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Historische Umarmung: Bundeskanzler Adenauer und Präsident de Gaulle bei der Vertragsunterzeichnung 1963.

© dpa/UPI

60 Jahre Élysée-Vertrag: Vom Wunder zu abgedroschenen Metaphern

Die vielbeschworene Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich hat an Schwung verloren. Aber ein Blick auf die Etappen der Beziehung zeigt: Es ist ein Grund zum Feiern.

Ein Gastbeitrag von Pascale Hugues

Man könnte genervt sein von diesem obligatorischen Geburtstag. Man könnte sich lustig machen über die abgedroschenen Metaphern: das Paar, der Motor, das Tandem, das Duo.  Man könnte auf Podiumsdiskussionen in Gedanken den nächsten Urlaub planen, während alte Herren über die glorreiche deutsch-französische Freundschaft monologisieren.

Man könnte auch lachen über schlecht zusammenpassende Paare wie Kohl, den Pfälzer Kloß, und Mitterrand, den Grandseigneur und über „den Autisten und den Bulldozer“, wie Kanzler Scholz und Präsident Macron in gut informierten Kreisen hinter vorgehaltener Hand genannt werden.

Wie weit entfernt erscheint heute der intime Moment, als Angela anlässlich der Gedenkfeier zum hundertsten Jahrestag des Endes des ersten Weltkrieges ihren Kopf auf die Schulter von Emmanuel legte, und er ihre Hand hielt! Eine solche Demonstration gegenseitiger Sympathie zwischen Olaf Scholz und Emmanuel Macron sucht man vergeblich.  Der Funke springt nicht wirklich über zwischen den beiden.

„Nie ohne Frankreich“ scheint vorbei zu sein

Man könnte auch all die Dinge hervorheben, die im Moment nicht funktionieren. Im letzten Herbst hatte das Paar zugegebenermaßen eine schwierige Phase. Olaf Scholz verkündete die „Zeitenwende“ und bestellte umgehend amerikanische F35-Kampfjets.

Berlins beschwichtigende Worte, Deutschland ziehe die USA nicht Europa vor, nützten da wenig: In Frankreichs Augen war diese Entscheidung eine Gefahr für das europäische Projekt zur Entwicklung des deutsch-französischen Kampfflugzeugs SCAF.

Eine weitere Initiative, die Paris sehr verärgerte, war die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zur Einrichtung eines europäischen Raketenabwehrschildes durch Olaf Scholz zusammen mit 14 anderen EU-Mitgliedern – ohne Frankreich.

200
Milliarden Euro stellte Scholz wegen der Energiekrise bereit, ohne Frankreich zu konsultieren

Auch in Energiefragen stockt die Kommunikation. Als Olaf Scholz seine 200 Milliarden Euro zur Bewältigung der steigenden Energiepreise bereitstellte, konsultierte er Paris vorher nicht. Die Franzosen sehen darin die Bestätigung von „Germany first“.

Emmanuel Macron rügte daraufhin seinen „Freund Olaf“, warnte ihn vor einer „Isolation“ Deutschlands. In Paris spekuliert man: Ist Helmut Schmidts Motto „Nie ohne Frankreich“ überhaupt noch aktuell? Ist Deutschland dabei, seine Verankerung im Westen zugunsten von Bündnissen im Osten zu lockern? Ein alter französischer Albtraum. Manche fragen sich sogar, ob Paris und Berlin noch die gleiche Vision für Europa haben.

Keine gemeinsame Vision für Europa

Der Krieg in der Ukraine offenbart deutsch-französische Dissonanzen, die seit einem Jahrzehnt unter den Teppich gekehrt worden waren. Der „Motor“ war in den letzten Jahren ins Stottern geraten. Es gab nur wenige gemeinsame Initiativen von großer Tragweite; der Wiederaufbaufonds während der Pandemie war eher eine Ausnahme.

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Angela Merkel war eine geschickte Krisenmanagerin, hat es aber nie geschafft, eine langfristige Vision für Europa zu formulieren. Sie hat nie auf die Sorbonne-Rede reagiert, in der der junge Präsident Macron bei seinem Amtsantritt 2017 eine Strategie zur Erneuerung der EU entwarf.

Kurzum, es wäre einfach, diese komplexe, manchmal schwierige, aber noch immer unumgängliche Beziehung endlos zu verunglimpfen, die heute ihre diamantene Hochzeit feiert. Und dann schaut man sich die Schwarz-Weiß-Bilder von der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags an.

Also schluckt man seine Überheblichkeit hinunter und denkt: Dieser Vertrag ist ein wahres Wunder.

Pascale Hugues, französische Journalistin und Schriftstellerin

Zwei steife Patriarchen sitzen nebeneinander an einem großen ovalen Tisch unter den Kronleuchtern des „château“ (Schloss), wie man in Frankreich den Sitz des Präsidenten nennt. Der letzte Krieg ist gerade mal 18 Jahre vorbei. Den Franzosen und Deutschen steckt er noch immer in den Knochen. Er ist in den Anekdoten, dem Schweigen und den Lügen an den Familientischen auf beiden Seiten des Rheins präsent.

1963 war der Hass auf die Deutschen noch groß

Er ist in den Kriegsfilmen im Fernsehen zu sehen, in denen Wehrmachtsoffiziere Befehle brüllen, als ob Deutsche sich nicht anders ausdrücken könnten. Und er ist in den Stein aller Kriegerdenkmäler in jedem noch so kleinen Dorf in Deutschland und Frankreich gemeißelt:  endlose Listen der Söhne, die fürs Vaterland starben.

1963 gab es in Frankreich noch einen hartnäckigen Hass auf die Boches, die Fridolins, die Schleus (sprich: Schlöh). Viele Franzosen weigerten sich, nur einen Fuß nach Deutschland zu setzen. Sie hatten Pétains Kollaboration schnell vergessen und brüsteten sich mit einem altbackenen Patriotismus, der aus heutiger Sicht lächerlich erscheint.

In Deutschland gab es immer noch ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Nachbarn, eine bleierne Decke lag auf der Vergangenheit. Aber trotz schrecklicher Erinnerungen, die noch so lebendig waren, trotz Groll, Schmerz und unausgesprochener Worte hatten diese beiden Männer den Mut, einen Freundschafts- und Kooperationsvertrag zu unterzeichnen, der ihre beiden Länder bis heute trägt.

Also schluckt man seine Überheblichkeit hinunter und denkt: Dieser Vertrag ist ein wahres Wunder. Dieser sechzigste Jahrestag ist es wert, gefeiert zu werden.

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