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Impingement-Syndrom: Vorteil: Starke Schulter

Wie viele Menschen litt die Fernsehjournalistin Juliane Hielscher unter dem Impingement-Syndrom und konnte kaum noch den Arm heben. Heute spielt sie wieder Tennis.

Kraftvoll schmettert Juliane Hielscher mit ihrer rechten Vorhand den Tennisball übers Netz. Die große ausholende Kreisbewegung ihres rechten Armes wäre vor wenigen Wochen nicht möglich gewesen. Hielscher litt am sogenannten Impingement-Syndrom, so nennen Mediziner krankhafte Veränderungen, bei denen Muskeln, Sehnen und Nerven im Schultergelenk eingeklemmt werden. Allein in Berliner Kliniken wird diese Krankheit jährlich bei mehr als 1.500 Patienten diagnostiziert. Hielscher führt ein sehr aktives Leben. Sie sei eine Vollblutjournalistin, sagt sie über sich. Besonders das Live-Fernsehen übte einen großen Reiz auf sie aus. "Schon als Kind faszinierten mich Talkshows." Früh war ihr klar, dass sie TV-Sendungen moderieren wollte. So kam es dann auch. Hielscher studierte Philosophie und Germanistik, heuerte beim ersten deutschen Privatsender an, moderierte dort allabendlich das Regionalprogramm im Norden und später zehn Jahre lang im Öffentlich-Rechtlichen. Auch die Schmerzen, die von der Schulter in den Rücken und über den Oberarm in den Ellenbogen bis hin zur Hand ausstrahlten, konnten sie in ihrem Schaffensdrang nicht bremsen. Hielscher biss die Zähne zusammen, machte weiter. Doch die Beschwerden in ihrem rechten Arm wurden immer heftiger - besonders dann, wenn sie etwas heben musste. "Am Ende musste ich beim Autofahren mit meinem linken Arm den rechten Arm ans Steuer führen." Unmöglich, den Wintermantel mit rechts an einen Haken zu hängen.

Wenn Menschen unter Schmerzen leiden, dann vermeiden sie instinktiv all das, was das Leiden auslöst. "Mit einer solchen Schonhaltung kommt man durch den Alltag", sagt die Journalistin. Eine Weile schaffte es die 50-Jährige sogar, weiterhin Tennis zu spielen, den rechten Arm immer nah am Körper, um schmerzhafte Bewegungen zu vermeiden. Doch dieser natürliche Reflex zieht weitere Probleme nach sich. In der Schonhaltung verkürzen sich im Laufe der Zeit Muskeln und Sehnen, Knorpel werden durch die mangelnde Bewegung nur noch schlecht mit Nährstoffen versorgt. Die Situation verschlimmert sich. Orthopäden, Neurologen und Phlebologen, letztere sind Mediziner die sich mit Blutgefäßen befassen, untersuchten Hielscher - und fanden nichts. Niedrigdosierte Anti-Depressiva sollten ihr Nervreizleitsystem drosseln, um den Schmerz zu lindern. Hielscher sträubte sich gegen diese Behandlung. "Ich glaube, ein voll funktionierendes Nervreizleitsystem kann man immer gut gebrauchen." Drei Jahre verstrichen während ihrer Odyssee durch das deutsche Gesundheitssystem, doch der Schmerz blieb. "Ich dachte, ich muss damit alt werden", sagt sie rückblickend. Endlich überweist sie ihr niedergelassener Orthopäde in eine Klinik - das Immanuel Krankenhaus in Berlin-Wannsee. Zunächst zur Osteologie, der Fachabteilung für Knochen und Skelettsystem. Noch immer vermuten die Ärzte die Ursache für Hielschers Beschwerden im Rücken. Ein sogenannter Manualtherapeut mobilisiert mit Hilfe spezieller Handgriffe Hielschers Rücken und Schulter, dehnt Muskeln, streckt Sehnen und entlastet Gelenkflächen. Das lindert Hielschers Schmerzen, bringt ihre durch die Schonhaltung verkürzten Sehnen wieder in Form - behebt aber nicht die Ursache ihres Leidens. "Ich gehe hier erst wieder raus, wenn ihr die Ursache findet", protestierte sie. Michael Berndsen, Schulterspezialist und Chefarzt der Abteilung Obere Extremität, Hand und Mikrochirurgie des Immanuel Krankenhauses Berlin checkt Hielscher abermals durch. So wie es drei andere niedergelassene Orthopäden vor ihm taten. "Oft können Patienten selbst sehr gut berichten, was los ist", sagt der Chefarzt. Der Anamnese folgt die klinische Untersuchung, bei der Michael Berndsen unter anderem prüft, wie weit Juliane Hielscher das Schultergelenk drehen, ihren Oberarm zur Brust beugen oder zum Rücken strecken und wie weit Hielscher ihren Arm vom Körper abspreizen kann. "Wichtig ist dabei, über lokale Symptome hinaus den gesamten Organismus zu betrachten", sagt er. Finger, Ellenbogen, Schulter, Rücken bis hin zum Hirn funktionieren nur im Zusammenspiel. Lokale Schmerzen können also ihren Ursprung an einem ganz anderen Ort haben. Der Magnetresonanztomograf (MRT), ein hochauflösendes Schnittbildverfahren, bestätigt Berndsens Befunde der klinischen Untersuchnung - Hielscher leidet an einem Impingement-Syndrom der Schulter. "Ich war froh, endlich eine Diagnose zu haben", erinnert sich die Moderatorin. Am Schulterdach hatte sich ein Knochensporn gebildet, der auf Muskeln, Sehnen und Schleimbeutel drückte. Zwei der vier Schleimbeutel, die im Gelenk als Puffer dienen, waren aufgequollen, entzündet und begannen sich aufzulösen. Die gequetschten und dadurch chronisch gereizten Sehnen zerfaserten bereits.

