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Ein auf den Golan-Höhen aufgenommenes Foto zeigt das syrische Dorf Jubata al-Khashab nach einem Helikopter-Angriff der syrischen Armee.

© AFP

Im Visier von IS, Al Nusra und Assad-Milizen: Israels Sorge auf dem Golan

Es gibt nur eines, was viele Milizen im Syrienkrieg eint: ihr Hass auf Israel. Einen Angriff auf die Golanhöhen sollen Israels Soldaten verhindern - und seine Ärzte.

Efi Ribner zeigt nach Osten. Unten in der Ebene rast ein Pick-up-Truck durch den Staub, eines der Dörfer raucht, in der Ferne knallt es. „Das ist nicht unser Krieg“, sagt Ribner. „Und wir sorgen dafür, dass es nicht unserer wird.“

Gewehr über der Schulter, Kippa auf dem Kopf, Ribner ist Major der israelischen Armee, der Israel Defense Forces, kurz IDF. An diesem Apriltag steht Ribner auf dem Gipfel des Bental, ein 1171 Meter hoher Berg auf den Golanhöhen. An dessen Fuß wachsen Obstbäume. Nach einem Kilometer enden die sattgrünen Plantagen. Und die Zivilisation. Pistenweg, Sperrzaun, dann - Syrien.

„Wir müssen die Grenze sichern“, sagt Ribner, „jeden Tag, jede Minute.“ Ein Job, der heute schwerer ist, als er es je war. Im Nahen Osten will das etwas heißen.

Ein unachtsamer Moment, eine unüberlegte Reaktion und es gebe einen weiteren Krieg. Die IDF müsste nicht nur gegen Armeen, sondern auch Dutzende, oft untereinander verfeindete Milizen kämpfen. Fast jeder Mann in Syrien trägt ein Gewehr. „Dringt jemand in unseren Luftraum ein oder versucht die Grenze zu stürmen, reagieren wir“, sagt Ribner. „Nicht blind, aber deutlich.“ Die IDF sei ein „potenzieller Gamechanger“, sie könnte kriegsentscheidend sein.

Doch wenn Israel in Syrien interveniert, das weiß Ribner, ändert das nicht nur dort die Lage dramatisch, sondern im Libanon, Iran und Irak - und in den USA, Russland, letztlich Deutschland. Israel hält still - und muss doch jeden Moment alles in Bewegung setzen können.

IDF-Major Ribner steht auf dem Bental in den Golanhöhen.
IDF-Major Ribner steht auf dem Bental in den Golanhöhen.

© Hannes Heine

Im Nordosten ist Khan Arnabah zu erkennen. Die Stadt wird von Soldaten des syrischen Präsidenten Baschar al Assad gehalten. Nur 25 Kilometer südlich steht der „Islamische Staat“, Assads brutalster Feind. Dazwischen Milizen, mal mehr, mal weniger religiös. Einig sind sich viele nur in einem: ihrem Hass auf Israel. „Wer immer den Krieg gewinnt“, sagt Ribner, „ist für uns ein Problem.“

Die Golanhöhen gehörten einst zu Syrien. Israel besetzte sie im Sechstagekrieg 1967, aus Angst, die syrische Armee könne von den Bergen das israelische Tiefland beschießen. Damals war klar, wer der Feind ist.

Heute fällt es der IDF schwer, die vielen Feinde auf der anderen Seite der Grenze auseinanderzuhalten. Milizen entstehen, fusionieren, spalten sich. Alle, die im Nahen Osten etwas zu sagen haben wollen, schickten Truppen nach Syrien. Assads loyale Regimenter werden von russischen Offizieren und Schiiten aus Iran, Irak und der aus dem Libanon angerückten Hisbollah unterstützt. Assads Feinde sind meist Sunniten. Sie werden von den arabischen Ölmonarchien und der Türkei aufgerüstet.

Einige der Aufständischen wollen Syrien in einen Gottesstaat verwandeln und schließlich Jerusalem erobern. Erste Etappe auf dem Weg in Israels Hauptstadt wären die Golanhöhen. „Im Moment“, sagt Ribner, „will sich niemand mit der IDF anlegen.“ Auf dem Bental ist der Krieg zwar zu sehen und zu hören, aber er wirkt immer noch weit weg. Die Sonne knallt auf die Felsen, ringsherum wachsen Äpfel und Wein. Mit Geländewagen kommen Rentner aus den USA auf den Gipfel gefahren und machen Fotos, so ein Idyll aber auch.

Auf der einen Seite die Obsthaine, die Touristen und ein Staat. Auf der anderen die Dürre, die Toten und das Chaos. Kann diese Grenze halten?

