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Syriens Präsident Bashar al-Assad im Oman.

© REUTERS/Syrian Presidency

Assad ist zurück: Wie das Erdbeben Syriens Präsidenten hilft

Dank der Erdbebendiplomatie feiert der syrische Diktator seine Rückkehr in die arabische Staatengemeinschaft. Nach vielen Zerwürfnissen. Um Moral ging es dabei nie.

Als der syrische Präsident Bashar al-Assad elf Tage nach dem Erdbeben eine Rede im syrischen Staatsfernsehen hielt, hörten ihm überraschend viele Menschen zu, nicht nur innerhalb Syriens, auch in der Region. Wichtige arabische Fernsehsender, im Besitz verschiedener Golfmonarchien, übertrugen Assads Worte – nach Jahren der Ablehnung oder Zurückhaltung gegenüber Damaskus.

Erwartungsgemäß dankte der syrische Machthaber den „arabischen Brüdern und Schwestern“ für ihre Unterstützung für die Erdbeben-Opfer, doch auf einmal klang die seit Jahrzehnten von der syrischen Baath-Partei propagierte Beschwörung der arabischen Nation nicht mehr hohl und verstaubt, sondern ziemlich real.

Assad ist zurück. Nach zwölf Jahren Funkstille empfängt er seit dem Erdbeben fast täglich Delegationen und Außenminister aus der Region, fliegt selbst zum Staatsbesuch nach Oman. Die Solidarität mit den Erdbebenopfern – tonnenweise landen täglich Hilfsgüter in Damaskus, Latakia und Aleppo – ist durchaus echt und entspricht dem Bedürfnis vieler Menschen im Nahen Osten und in Nordafrika, den leidgeprüften Syrerinnen und Syrern beizustehen.

Ägypten hatte bisher jeden offiziellen Kontakt vermieden

Zugleich nutzen die Machthaber der Region das Erdbeben als Vorwand, um ihre Beziehungen nach Damaskus zu normalisieren. Das gilt nicht nur für Länder, die schon länger auf Versöhnungskurs sind, wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Irak, Libanon, Algerien und Oman, sondern auch für Staaten, die bislang zögerten und aufseiten der Assad-Gegner standen.

Ägypten etwa – abhängig von US-Finanzhilfen und größter Empfänger deutscher Waffenexporte – hatte jeden offiziellen Kontakt vermieden, bis Präsident Abdel Fattah al-Sisi am Tag nach dem Beben erstmals mit Assad telefonierte. Auch Jordanien hatte seine Kontakte aus Rücksicht auf westliche Kritik an den Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes auf eine notwendige Arbeitsebene beschränkt, bevor der jordanische Außenminister jetzt persönlich nach Damaskus fuhr. 

Die für Assad wichtigste Entwicklung ist jedoch die Annäherung Saudi-Arabiens und Qatars, da die beiden Golfstaaten viel Geld haben und neben der Türkei als wichtigste Unterstützer der syrischen Exil-Opposition gelten. Der geplante Besuch des saudischen Außenministers in Damaskus könnte deshalb die vollständige Rehabilitation Assads in der Region einleiten – einschließlich der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga beim nächsten Gipfeltreffen in Riad Ende März. 

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Autokratien wollten politischen Islam in Syrien stärken

Moralische Bedenken gibt es dabei nicht. Für die Autokraten am Golf und die Militärdiktaturen in Ägypten und Algerien spielen Völkerrechtsverbrechen keine Rolle. Die 130.000 Menschen, die in Syrien bis heute verschwunden oder inhaftiert sind und in den Gefängnissen der Geheimdienste systematisch gefoltert werden, interessieren sie nicht.

Ihnen ging es in der Vergangenheit vielmehr darum, islamistische Kräfte innerhalb der Opposition zu stärken, um in Syrien einen politischen Islam zu etablieren. Darunter litten vor allem die liberalen Assad-Gegnerinnen und -Gegner, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit einsetzen und zwischen der Gewalt des Regimes und der Unterdrückung durch Extremisten aufgerieben wurden. 

Faleh al-Subaie (li.), von einer saudischen Hilfsorganisation spricht mit syrischen Helfern auf dem Flughafen von Aleppo. Saudi-Arabien will Syriens Regime wieder in die Arme schließen.

© AFP

Wenn Saudi-Arabien und Qatar nun auf den Kurs der VAE einschwenken – die Emirate hatten Assad bereits im März 2022 empfangen – dann sind sie getrieben von dem Wunsch, den mit russischer und iranischer Hilfe an der Macht gehaltenen syrischen Präsidenten in den arabischen Einflussbereich zurückzuholen. Denn so schwach und zerstört Syrien derzeit auch sein mag: Das Land bleibt aufgrund seiner geopolitischen Lage zwischen der Türkei, Israel, Iran, dem Mittelmeer und den arabischen Ländern eine wichtige Schnittstelle des Nahen Ostens. 

Saudi-Arabien will mehr Einfluss nehmen

Die vor Monaten geäußerte Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, sich mit Assad aussöhnen zu wollen, hat dabei wie ein Weckruf gewirkt. Syrien nicht nur an Russland und den Iran zu verlieren, sondern in Zukunft auch noch dem Einfluss der Türkei zu überlassen, muss aus Sicht Riads verhindert werden. 

Ende Dezember hatten sich die Verteidigungsminister der Türkei und Syriens in Moskau getroffen. Noch vor den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wollte Erdoğan Assad die Hand reichen. Hinter der schrittweisen Annäherung steckt Russlands Präsident Wladimir Putin, seit 2018 arbeitet er an der internationalen Rehabilitierung seines Schützlings Assad.