Häufig tritt das Syndrom um das 50. Lebensjahr auf. Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen. Chefarzt Berndsen kann aber beruhigen. Aufwändige Operationen können meist vermieden werden. "Impingement-Syndrome sind sehr gut arthroskopisch behandelbar." Arthroskopien oder auch Gelenkspiegelungen werden Eingriffe genannt, bei denen über einen kleinen Hautschnitt ein Endoskop mit Miniaturkamera in ein Gelenk eingeführt wird, beispielsweise in die Schulter. Die Kamera sendet in Echtzeit Bilder aus dem Inneren des Gelenks. "Damit kann man sich alles sehr gut anschauen", sagt Berndsen. Über weitere kleine Zugänge kann er wenige Millimeter dünne Instrumente wie Scheren, Fräsen oder Messer einbringen. Bei Hielscher, die Berndsen im August 2013 operierte, wählte er einen seitlichen Zugang, der es ihm ermöglichte, die entzündeten Schleimbeutel zu entfernen. Anschließend trägt der Schulterspezialist mit einer kleinen Fräse, die auf der Spitze des Endoskops sitzt, den Knochensporn ab und verschafft dem Gelenk so wieder den nötigen Raum. Die Sehnen wurden glatt geschliffen und im Schulterdach etwas Knochen abgehobelt, um zusätzlichen Platz zu schaffen. Eine spezielle Flüssigkeit desinfiziert die Wunde und spült abgetragenes Gewebe und Knochenreste aus dem Gelenk. Der ganze Eingriff dauert nicht länger als 60 Minuten. Mit der erfolgreichen Operation war Berndsens Job getan - nun war Hielscher an der Reihe. Denn ohne Physiotherapie, die die verkümmerten Muskeln und Sehnen wieder fit macht und die lange nicht richtig bewegten Gelenke in Schwung bringt, kann keine Heilung gelingen. "Die Physiotherapie muss stringent verfolgt werden", sagt der Mediziner. Die Motivation der Patienten ist also extrem wichtig für die Heilung. Hielscher hielt sich daran. Sechs Wochen lang ging sie nach der OP täglich zur Physiotherapie, anschließend noch monatelang dreimal die Woche. Nach einem halben Jahr kehrte die Beweglichkeit zurück. Hielscher begann zu schwimmen und im Fitnessstudio Bizeps, Rotatorenmanschette und Rückenmuskulatur zu stärkten. "Ich möchte nie wieder solche Schmerzen haben." Einige Patienten seien vier Wochen nach der OP vom Schmerz befreit, andere erst nach sechs Monaten, sagt Berndsen. Hielscher gehört zu letzteren. Manchmal schmerzt ihre Schulter noch leicht. Trotzdem hat sie schon viel Lebensqualität zurückgewonnen. Pünktlich zum Saisonbeginn kann sie wieder über den Tenniscourt hetzen. Sichtbare Spuren hat der Eingriff kaum hinterlassen. Hielscher krempelt ihr graues Wolljäckchen hoch, hat selbst einen Augenblick Mühe eine der Narben vom Eingriff zu finden, bis sie auf einen vier Millimeter langen zarten Strich deutet - nicht vielmehr als ein kleiner Kratzer.Wie würde es Hielscher gehen, wenn sie sich nach der Odyssee von Arzt zu Arzt irgendwann mit den Schmerzen abgefunden hätte? "Ohne eigene Initiative wäre ich heute noch krank", ist sie überzeugt. Wenn der Weg auch steinig ist, appelliert Hielscher an alle Betroffenen: "Geben Sie nicht auf!"

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