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Die frühere Nachrichtensprecherin Eva Kaili war in Griechenland bereits eine prominente Person, bevor sie Europaabgeordnete wurde. 

© AFP/Getty Images/SOOC/Menelaos Myrillas

„Als Politikerin wurde Kaili nie richtig ernstgenommen“: So blickt Griechenland auf den EU-Korruptionsskandal

Die Affäre um die EU-Abgeordnete Kaili spielt für die Griechen keine große Rolle, sagt Politikwissenschaftler Dimitris Christopoulos. Denn das Land wird von einem Abhörskandal erschüttert.

Das Europaparlament hat die griechische Abgeordnete Eva Kaili, die sich wegen schwerer Korruptionsvorwürfe vor Gericht verantworten muss, am Dienstag als Vizepräsidentin abgesetzt. Wie nimmt die griechische Öffentlichkeit den Skandal wahr?
Die Reaktionen sind gespalten. Es gibt Griechen, die das als klassischen EU-Korruptionsskandal betrachten, der Brüssel erschüttert. Sie sehen es im Zusammenhang mit der mangelnden Legitimität der europäischen Organe und der Existenz illegitimer Lobbys. Für andere dagegen steht im Mittelpunkt, dass Kaili Griechin ist und der sozialdemokratischen Pasok-Partei angehörte, die in der Vergangenheit immer wieder in Skandale verwickelt war.

Verstärken die Enthüllungen um Kaili den Euroskeptizismus mancher Griechen?
Ja und nein. Die einen fühlen sich dadurch in ihrer Skepsis bestätigt. Eine Kerbe, in die der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán am Dienstag dann mit seinen schadenfrohen Tweets geschlagen hat.

Für die anderen steht das Positive im Vordergrund, nämlich dass es in Brüssel Staatsanwälte gibt, die ihren Job machen, und das tun, was nötig ist, um Recht, Sicherheit und Ordnung durchzusetzen. Dass die Rechtsstaatlichkeit hier in Brüssel nämlich funktioniert – anders als in Griechenland, wo wir unseren eigenen Skandal haben und die Justiz nicht viel dagegen unternimmt.

Sie beziehen sich auf den Abhörskandal …
Genau. Seit August wird Griechenland von dieser unglaublichen Geschichte geplagt. Die griechischen Sicherheitsdienste scheinen unter die Räder gekommen zu sein. Nikos Androulakis, der Vorsitzender der Pasok und Europaabgeordneter ist, wurde abgehört sowie auch einige Journalisten.

Immer wieder gibt es neue Enthüllungen. Es wirkt wie die Spitze des Eisbergs: eine weitreichende Praxis des Einsatzes illegaler Spionagesoftware, die durch den griechischen Staat angestoßen und umgesetzt wurde. Das ist aus meiner Sicht der größte Skandal seit Gründung der griechischen Republik 1974.

Stellen Sie sich vor: Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat ein System zum Abhören seiner eigenen Mitarbeiter im Parlament und in der Regierung eingerichtet. Die Affäre um Kaili verblasst demgegenüber.

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Kaili war in Griechenland bereits eine prominente Person, bevor sie Europaabgeordnete wurde. Sie war Nachrichtensprecherin und Abgeordnete im griechischen Parlament. Unter anderem durch ihre Kontakte zu griechisch-russischen Oligarchen war sie nicht unumstritten. Wie schaut die griechische Öffentlichkeit auf sie?
Kaili ist eine gutaussehende Frau, die es geschafft hat. Das spielt eine Rolle, wenn man nun die abfälligen und reaktionären Kommentare über sie sieht. Einen Teil der öffentlichen Reaktionen muss man schlicht als sexistisch bezeichnen.

Politisch war Kaili etwas unberechenbar: Sie gehörte zum sehr rechten Flügel der Pasok und war immer äußerst bemüht, eng mit der konservativen Partei Neue Demokratie zusammenzuarbeiten. Obwohl Kaili in Griechenland eine berühmte Persönlichkeit ist, wurde sie von der Öffentlichkeit nie sehr ernstgenommen.

Ich kann man nicht erinnern, dass sie jemals etwas von Substanz gesagt hätte. 

Dimitris Christopoulos über Eva Kaili

Die Pasok hat Kaili am 9. Dezember ausgeschlossen. Was bedeutet der Skandal für die seit Jahren geschwächten griechischen Sozialdemokraten, die gerade versuchen, mit neuem Schwung in die Wahlen im Frühjahr 2023 zu gehen?
Es ist ein ganz großes Thema für die Partei. Einerseits hat man Kaili als Politikerin nie so richtig ernstgenommen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals etwas von Substanz gesagt hätte. Andererseits war sie eine der exponiertesten Figuren der Partei. Was bizarr war, denn Kaili stand im Europäischen Parlament der konservativen Europäischen Volkspartei näher als ihrer eigenen Fraktion. Sie war eher eine nominelle Sozialdemokratin.

Gab es schon früher Überlegungen, Kaili aus der Partei auszuschließen?
Das ist eine sehr gute Frage. Aber die Antwort lautet nein – obwohl es dazu in den letzten Jahren mehrere Gelegenheiten gegeben hätte. Aber die Pasok ist derzeit eine sehr schwache Partei und hat das Selbstbewusstsein verloren, das sie noch vor zehn, 15 Jahren hatte.

Wie bewerten Sie den Schaden, den der Brüsseler Korruptionsskandal für Griechenland verursacht?
Die Kaili-Affäre ist für Griechenland nicht zentral. Der Schaden, der durch den Abhörskandal entsteht, ist um ein Vielfaches höher und bedeutender.

Ich denke, dass die größte Gefahr für Griechenland die Wiederbelebung einer Art orientalistischer Wahrnehmung des Landes ist – so wie sie während der Krisenjahre in Deutschland besonders lebendig und lautstark war. Das hat aber mehr mit dem Abhörskandal zu tun. Er droht Griechenland den Anschein eines „Ausnahmestaats“ zu verliehen – als ob so etwas nur bei uns geschehen könne.

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