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Vielversprechender als Solarmodule. Grüner Wasserstoff ist ein erfolgsversprechender Energieträger für den Ersatz von Erdgas. Er wird aus Wasser hergestellt, indem Sauerstoff von Wasserstoff durch Elektrolyse getrennt wird.

© Getty Images

Innovationspreis Berlin Brandenburg: Es geht nicht nur um Windmühlen

Technologischer Wandel kann durch eine Rückbesinnung auf frühere Zeiten neu gedacht werden. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt die Umstellungsprozesse

Von Massimo Maoret

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine offenbarte eine der größten Schwächen der europäischen Volkswirtschaften – die enorme Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten. Große europäische Volkswirtschaften wie Deutschland und Italien beziehen über 40 Prozent des Gasbedarfs von Russland.

Kurzfristig können nur alternative Lieferanten helfen

Kurzfristig kann die Abhängigkeit nur durch alternative Lieferanten wie die USA und Katar verringert werden. Deren Gas ist jedoch teurer. Es wird nicht direkt durch Pipelines, sondern in flüssiger Form per Schiff transportiert, und Verflüssigungs- und Rückvergasungsprozesse treiben die Kosten weiter in die Höhe. Außerdem würde diese Verlagerung das Problem eher unter den Teppich kehren, anstatt es zu lösen: Wir wären weiterhin auf Quellen außerhalb der EU angewiesen, wenn auch hoffentlich von zuverlässigeren Partnern.

Massimo Maoret ist Associate Professor im Strategic Management Department der IESE Business School und ein European Commission Marie Curie Fellow. Innovation ist einer seiner Forschungsschwerpunkte. Maoret ist Redaktionsbeirat in angesehenen Wissenschaftspublikationen wie Organization Science, Academy of Management Journal, Journal of Management, Journal of Management Studies und Organization Studies. Bei IESE unterrichtet Prof. Maoret zu den Themen Strategy Execution, Energiewende, Strategie und Geopolitik sowie Organisationstheorie.

© IESE Business School

Glücklicherweise kommen uns Technologie und Innovation zur Hilfe. Technologien für erneuerbare Energien, die auf dem Weltmarkt Fuß fassen, kommen zu einem großen Teil aus Europa. Diese Technologien können wir nun nutzen, um Gas sowohl bei der Stromerzeugung als auch bei all unserem anderen Energiebedarf zu ersetzen. Grüne Technologien werden oft als futuristisch angesehen, sie sind aber in gewisser Weise ein Sprung in die Vergangenheit. Vaclav Smil beschreibt in seinem Buch „Energy and Civilization: A History“, wie die Menschheit ihren Energiebedarf jahrtausendelang in erster Linie durch die Kraft der Sonne, genauer die Photosynthese der Pflanzen, des Wassers und des Windes deckte.

Stromerzeugung durch Wind und über Photovoltaik ist preiswerter als die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas

Smil berichtet, dass im späten neunzehnten Jahrhundert allein in den Niederlanden 12.000 und in Deutschland 18.000 Windmühlen in Betrieb waren. In gewissem Sinne „entdecken“ wir also alte Technologien wieder neu und können sie dank technologischer Innovation sehr viel effizienter gestalten. In der Tat ist die Stromerzeugung durch Wind (über Windräder an Land) und Solarenergie (über Photovoltaikzellen) über 50 Prozent billiger als die Verbrennung herkömmlicher Brennstoffe wie Kohle, Öl, Gas und die Kernspaltung.

Die Lieferketten für Wind- und Solarenergie stehen nicht vollständig unter europäischer Kontrolle

Massimo Maoret | IESE Business School

Sind wir also bereit, uns von Erdgas und Erdöl zu verabschieden? Leider nicht ganz. Die so genannte „Energiewende“ ist nichts anderes als der größte und grundlegendste Technologiewandel in der Geschichte der Menschheit. Einige Probleme gilt es noch zu lösen. Die Lieferketten für Wind- und Solarenergie stehen nicht vollständig unter europäischer Kontrolle, bei mehreren kritischen Komponenten sind wir noch immer von außereuropäischen Ländern abhängig.

