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Emmanuel Macron (M), Präsident von Frankreich, spricht während eines Treffens im Élysée-Palast zu den Bürgermeistern aus Städten und Gemeinden, in denen die Ausschreitungen, nach dem Tod eines Jugendlichen bei einer Polizeikontrolle, besonders heftig waren.

© dpa/LUDOVIC MARIN

Aufarbeitung der Ausschreitungen in Frankreich: Präsident Macron nimmt sich Zeit

Beim Treffen mit 240 Bürgermeistern werden sehr konträre Forderungen laut. Wozu der Präsident neigt, kann bisher nur vermutet werden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nimmt sich Zeit. Für den Austausch mit den 240 Bürgermeistern, die seiner Einladung am Dienstagmittag in den Élysée-Palast gefolgt waren – der Präsident habe keine anschließenden Termine mehr, ließ das Präsidialamt wissen.

Und er nimmt sich Zeit mit der Verkündung politischer Konsequenzen nach den nächtelangen Gewaltexzesse in vielen französischen Städten. In einem Eingangsstatement sagte Macron bei dem Treffen nur, er wolle die „tieferen Ursachen“ verstehen, bevor er sich äußere.

Beobachter vermuten, dass der Präsident sich erst am Nationalfeiertag, dem 14. Juli, im traditionellen Fernseh-Interview zu Wort melden wolle. Kritiker empfinden das angesichts der außerordentlichen Ereignisse als spät. Macron äußerte sich vorsichtig optimistisch, dass der „Höhepunkt“ der Ausschreitungen überschritten sei.

Drohnen für die Polizei oder weniger Hausaufgaben?

So kamen die Bürgermeister zu Wort, die je nach politischer Ausrichtung sehr unterschiedliche Forderungen an die nationale Politik stellten.

Den Auftakt mache der Bürgermeister von Nanterre, wo der 17jährige Nahel am vergangenen Dienstag bei einer Verkehrskontrolle erschossen worden war. Er forderte eine stärkere soziale Mischung in den Vierteln und sprach die Polizeimethoden an, wie Teilnehmer mitteilten.

Der Bürgermeister der Kleinstadt Neuilly-sur-Marne, der über eine Liste parteiloser konservativer Kandidaten (DVD) gewählt worden war, setzt dagegen auf Unnachgiebigkeit, wie er dem Tagesspiegel vor dem Treffen erklärte.

Die andere Seite muss Angst bekommen.

Zartoshte Bakhtiari, Bürgermeister von Neuilly-sur-Seine

Zartoshte Bakhtiari fordert „absolute Härte“ in der strafrechtlichen Verfolgung der Täter und eine bessere Waffenausrüstung der Polizei. Auch eine gesetzliche Regelung zum Einsatz von Drohnen durch die Polizei steht auf seinem Wunschzettel. „Die andere Seite muss Angst bekommen“, sagt der 33jährige Jurist, der seit 2020 die 13 Kilometer östlich von Paris gelegene Stadt regiert.

Über die oft jugendlichen Täter sagt er, man könnte ihre Taten „nicht damit rechtfertigen, dass sie arm sind“. Auch schlechte Wohnbedingungen sind seiner Ansicht nach eine „Ausrede“. „Man muss nicht die Wohnhäuser verändern, sondern die Mentalitäten.“

Daher sei der Erziehungs- und Bildungssystem neben der Justiz der zweite Hebel, zumal die Eltern immer öfter machtlos scheinen. Auch hier wünscht Bakhtiari sich mehr Härte: Wenn Eltern ihre 13-Jährigen nicht von Gewaltakten abhalten könnten, „müssen sie in Internate geschickt werden können“, fordert er.

Es war ein großer Fehler, die bevölkerungsnahe Gemeindepolizei zu vernachlässigen.

Emmanuel Francois, Bürgermeister von St-Pierre-des-Corps

Im Gegensatz dazu erklärte der Bürgermeister von St-Pierre-des-Corps, einer 15.000-Einwohnerstadt bei Tours, vor allem Schule und Erziehungssystem müssten grundlegend reformiert werden. „Es reicht nicht, mehr Geld für Schulen auszugeben. Wir brauchen endlich neue, innovative Konzepte!“, sagte der parteilose Allgemeinarzt Emmanuel François vor dem Treffen im Élysée-Palast dem Tagesspiegel.

Mehr Sport, weniger Hausaufgaben

Es müsse neue Schulfächer geben: Toleranz und Akzeptanz von Unterschieden muss gelebt und gelehrt werden. Mehr Sport und Bewegung. Auch das Instrument der Hausaufgaben sollte überdacht werden: „Viele Kinder machen sie nicht und haben zu Hause keine Unterstützung dafür – das hängt benachteiligte Jugendlich weiter ab.“

François bezeichnet es als „großen Fehler“, die bürgernahe Gemeindepolizei zu lange vernachlässigt oder abgebaut zu haben. Diese Polizisten sollen nicht Kumpels der Jungs sein. „Aber sie haben doch einen anderen Zugang zu ihnen als die nationale Polizei oder Gendarmerie.“ Er beklagt, dass es in St-Pierre-des-Corps, der viertgrößten Stadt des Départements, nur einen Gemeindepolizisten gab und will aufstocken.

Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Forderungen der Bürgermeister, die sich auch in den konträren Forderungen der rechten und linken Parteien widerspiegeln, wird es spannend, wie Macron reagieren wird.

Politico zitiert einen nicht genannten Vertrauten Macrons, der wissen ließ, dass der Präsident über ein Art „Agenda der Verteidigung der Republik“ nachdenke. Zuallererst in den Schulen, durch stärkere Regulierung der sozialen Medien, durch Stärkung bürgerlichen Zusammenhalts. Damit hätte er umstrittene Themen wie Polizeireform und Rassismus aber erneut ausgeklammert.

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