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Honoré Daumier (1808–1879)L’Amateur d’estampes (Der Grafikliebhaber), um 1860–62.

© Privatsammlung

Honoré Daumier in Frankfurt: Der große Spötter

Ein Leben lang begleitete Daumier, ein stolzer Republikaner, die Pariser Gesellschaft mit spitzer Feder und stellte sie immer wieder bloß. Eine umfassende Ausstellung ist im Städel Museum zu sehen.

Von Bernhard Schulz

Fünfzig Jahre lang hat Honoré Daumier gezeichnet, am liebsten auf Stein, denn die wenige Jahre vor seiner Geburt 1808 von Alois Senefelder erfundene Lithographie verwandelte seine Zeichnungen in Druckvorlagen für die Presse. Daumier schuf Karikaturen – politische, wenn die immer wieder neu installierte Zensur es zuließ, und gesellschaftskritische in den sehr viel längeren Zeitabschnitten dazwischen. Doch greift es zu kurz, ihn auf den Brotberuf des Karikaturisten einzuengen. Daumier war ein Künstler von Rang, und obgleich er sich Malerei und Bildhauerei als Autodidakt erobern musste, schuf er auch darin Großes.

Einen kleinen Einblick in diese Gattungen der „hohen“ Kunst gewährt auch die Ausstellung „Honoré Daumier“, die dieser Tage im Städel Museum in Frankfurt am Main eröffnet wurde. Sie beginnt mit einem bronzenen Porträtkopf des Künstlers, bei dem freilich nicht gesichert ist, ob es sich um eine eigenhändige Arbeit handelt. Gut möglich wäre es, sieht man im anschließenden Raum die Reihe der kleinen Porträtbüsten, die Daumier von jenen Vertretern des juste milieu geschaffen hat, die er ein Leben lang mit spitzer Feder begleitet und immer wieder bloßgestellt hat.

Im Kern geht es in dieser Ausstellung um die Zeitungsgrafik. Über 4.000 Blätter hat der Frankfurter Rechtsanwalt Hans-Jürgen Hellwig über Jahrzehnte gesammelt, einige in verschiedenen Ausführungen; manche auch koloriert, wenngleich nicht von Daumiers Hand, denn es herrschte Arbeitsteilung im Tagesbetrieb.

Das reicht fast an Vollständigkeit, denn exakt 4.033 Lithographien zählt der digitale Œuvrekatalog Daumiers, ferner 1.042 Holzstiche. Hellwig, aus Saarbrücken stammend und schon von daher dem französischen Nachbarn nahe, hat seine überwältigende Kollektion jetzt dem Museumsverein zu dessen 125. Geburtstag übereignet, der wiederum sie ins Museum zur Betreuung gibt und so ein Zentrum der Daumier-Forschung schafft, wie Städel-Direktor Philipp Demandt stolz verkündete. Eine Auswahl von 120 Blättern ist jetzt zu sehen, eines treffender und geistvoller als das andere.

Citoyen und Republikaner

Ausdrücklich stellt sich der Stifter in die mäzenatische Tradition der Bürgerstadt Frankfurt – und ist damit seinem Sammlungshelden besonders nahe, denn Daumier verstand sich zeitlebens als Citoyen und Republikaner.

Von der Monarchie hielt er nichts, zumal er sie ohnehin nur in ihren Schrumpfformen erst des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe und dann des Staatsstreich-Kaisers Napoleon III. erlebte. Dem ersteren gab er die Form der „Birne“, die an ihm auf ewig haften blieb, beim letzteren kaprizierte er sich auf dessen Dreifach-Zwirbelbart, bis der entnervte Kaiser ihn abnahm.

Eingriffe der Zensur

Zeitlebens arbeitete Daumier für die liberale Zeitung „Le Charivari“, dessen Herausgeber, der befreundete Charles Philipon mehr als einmal für die Übertretung der Zensurbestimmungen ins Gefängnis ging. Auch Daumier musste einmal ein halbes Jahr absitzen. Bei manchen Karikaturen kann die Hellwig-Sammlung zwei oder mehr Druckzustände vorführen, je nach den Eingriffen der Zensur.

Die Zeitung „Le Charivari“ war Honoré Daumiers treuster Arbeitgeber. „La lecture du Charivari (Die Lektüre des Charivari)„, 1840.

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Weniger konfliktträchtig war die Gesellschaftskritik, für die Daumier Typen wie den Bürger „Bonhomme“, den Spießer „Prud'homme“ oder den Unruhestifter „Ratapoil“ zeichnete, um das mal selbstgefällige, mal täppische und meist groteske Auftreten seiner Protagonisten zu geißeln.

Niemand blieb verschont

Kein Stand blieb ausgenommen, ob Kleinbürger in der übervollen 3. Klasse der Eisenbahn oder beim morgendlichen Erschrecken über die Abrisskolonnen des Präfekten Haussmann, die bereits das Nachbarhaus niederlegen; ob die eitlen Anwälte in ihren Roben auf den Stufen des Gerichts, die Abgeordneten im Parlament, dösend oder großspurig, oder der Selbstmörder am Ufer der Seine, den die Finanzspekulation in den Ruin getrieben hat.

Auch der Fotograf Nadar wird auf die Schippe genommen. Honoré Daumier (1808–1879): „Nadar élevant la photographie à la hauteur de l’art (Nadar erhebt die Fotografie auf die Ebene der Kunst)„, 1862.

© Privatsammlung

Milden Spott erfährt selbst der berühmte Fotograf Nadar, der doch die erste Ausstellung der Impressionisten in seinen großzügigen Atelierräumen ermöglicht hatte. Er „erhebt die Fotografie auf die Höhe der Kunst“, wie die Zeile unter der Karikatur besagt, die ihn in einer Ballongondel über Paris zeigt, nicht schwebend, sondern stürmend.

Das Nadar-Blatt von 1862 zählt zu den bekanntesten Karikaturen, immer wieder reproduziert; ähnlich König Louis-Philippe als geldgieriger Vielfraß Gargantua, oder der hingemetzelte Arbeiter von 1834; von den Rechtsanwälten als Typen ganz zu schweigen. „Il faut être de son temps“, man müsse seiner eigenen Zeit angehören, dieses oft Baudelaire zugeschriebene Wort stammt wohl von Daumier. Jedenfalls hat er es ein Leben lang mit seinem Werk beglaubigt. 1879 ist er verstorben, nur wenige Jahre, nachdem ihm der Maler Camille Corot ein eigenes Haus außerhalb der Hauptstadt überlassen hatte.

Daumier stammte aus ärmlichen Verhältnissen, musste in jungen Jahren Eltern und neun Geschwister ernähren. Sein Lebenswerk ist Zeugnis ungeheuren Fleißes, und damit wurde er zum Chronisten des 19. Jahrhunderts Frankreichs. Wie sehr er sein ureigenes Metier schätzte, zeigt sein kleinformatiges Gemälde „Der Grafikliebhaber“ von 1862 (siehe Titelbild), das der Sammler Hellwig quasi als Dreingabe erworben hat. Nur die Beschaulichkeit, die Daumier seinem alter ego im Ölbild gönnt, hat er selbst kaum genossen. Zu viel passierte in Paris, als dass Daumier den Stift je ruhen ließ.

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