Was die Wertschöpfungskette der Windenergie angeht, sind wir autonomer. Die europäischen Lieferanten bieten einige der besten derzeit verfügbaren Technologien an. Die dänische Vestas, die deutsch-spanische Siemens Gamesa und die Nordex-Gruppe sind globale Giganten, die die hochwertigsten und technologisch fortschrittlichsten Windturbinen herstellen und diese zu einem großen Teil in Europa produzieren.

Ein möglicher Engpass in der Wertschöpfungskette der Windenergie besteht in der Verfügbarkeit von „Permanentmagneten“, leistungsstarken, wartungsarmen und effizienten Komponenten von Windkraftanlagen, für deren Herstellung man „Seltene Erden“ wie Neodym und Dysprosium benötigt. Schätzungsweise ein Drittel der Reserven an Seltenen Erden wird in China vermutet, das die weltweite Produktion derzeit monopolisiert. Andere Länder wie Vietnam, Brasilien, Russland, Indien, Australien, die USA und Grönland – und sogar die Donbass-Region in der Ukraine – verfügen über relevante Mengen dieser wertvollen Elemente und versuchen auch, den Abbau zu steigern, was leider sehr ineffizient und umweltschädlich ist.

Sonne ist die perfekte Energiequelle: zuverlässig und vorhersehbar

Die Windenergie bedarf daher der Ergänzung durch die Solarenergie. Die Sonne ist zuverlässig und weitgehend vorhersehbar, was sie zur perfekten Energiequelle macht. Wir wandeln die Sonneneinstrahlung über Photovoltaikzellen (PV) in elektrischen Strom um. Durch Innovationen in diesem Technologiebereich sanken die Kosten seit 2010 um 82 Prozent, Solarenergie ist heute die günstigste Stromquelle und zieht einen der größten Anteile der privaten Investitionen im Energiesektor auf sich.

Allerdings nimmt China derzeit in der solaren Wertschöpfungskette eine entscheidende Position ein. China zeichnet inzwischen für mehr als 75 Prozent der weltweiten Produktion von PV-Modulen und fast 90 Prozent der globalen Produktion von Polysilizium, dem Grundstoff der Produktion von Photovoltaikzellen, verantwortlich.

Europäische Unternehmen wie die Schweizer Meyer Burger stellen zwar nach wie vor die hochmodernen Maschinen her, die für das Schneiden von Siliziumwafern und die Produktion von PV-Zellen benötigt werden – die Verlagerung der Modulproduktion nach Europa wird aber aufgrund der langen Vorlaufzeit für den Hochlauf der heimischen Produktion von Polysilizium, Ingots und Wafern nicht einfach zu bewerkstelligen sein.

Das Heizkraftwerk Linden (·Die drei warmen Brüder·) in Niedersachsen spiegelt sich im Fluss Ihme. Viele Gaskraftwerke - wie auch das enercity Gaskraftwerk Linden - drosseln ihren Betrieb in der Stromerzeugung, weil der Rohstoff gespeichert und fürs Heizen aufgehoben werden soll.

© Julian Stratenschulte/dpa

Auch wenn Wind- und Solarenergie Erdgas bei der Stromerzeugung bereits ersetzen können, so wird Gas doch über die Stromerzeugung hinaus in vielen anderen Bereichen eingesetzt. So wird Erdgas in großem Umfang zum Heizen und Kochen in Privathaushalten und für viele industrielle Anwendungen genutzt. Einige dieser Anwendungen können elektrifiziert werden, so ersetzen beispielsweise elektrisch betriebene Wärmepumpen gasbetriebene Warmwasserbereiter. Die meisten großtechnischen Fertigungsprozesse, die Temperaturen von über 300 Grad Celsius erfordern, wie in der Stahl-, Zement- und Keramikproduktion, können nicht elektrifiziert werden und benötigen daher für den effizienten Betrieb weiterhin Erdgas oder andere kohlenstoffbasierte Brennstoffe wie Kohle.

