menschenrechte. Wer die Hölle überlebt, spricht nicht über das Geschehene – aus Furcht von den Banden.

Haiti ist das, was man einen gescheiterten Staat nennt. Verschiedene Gangs kontrollieren das Land, respektieren weder Gesetz noch Ordnung, zwingen vor allem Waisen- und Straßenkinder an die Waffen, weil diese mit der Aussicht auf schnelles Geld und Macht leichter zu manipulieren sind.

Zuletzt blockierten kriminelle Banden wochenlang das Treibstofflager des Landes, generatorbetriebene Krankenhäuser und Trinkwasseraufbereitungsanlagen hatten keinen Strom. Der Schwarzmarktpreis für einen Liter Trinkwasser stieg auf neun Dollar – unbezahlbar für die meisten Haitianer, von denen rund 4,7 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht sind. Für die Banden ist es allerdings ein einträgliches Geschäft.

„Mir scheint, dass die internationale Gemeinschaft Haiti aufgegeben hat“, sagt Sozialwissenschaftler Jacques D‘Adesky aus Rio de Janeiro. „Leider sind Port-au-Prince und Städte auf dem Land in den Händen von Banden, die sich durch eine ,Industrie‘ von Entführungen finanzieren.“ Die Konsequenz: Fast alle ausländischen Nichtregierungsorganisationen haben das Land aus Sicherheitsgründen verlassen.

Frauen werden oft Opfer der kriminellen Banden.
Frauen werden oft Opfer der kriminellen Banden.

© REUTERS / Foto: Reuters/Ralph Tedy Erol

Dabei sollte Haiti eine zweite Chance bekommen. Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 2010 mit mehr als 250.000 Toten und einer nahezu komplett zerstören Infrastruktur, gab es viele Versprechungen der Weltgemeinschaft.

Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon erklärte zu Beginn einer Geberkonferenz der Vereinten Nationen: „Wir müssen ein besseres Haiti schaffen, in dem nicht die meisten Menschen in Armut leben müssen und keine Chance auf Bildung haben. Wir haben einen konkreten Plan für den Wiederaufbau, und dieser Plan trägt eine haitianische Handschrift.“

156
Millionen Euro hat Deutschland seit 2010 in die Entwicklungszusammenarbeit investiert.

Allein aus Deutschland flossen seit 2010 fast 156 Millionen Euro in die Entwicklungszusammenarbeit. Mehr als die Hälfte der Summe wurde von Nichtregierungsorganisationen für Projekte genutzt.

Doch der Traum von einem neuen Haiti ist geplatzt. Korruption, ein bisweilen selbstherrliches Auftreten von NGOs, realitätsferne Konzepte und eine hyperbürokratische UN haben das Land noch tiefer in die Krise gestürzt und Vertrauen verspielt. Vor einem Jahr wurde Präsident Jovenel Moise ermordet, wer die Täter waren, ist bis heute nicht geklärt.

Tropenstürme zerstörten das wenige, das sich die Menschen selbst aufbauen konnten. Nun wütet auch noch die Cholera. Von Chaos und Anarchie profitieren vor allem die kriminellen Banden. Auch, weil sie von korrupten Politikern geduldet werden. Eigentlich hätten längst Neuwahlen stattfinden sollen. Aber die herrschenden Eliten wollen von ihrer Macht nicht lassen. Den Preis dafür zahlen auch Haitis Frauen.

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