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Aufopferung. Ein Drittel der Angehörigen leidet unter Depressionen.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Pflegetag Tempelhof: Sie spielen nicht die Helden, sie sind Helden

Ohne pflegende Angehörige geht gar nichts in der Gesellschaft – deshalb sind sie auch ein Schwerpunkt beim Pflegetag Tempelhof am kommenden Wochenende.

Vielleicht sind sie zu viele, um als Stars wahrgenommen zu werden. Doch professionelle Pflegekräfte und pflegende Angehörige leisten genug, um mehr Beachtung zu verdienen. Beim Deutschen Pflegetag 2015 geht es um die wachsende Bedeutung der professionellen wie der privaten Pflege. Und das immerhin an einem Ort mit Glamour-Effekt: dem ehemaligen Flughafen Tempelhof.

Er habe zu lange den Helden gespielt, meinte der Mann später selbstkritisch. Mindestens ein Jahr früher hätte er Hilfe holen sollen. Der Mathematikprofessor Malte Sieveking hat seine an Alzheimer erkrankte Frau zu Hause gepflegt – in der letzten Zeit vor ihrem Tod mit der Unterstützung professioneller Pflegekräfte.

Voller Bewunderung erzählt sein Sohn nun davon, wie bravourös sich sein Vater der Aufgabe gestellt hat. Der Sohn, das ist Filmemacher und Buchautor David Sieveking. Wie es der Familie erging, als die Mutter mehr und mehr Hilfe brauchte, hat er in einem erfolgreichen Dokumentarfilm festgehalten, gedreht in einer Phase, in der er seinen Vater in der Betreuung und Pflege seiner Mutter ablöste, um ihm einen Urlaub zu gönnen. Nun ist auch sein Buch zum Thema erschienen, mit dem schönen Titel „Vergiss mein nicht. Wie meine Mutter ihr Gedächtnis verlor und ich meine Eltern neu entdeckte“ (Herder- Verlag). Im Rahmen des Deutschen Pflegetags 2015, der vom 12. bis zum 14. März im ehemaligen Flughafen Tempelhof stattfindet, wird Sieveking daraus vorlesen.

Pflegende Angehörige sind oft selbst schon älter und möglicherweise auch selbst krank

Eigentlich ist der Kongress, zu dem bereits jetzt mehr als 3000 Teilnehmer angemeldet sind, ein Treffen der Profis aus der Pflegebranche, ob nun aus der Krankenpflege in Kliniken, aus der Altenpflege in Heimen oder aus der ambulanten Pflege, die seit Einführung der Pflegeversicherung sehr an Bedeutung gewonnen hat. Doch am Freitagabend gibt es einen Ausnahmetermin, der nicht fürs Fachpublikum gedacht ist, sondern für die Öffentlichkeit: Der AOK-Bundesverband lädt dann zur Veranstaltung „Pflege leben – zwischen Alltagssorgen, Herausforderungen und menschlicher Nähe“. Und das soll ein Abend werden, an dem sich pflegende Angehörige und professionell Pflegende begegnen. Es wird Statements von Angehörigen, von Pflegekräften und auch von den Gepflegten selbst geben. Zudem erwarten die Besucher Informationen über Hilfsangebote und die Möglichkeit zum Austausch mit erfahrenen Pflegeberatern.

Gerade Angehörige, die einen ihnen lieben Menschen pflegen, der dement geworden ist, brauchen diesen Rückhalt. Sie spielen nicht nur die Helden – sie sind es. Und dabei sind sie, als Ehepartner, oft selbst schon älter und möglicherweise auch selbst krank. Oder sie stehen, wenn sie die Kinder von Alzheimer-Kranken sind, selbst mitten in einem anstrengenden Berufs- und Familienleben. Inzwischen zeigen zahlreiche Studien, dass die Belastung pflegende Angehörige krank machen kann. So hat die Psychologin Susanne Zank, heute Inhaberin des Lehrstuhls für Rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie der Universität Köln, vor einigen Jahren zusammen mit ihrer FU-Arbeitsgruppe das „Berliner Inventar zur Angehörigen-Belastung“ entwickelt, ein wissenschaftliches Instrument, mit dem sich solche Risiken und Gesundheitsgefahren messen lassen. In ihrer Längsschnittstudie zur Belastung von Angehörigen, die einen Demenzkranken zu Hause pflegen, konnte sie belegen, dass ein Drittel unter einer Depression leidet.