Putin hat militärisch und politisch viel investiert, um Assads Macht und damit seine eigenen geostrategischen Interessen im östlichen Mittelmeer zu sichern. Doch um Syrien zu stabilisieren, fehlt ihm das Geld. Für den Wiederaufbau der von seiner Luftwaffe und Assads Fassbomben schwer zerstörten Gebiete braucht Russland die Golfstaaten und den Westen – sie sollen zahlen, damit Moskau einen zuverlässigen Stellvertreter in der Levante hat. 

Noch verweigern EU und USA dem syrischen Regime Wiederaufbauhilfen. Sie schauen seit Jahren zu, wie Assad die von ihnen finanzierte humanitäre UN-Hilfe zum eigenen Machterhalt missbraucht. Lukrative Verträge gehen an regimenahe Firmen und Organisationen, den Menschen wird nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach Loyalität geholfen.

88
Prozent der syrischen Erdbebenopfer leben in Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden.

Trotzdem werden die Forderungen nach einem pragmatischeren Umgang mit Damaskus auch innerhalb Europas lauter. Nach dem Erdbeben schickten die EU und Italien einen Konvoi über den Libanon, Hilfsflüge aus Deutschland, Dänemark und Norwegen landeten direkt in Damaskus. Berichten zufolge fließt die aktuelle Nothilfe zu 90 Prozent an das Regime, obwohl 88 Prozent der syrischen Erdbebenopfer in Gebieten leben, die von oppositionellen Kräften kontrolliert werden. 

Der arabische Schulterschluss mit Assad zeigt vor allem, dass die Herrschenden in Nahost ihre Außenpolitik nicht mehr an Washington ausrichten, sondern längst diversifiziert haben. Russland und China gelten in der Region als wichtige Gegengewichte zum amerikanischen und europäischen Einfluss, die Golfstaaten agieren in einer multipolaren Weltordnung unabhängig und effektiv. 

Wie sich Verbündete stets zum eigenen Vorteil gegeneinander ausspielen lassen, macht Erdoğan seit Jahren vor. Als Nato-Mitglied und Vermittler im Ukrainekrieg ist er für den Westen unverzichtbar, gleichzeitig stimmt er sich eng mit Putin ab.

Solidarität mit Menschen in Syrien kann Erdoğan sich nicht leisten, solange ihm die Versorgung der eigenen Bevölkerung nicht gelingt. 

Kristin Helberg, Syrien-Spezialistin

In seinem Wunsch, die Wahlen zu gewinnen, hatte sich Erdoğan deshalb auf den Vorschlag Moskaus zur Rehabilitierung Assads eingelassen. Das syrische Regime sollte ihm helfen, Geflüchtete aus der Türkei zurückzuführen und die als existenzielle Bedrohung hochstilisierte kurdisch geprägte Autonomieregion in Nordostsyrien zu zerschlagen. 

Die Normalisierung der türkisch-syrischen Beziehungen ist durch das Erdbeben jedoch ins Stocken geraten. Erdoğan und Assad kämpfen beide um den Machterhalt. Doch während es für den syrischen Machthaber an der Außenfront gut läuft, steht der türkische Präsident im Inneren massiv unter Druck. Solidarität mit den Menschen in Syrien kann Erdoğan sich nicht leisten, solange ihm nicht einmal die Versorgung der eigenen Bevölkerung gelingt. 

Lastwagen mit Hilfsgütern einer kurdischen Hilfsorganisation am Grenzübergang zwischen der Türkei und einem von Rebellen kontrollierten Teil Syriens.

© AFP

Umgekehrt ist Assad dank seiner Resozialisierung in die arabische Nachbarschaft nicht mehr auf den Handschlag mit Erdoğan angewiesen, zumal er sich einer Einigung mit Ankara auch sicher sein kann, wenn die nationalistische Opposition die nächste Regierung stellt.

Das syrische Regime wird deshalb das Ergebnis der Wahlen abwarten und dann auf einen Abzug der türkischen Truppen aus Nordsyrien bestehen. Ankara könnte dieser Forderung nachkommen, denn die türkisch besetzten Gebiete entlang der Grenze sind angesichts ihrer schweren Erdbebenschäden eine zusätzliche Belastung geworden. Das syrische Regime müsste umgekehrt zusagen, die kurdische Selbstverwaltung aufzulösen und im Nordosten wieder selbst zu herrschen. 

Bleibt das Problem der Geflüchteten. Für die meisten Syrerinnen und Syrer in der Türkei ist eine Rückkehr in Gebiete unter Assads Kontrolle keine Option, da sie Verfolgung, Verhaftung und Zwangsrekrutierung fürchten.

Tausende machen sich dennoch auf den Weg ins oppositionell kontrollierte und schwer zerstörte Idlib. 1,7 Millionen syrische Menschen leben in den türkischen Erdbebengebieten, viele haben alles verloren und bekommen keine staatliche Unterstützung. In Nordsyrien können sie zwar nicht mit internationaler Hilfe rechnen, dafür aber mit der Solidarität ihrer Landsleute. 

Die Lage in der von Extremisten kontrollierten Region wird dadurch noch verzweifelter. Seit Jahren suchen die Vertriebenen des Assad-Regimes hier Schutz; den brauchen nun auch rückkehrende Erdbebenopfer aus der Türkei. Umso dringender ist die internationale humanitäre Hilfe, die noch immer viel zu zögerlich ankommt. Drei Grenzübergänge sind inzwischen geöffnet, laut Nichtregierungsorganisationen werden die Konvois jetzt von den bürokratischen Bestimmungen der Vereinten Nationen aufgehalten. 

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