Noch ist die Produktion von Wasserstoff nicht wettbewerbsfähig

Aber auch hier ebnet die technologische Innovation den Weg für eine preisgünstige Lösung: die Verwendung von Wasserstoff, der aus erneuerbaren Quellen hergestellt wird, sogenannter „grüner Wasserstoff“. Grüner Wasserstoff ist ein erfolgsversprechender Energieträger für den Ersatz von Erdgas. Er wird aus Wasser hergestellt, indem Sauerstoff von Wasserstoff durch Elektrolyse getrennt wird. Die Elektrolyse kann mit Strom betrieben werden, kostengünstig erzeugt aus grünen, erneuerbaren Quellen.

Wasserstoff kann ähnlich wie Erdgas verbrannt werden und erreicht sogar höhere Temperaturen, über 2.000 Grad Celsius. Er eignet sich daher für industrielle Anwendungen sowie für den Antrieb von Fahrzeugen, für Autos, Lastwagen und Schiffe. Die Wasserstoffversorgungskette kann mit einigen Umrüstungen die meisten der bestehenden Erdgasleitungen und -speicher verwenden. Da der grüne Wasserstoffkreislauf vollständig mit erneuerbarer Energie betrieben wird, ist er emissionsfrei und damit klimaneutral.

Grüner Wasserstoff könnte Erdgas komplett ersetzen

Grüner Wasserstoff ist somit geeignet, Erdgas in unseren Produktionssystemen vollständig zu ersetzen. Er überwindet die Probleme der Kohlenstoffemissionen und der intermittierenden erneuerbaren Energien. Grüner Wasserstoff stellt eine Speicherlösung für überschüssige erneuerbare Energie dar, die zu Spitzenzeiten durch Wind- und Solarenergie erzeugt wird und verringert unsere Abhängigkeit von teureren Stromspeicherlösungen wie Batterien.

Leider ist die Produktion von grünem Wasserstoff bis heute nicht wettbewerbsfähig. Kontinuierliche Innovationen in den Elektrolyseprozess lassen aber eine rasch sinkende Kostenkurve erwarten, die grünen Wasserstoff bis 2024 oder 2025 wettbewerbsfähig machen könnte. Weltweit wurden mehr als 500 Großprojekte für grünen Wasserstoff mit Direktinvestitionen in Höhe von über 155 Milliarden US-Dollar angekündigt.

In ihrem REPowerEU-Plan hat sich die EU zum Ziel gesetzt, 10 Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs zu produzieren. Spanien, Frankreich und Portugal haben vor kurzem den Bau der BarMar angekündigt, einer Wasserstoff-Pipeline, die den auf der iberischen Halbinsel produzierten grünen Wasserstoff nach Mitteleuropa transportieren soll. Wasserstoff könnte jedoch nicht der einzige nachhaltig erzeugte Energieträger sein. Langfristig könnten wir in der Lage sein, synthetisches Methanol und andere synthetische Kraftstoffe kostengünstig herzustellen, indem wir Kohlenstoff aus der Atmosphäre abscheiden und mit grünem Wasserstoff kombinieren. Siemens Energy und Porsche weihten bereits eine experimentelle eFuel-Anlage in Chile ein, die Ende 2021 in Betrieb gehen soll.

Grüne Technologien können Europa unabhängiger von den Weltmächten machen

Technologien, die wir brauchen, um unsere Abhängigkeit von Erdgas zu überwinden, sind also bereits vorhanden. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt die Entwicklungen. Das Ziel, kohlenstoffbasierte Energiequellen zu überwinden, ist eng damit verbunden, so schnell als möglich so viel erneuerbare Kapazität wie möglich zu installieren. Kostengünstige Wind- und Solarenergie ermöglicht eine effizientere Produktion anspruchsvollerer Energieträger wie grüner Wasserstoff und anderer synthetischer Kraftstoffe.

Obwohl die Wertschöpfungsketten von Wind- und Solarenergie zum Teil von China abhängen, ist diese Abhängigkeit weniger stark als die derzeit in Europa vorherrschende. Der einmalige Kauf eines chinesischen Solarpanels erzeugt Strom für mehr als 25 Jahre, während Erdgas ständig aus Russland oder anderen Ländern bezogen werden muss. Grüne Technologien helfen uns also nicht nur bei der Bekämpfung des Klimawandels. Sie tragen auch dazu bei, dass Europa weniger abhängig von anderen Weltmächten und damit geopolitisch unabhängiger wird.

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