Auf dem Bental blickt eine niederländische UN-Soldatin durch ein Fernrohr. Sie beobachtet den Zaun, der die beiden Staaten trennt. Seit den 70ern patrouillieren UN-Soldaten an der Grenze, dafür wurde eine Pufferzone eingerichtet. Inzwischen aber ist ihnen das zu gefährlich geworden. Islamisten hatten von dort Blauhelme entführt. Die UN-Soldaten zogen sich nach Israel zurück. Nun kommen dessen Feinde bis zum Grenzzaun.

Israels Premier Benjamin Netanjahu weiß, dass Granaten über die Grenze auf die Golanhöhen geflogen sind - ob gezielt oder nicht. Und dass der „Islamische Staat“ eine Gruppe unberechenbarer Massenmörder ist. Er weiß auch, dass die Hisbollah in den Kriegswirren an neue Präzisionsraketen gekommen ist. Und dennoch hält sich Israel raus?

Nicht ganz. Kampfflieger der IDF bombardierten Waffenkonvois der Hisbollah. Für die Sicherung der Grenze aber sind wohl nicht Israels Piloten das entscheidende Mittel, sondern seine Ärzte.

Gut 30 Autominuten entfernt im Landesinneren liegt Safed, 30 000 Einwohner, ein Zentrum der Kabbala-Lehre, jüdischer Mystik. In Safed empfängt Shokrey Kassis die deutschen Journalisten, er ist Chefchirurg des dortigen Krankenhauses. Fester Händedruck, drei offene Hemdknöpfe, Mobiltelefon in der Hand. Kassis scherzt mit dem Assistenzarzt, lächelt die Krankenschwester an, schreitet durch die Gänge. Für Premier Netanjahu ist der Chirurg mit dem Goldkettchen nicht nur ein Arzt. Kassis ist ein Grenzschützer ohne Uniform, ohne Waffe.

Denn wie Major Ribner trägt Chirurg Kassis dazu bei, dass die Aufständischen nicht doch noch Israel angreifen.

Am Ende eines Ganges steht ein IDF-Soldat. Er bewacht einen schmalen Raum, in dem vier Männer liegen. Infusionsbeutel hängen neben ihren Betten. Das rechte Bein eines der Männer ist nur noch ein rosa Klumpen, ein weiterer Patient hat Einschusslöcher im Oberkörper, darüber Mullbinden.

Die Männer sind Syrer, aufgewachsen im Hass auf die Juden, den Westen, das Nachbarland. Nun flicken die Erzfeinde ihre von Granaten zerfetzten Beine und zerschossenen Oberkörper. Eigentlich nimmt Israel keine Flüchtlinge aus Syrien auf. Doch um die Rebellen milde zu stimmen, macht die IDF regelmäßig etwas, das sie selbst vor dem Krieg selten tat: Sie öffnet die Grenze. Wer in Israel behandelt wurde, so die Idee, greift das Land nicht an. Vielleicht wird er anderen von den helfenden Juden erzählen.

Und? Wie ist es beim Erzfeind im Bett?

In Syrien gelten, sagt einer der Verletzten sinngemäß, die Israelis als Teufel. Für ihn seien die wahren Teufel inzwischen die Männer des IS - und die Soldaten der Regierung. „Meine Idee von Israel hat sich geändert“, sagt ein anderer. „Wir kannten das Land ja nicht.“

Es fing damit an, dass vor ein paar Jahren einige Rebellen auf einen Checkpoint an den Golanhöhen zukamen und um Hilfe baten. Die Verletzten wurden von IDF-Soldaten auf Waffen und Sprengstoff durchsucht, dann in eine Klinik gefahren. Inzwischen sind 2500 syrische Männer, Frauen und Kinder in Israel behandelt worden, 650 allein in Safed. Die Patienten sind Aufständische, keine Regierungssoldaten. In Israel fragen sich nun einige, welche Miliz ihre Männer nach Israel schickt, und ob die IDF womöglich die Falschen milde stimmen will?

Zwei der Patienten in Safed berichten, sie hätten jenen Anschlag im März überlebt, bei dem eine Autobombe eine Rebellenbasis nahe den Golanhöhen zerstörte. Der Angriff wird dem „Islamischen Staat“ zugeschrieben, die Opfer sollen der Freien Syrischen Armee nahegestanden haben. Es könnten aber, heißt es in Nachrichtenforen, auch Al-Nusra-Männer darunter gewesen sein.

Die Al-Nusra-Front ist der syrische Ableger von Al Qaida, jenen Islamisten, die den Westen am 11. September 2001 in einen finalen Krieg ziehen wollten. Vor dem Aufstieg des „Islamischen Staates“ waren die Al-Nusra-Männer die Grausamsten. Die IDF bestätigt nicht, dass unter den Patienten auch Dschihadisten waren. Doktor Kassis sagt, man befrage die Verletzten nicht. Es habe schon Patienten gegeben, die bewusstlos über die Grenze gebracht worden seien: „Manche von ihnen waren krass geschockt, als sie realisierten, dass sie in Israel sind.“ Auch die anderen zwei Syrer, die an diesem Tag in der Klinik liegen, sagen: „Wir haben mit der Freien Syrischen Armee gekämpft.“ Überprüfen lässt sich das nicht.

