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Jüdische Wohnhäuser im 14. Arrondissement von Paris wurden mit Davidsternen markiert.

© imago/Le Pictorium/IMAGO/Julien Mattia / Le Pictorium

Antisemitismus in Frankreich: Die Angst der größten jüdischen Gemeinschaft Europas

In den vergangenen Wochen kam es in Frankreich zu mehr als 1000 antisemitischen Vorfällen. Juden vertrauen nur bedingt darauf, dass der Staat sie schützt.

Die Synagoge in Charenton-le-Pont liegt in unmittelbarer Nähe des örtlichen Polizeikommissariats. Doch als Schutz reicht das nicht. Regelmäßig patrouillieren derzeit schwer bewaffnete Soldaten in dem Pariser Vorort, wo eine große jüdische Gemeinde lebt.

Wie überall in Frankreich leben deren Mitglieder in Angst, seitdem die Hamas vor einem Monat Israel angegriffen haben. Jüdische Schulen ermahnen Eltern, ihre Kinder morgens schnell zu bringen und vorsichtig zu sein. „Nehmen Sie ihnen die Kippas ab“, riet eine Pariser Einrichtung.

Diese Sorge unterstreichen die neusten Zahlen, die Innenminister Gérald Darmanin am Wochenende bekannt gab. Demnach wurden seit dem 7. Oktober landesweit 1040 antisemitische Taten gezählt, in deren Zusammenhang es 486 Festnahmen gab.

Vor wenigen Tagen wurde eine Schulmauer in Straßburg mit Hakenkreuzen beschmiert. Ein Israeli erstattete am Wochenende Anzeige in Paris: Seinen Angaben zufolge hatten ihn vier Unbekannte angegriffen, nachdem sie seine Davidstern-Tätowierung am Handgelenk gesehen hatten.

In Lyon wurde einer jüdischen Frau zweimal in den Unterbauch gestochen

Besonders erschütterte der Fall einer jungen Frau in Lyon, die Opfer eines Messerangriffs vor ihrer Haustüre wurde. Laut ihrer Aussage stach ihr ein Vermummter zweimal in den Unterbauch, bevor er verschwand. Später wurde ein Hakenkreuz an ihrer Türe entdeckt, an der eine Mesusa, ein jüdisches Kultobjekt, hing. Ermittlungen wegen eines möglicherweise antisemitischen Motivs laufen.

Französische Medien warnen allerdings mit Verweis auf polizeiliche Quellen vor voreiligen Schlüssen. Die zweifache Mutter befand sich in einer schwierigen Scheidung; ihr Wohnviertel war nicht speziell als jüdisches bekannt.

Doch Vorfälle wie diese erhöhen das Unsicherheitsgefühl der Juden in Frankreich. Ihre Zahl wird auf knapp 600.000 geschätzt – mehr als in jedem anderen Land in Europa.

Zugleich leben hier rund sechs Millionen Muslime. Propalästinensische Kundgebungen wurden mehrmals verboten, doch fanden sie statt, beteiligten sich deutlich mehr Menschen daran als an den Demonstrationen zur Solidarität mit Israel.

600.000
Jüdinnen und Juden leben in Frankreich  – so viele wie in keinem anderen europäischen Land.

Der Oberrabbiner Frankreichs, Haïm Korsia, beklagte die Gleichgültigkeit vieler, wenn Juden zur Zielscheibe würden – „so als herrsche in einem Teil der Gesellschaft der Eindruck vor, dass jeder eine Rolle hat und unsere Rolle bestünde darin, angegriffen zu werden“. Einer Umfrage zufolge äußerten 34 Prozent der Menschen in Frankreich weder Sympathie noch Antipathie gegenüber der Hamas.

Der 43-jährige Präsident der jüdischen Dachorganisation CRIF, Yonathan Arfi, sagt von sich, er gehöre zu der Generation, „die in Angst aufgewachsen“ sei, denn nach jeder Intifada nehmen die antisemitischen Taten in Frankreich zu.

Die Juden in Frankreich vertrauen nur bedingt in die Fähigkeit des französischen Staates, sie vor Antisemitismus zu beschützen.

Danny Trom, Soziologe am Forschungszentrum CNRS

Mehrmals wurden dort Menschen aufgrund ihres jüdischen Glaubens getötet, unter anderem 2012 und 2015 bei Terrorattentaten auf eine jüdische Schule in Toulouse sowie einen koscheren Supermarkt in Paris. Wanderten sonst jährlich rund 2000 Menschen nach Israel aus, so waren es in diesen Jahren bis zu 8000, bevor die Zahl wieder sank.

„Die Juden in Frankreich vertrauen nur bedingt in die Fähigkeit des französischen Staates, sie vor Antisemitismus zu beschützen, und vertrauten absolut in die Fähigkeit Israels, sie im Zweifelsfall aufzunehmen“, sagt Danny Trom, Soziologe am Forschungszentrum CNRS. Doch seit dem 7. Oktober gelte das nicht mehr. „Wenn Israel Ziel von Attacken wird und eine Welle des Antisemitismus in Frankreich folgt, fühlen sie sich von allen Seiten angegriffen.“

Angestachelt werde der Judenhass von mehreren Seiten. Besonders einflussreich sind der wegen Terrorverherrlichung verurteilte Komiker Dieudonné sowie der Schweizer Islamforscher Tariq Ramadan, der den Muslimbrüdern nahesteht.

Doch auch die Linkspartei LFI steht in der Kritik, da sie es ablehnt, die Taten der Hamas als Terror-Angriff zu bezeichnen. Kritiker werfen ihr vor, dies auch aus wahltaktischen Gründen zu tun, da Muslime zu ihrer größten Wählergruppe zählen.

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