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Oppositionsführer Donald Tusk und Lech Walesa, Gründer der Gewerkschaft Solidarnosc und Friedensnobelpreisträger, marschieren mit jungen  Polinnen in der ersten Reihe bei der Kundgebung in Warschau.

© Imago/Beata Zawrzel

500.000 Demonstranten in Polen: „Die Polarisierung nutzt bisher meist der PiS“

Vor der Wahl im Herbst sehen Experten „enorme Energie“ bei der Opposition und einen Stimmungsumschwung zu ihren Gunsten, halten das Rennen aber für offen.

Es war die größte Kundgebung in Polen seit Jahrzehnten. 500.000 Menschen folgten der Einladung des Oppositionsführers Donald Tusk zum „Marsch der Hoffnung“ in die Hauptstadt Warschau. Auch in anderen Städten demonstrierten Bürger gegen die nationalpopulistische Regierungspartei PiS.

Wie stehen aus Sicht von Experten die Chancen der Opposition, die PiS nach acht Jahren an der Macht zu besiegen?

„Bei der Kundgebung war eine ganz besondere Stimmung zu spüren und enorme Energie“, sagt Agnieszka Lada, Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts (dpi) in Darmstadt. „Die Teilnehmer sind voller Hoffnung. Sie glauben diesmal, dass ein Sieg und politische Veränderungen möglich sind.“

Regierungspartei PiS „zeigt Schwäche“

Kai-Olaf Lang, Polen-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, bewertet den Marsch als „Erfolg für die proeuropäische Opposition, genauer: für deren wichtigste Kraft, die Bürgerkoalition, und deren Chef Donald Tusk.“

Auch Lang sieht einen Stimmungswandel. „Die PiS wirkt erstaunt und ratlos. Sie redet die Teilnehmerzahlen klein. Regierungsnahe Medien ignorieren den Marsch oder stellen ihn als Demonstration polnischer Wutbürger dar. Die PiS zeigt insofern Schwäche.“

Umgekehrt „beginnt die Opposition, die über Monate nicht recht vom Fleck kam und uninspiriert wirkte, an sich und die Möglichkeit eines Machtwechsels zu glauben.“

Die Opposition wirkte über Monate uninspiriert. Jetzt beginnt sie an die Möglichkeit eines Machtwechsels zu glauben.

Kai-Olaf Lang, Polen-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Fürs erste habe die PiS zur Mobilisierung der Opposition beigetragen, meint Lang. Das umstrittene Gesetz zur Einrichtung einer Kommission zur Aufklärung russischer Einflussnahme „wirkte wie ein Stimulus für viele Menschen, um ihren Unmut über die Politik der Regierung kundzutun. Und brachte auch kleinere Parteien der Opposition, konkret das Bündnis aus der Bauernpartei und der zentristischen Polska 2050, dazu mitzumarschieren – trotz ihrer Befürchtung, von der Bürgerkoalition vereinnahmt zu werden.“

Das Gesetz über die Sonderkommission, das Präsident Andrzej Duda vor einigen Tagen mit seiner Unterschrift in Kraft setzte, würde es ermöglichen, Beschuldigte für zehn Jahre von öffentlichen Ämtern auszuschließen. Eine Berufung vor ordentlichen Gerichten ist nicht vorgesehen. Beobachter sprechen von einer „Lex Tusk“, die sich gegen den Oppositionsführer richte.

Wird diese Stimmung bis zur Wahl im Herbst anhalten?

Agnieszka Lada, Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts (dpi) in Darmstadt.

Die Massenproteste versetzen die Opposition in Euphorie. „Aber wird diese Stimmung bis zur Wahl im Herbst anhalten?“, fragt Agnieszka Lada warnend. „Einen Machtwechsel wird es nur geben, wenn sich andere Oppositionskräfte mit der Bürgerkoalition zusammenschließen.“

Auch für Lang ist die Lage offen. „Der Marsch vom 4. Juni ist eine Momentaufnahme. Die Opposition sendet mit den Hunderttausenden in Warschau ein starkes Signal. Aber ob der Tusk-Express in Schwung kommt, ist keineswegs ausgemacht.“ Eine forcierte Polarisierung habe in der Vergangenheit meist der PiS genutzt.

Für den Moment habe die Regierung die Oppositionsanhänger mobilisiert, analysiert Lang. Aber in einer Gegenbewegung wird das „ihr eigenes Lager anspornen. Der Tumult um die Untersuchungskommission wird die PiS-Wählerschaft aufstacheln.“

Die Polarisierung richte sich derzeit nicht gegen die Opposition insgesamt, sondern gegen die Person Donald Tusk, erläutert Lang. „Das ist riskant. Doch die PiS weiß, dass Tusk ein starkes Negativelektorat hat und es ihm schwerfallen wird, an Popularität zu gewinnen.“

Für die PiS wiederum kam das starke Auftreten der Opposition früh genug, um Konsequenzen zu ziehen, sagt Lang. „Sie wird abermals mit einer effektiven Mischung aus permanenter Unberechenbarkeit, sozialer Wärme und emotionalen Appellen in die Offensive gehen.“

„Eines ist sicher“, fasst Lang zusammen. „Bis zu den Wahlen im Herbst liegen noch ruppige Wochen eines harten Wahlkampfs voller Überraschungen vor Polen. Und die PiS wird dabei wie gewohnt alle Register ziehen.“

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