Fotos von den Verwundeten sind nicht erlaubt, die vollen Namen bleiben ungenannt. Die Behandlung wird mit Steuermitteln bezahlt. Wenn die Patienten versorgt sind, bringt die IDF sie ohne viel Aufsehen zurück zur Grenze. Von Israel behandelten Syrern droht der Tod, wenn der IS davon erführe. Was die Syrer in der Klinik erzählen, übersetzt ihr Arzt Kassis, der neben Hebräisch und Englisch auch Arabisch spricht. Das Außenministerium in Jerusalem hat zu der Tour auf die Golanhöhen und nach Safed eingeladen. Es geht um Imagepflege.

Kürzlich hat Premier Netanjahu den Bau neuer Wohnungen im besetzten Westjordanland genehmigt. Die Siedlungen erschweren einen Frieden mit den Palästinensern. Andererseits: Hätte Israel die Golanhöhen, wie international gefordert, an Syrien abgetreten, stünde der "Islamische Staat" heute eine Autostunde von den israelischen Industriezentren entfernt - eine Katastrophe für Juden, Christen, Muslime und Drusen. Netanjahu sagte nun, die Golanhöhen blieben „für immer in Israels Händen“.

Bevor Israel die Golanhöhen annektierte, lebten dort vor allem Drusen. Sie sind, sozusagen, die Ureinwohner dieser Berge. Viele haben nach der Annexion die israelische Staatsbürgerschaft verweigert. Doch als religiöse Minderheit werden sie außerhalb Israels oft verfolgt. In Israel hingegen sind sie aufgestiegen. Der Direktor der Klinik in Safed ist Druse, der für die Golanhöhen zuständige IDF-Chef auch. Viele Drusen fürchten sich vor Pogromen sunnitischer Araber und stehen trotz der Annexion loyal zu Israel - nicht aber hinter dessen Syrienpolitik. Sie sagen, nur Assad schütze in Syrien die Minderheiten.

Für Israel war Assad ein im arabischen Raum üblicher Diktator, immerhin berechenbar. Die „New York Times“ berichtet, Israel habe noch 2010 mit Syrien über einen dauerhaften Friedensvertrag verhandelt. Bevor es dazu kam, begann der arabische Frühling.

Am Strand von Tel Aviv, der Feiermetropole, ist der Syrienkrieg auch in diesen Tagen weit weg. Selbst wenn im kleinen Israel alles beieinanderliegt. Gerade sitzt hier Salman, 19 Jahre. Er verbringt den Frühling bei seiner Tante in der Stadt. Salman spricht nicht für die Gemeinschaft aller Drusen, aber er kann die Stimmung in einem der Drusendörfer nahe Safed einschätzen. „Wir lieben dieses Land“, sagt er. „Aber wir haben Angst, dass die Regierung unsere Familien in Syrien an unsere Feinde verrät.“ Salmans Eltern haben sich, wie viele Drusen vor dem Krieg, immer wieder mit Verwandten in Syrien getroffen; Drusen durften die Grenze passieren.

Bald will Salman in der IDF dienen. „Du musst auch was zurückgeben“, sagt er und spricht von Dankbarkeit für das Leben, das Israel den Drusen ermögliche. Dass es diese Sicherheit vielleicht auch deshalb gibt, weil Syrer von israelischen Ärzten behandelt werden, bezweifelt Salman. „Diese Verbrecher haben unsere Hilfe nicht verdient!“

Im vergangenen Juni eskalierte das, was Salman „die Proteste“ nennt. Auf den Golanhöhen hatten 150 Drusen demonstriert, weil sie glaubten, in einem IDF-Krankenwagen lägen Dschihadisten. Sie attackierten das Auto und töteten einen Syrer. Nun ist der Dschihadist des einen der Freiheitskämpfer des anderen und eine taktische Spielfigur für den nächsten. Für Israel gibt es im Nahen Osten nur Zweckbündnisse, eine ideengeschichtliche Nähe zu den Nachbarn fehlt. Die Golanhöhen sind nicht nur für die IDF ein strategischer Posten. Die Erträge der Äcker dort werden nach Europa exportiert. Für eine sichere Grenze würde jede Jerusalemer Regierung viel tun. Aber für Syrien - gibt es da Hoffnung?

Die Patienten in Safed wissen nicht, wie es weitergehen soll. Sie seien des Kämpfens müde. Shokrey Kassis, der Chefchirurg, betont, dass er mit Politik nichts zu tun habe. Weshalb er eigentlich Arabisch spricht? Er sei Israeli. Und Christ. Und eben Araber. „Ist alles kein Problem.“ Diesseits der Grenze.

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