Auch Schriftsteller Arno Geiger hat sich dem Thema gewidmet

Wie viele innige, sonnige gemeinsame Momente es für die Angehörigen trotz der fortschreitenden Krankheit geben kann, wie anstrengend jedoch auch viele Tage sind, darüber berichtet nicht nur Sieveking in seinem Buch. Auch der Schriftsteller Arno Geiger, dessen Vater an Alzheimer erkrankte, hat sich vor einigen Jahren in seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ dem Thema gewidmet. Dankenswerterweise stellt der österreichische Schriftsteller hier auch die Verdienste guter professioneller Pflege gebührend heraus. Zum Beispiel die der ambulanten Altenpflegerin Daniela, die den Vater zu Hause betreut: „Sie verstand es, dem Vater das Gefühl zu geben, dass er wichtig war.“ Später, als für die Angehörigen trotz professioneller Unterstützung die Grenzen der Belastbarkeit überschritten sind, kommt der Vater ins örtliche Seniorenheim. Geiger betont, dass dort qualifiziertes Personal arbeitet, er beschreibt das Klima im Pflegeheim als „sympathisch und bereichernd“.

Wie gute Pflege im Heim, angemessene Betreuung im Krankenhaus, adäquate Honorierung und sinnvolle Kooperation mit den Angehörigen aussehen können, diesen Fragen widmen sich viele der 70 Beiträge des in 24 Themenblöcke gegliederten Programms beim deutschen Pflegetag. Neben wissenschaftlichen Ergebnissen aus der Pflegeforschung werden auch politische Projekte wie die neue, für 2017 geplante Pflege-Begutachtung diskutiert. Für die Einstufung in eine der fünf (statt bisher drei) Pflegestufen sollen in Zukunft auch Aspekte der psychischen Befindlichkeit des Begutachteten einfließen, außerdem soll der Zeitdruck der häuslichen Pflege im viel kritisierten „Minutentakt“ entschärft werden. „Pflege ist das wichtigste gesundheitspolitische Thema in diesem Jahrzehnt“, sagt Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates und selbst gelernte Pflegekraft. Allerdings fehlt vielfach bisher noch das Bewusstsein dafür – obwohl es in Deutschland über 1,5 Millionen Pflegekräfte gibt. Bei der Veranstaltung am Freitagabend wird der deutsche Pflegepreis an die rheinland-pfälzische SPD-Regierungschefin Malu Dreyer (54) verliehen, die sich seit Jahren für eigene Pflegekammern einsetzt.

„Die Pflege ist in Deutschland politisch nicht gut vertreten“, sagt der Mediziner und Kabarettist Eckart von Hirschhausen, der an der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Pflegetags teilnehmen und auch die Pressekonferenz moderieren wird. Hirschhausen bemüht einen Vergleich, der auch angesichts des Kongressortes Flughafen Tempelhof sehr treffend erscheint: „Wenn die Lokführer oder die Piloten streiken, kommt man nicht von A nach B. Aber sollte die Pflege streiken, kommt keiner mehr vom Bett auf die Toilette – was ist wichtiger?“ Das Argument lässt sich auf die pflegenden Angehörigen ausdehnen: Auch sie schaffen es selten in die Schlagzeilen. Doch ohne sie geht gar nichts.

Anmeldungen zur Veranstaltung des AOK-Bundesverbandes am Freitag, 13. März um 18.30 Uhr unter: www.aok-pflegetag.de oder Tel. 346 46 23 11. Die Teilnahme ist kostenlos, die Plätze begrenzt. Im Tagesspiegel erscheinen zum Pflegetag Tempelhof am 12. März zwei Sonderseiten.

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