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Gesundheit: Peinlicher Rückzug

Ein Arznei, die den Abbruch von Schwangerschaften erleichtert, verschwindet vom deutschen Markt

Erneut gibt es Diskussionen um die Abtreibung per Medikament. Vor sechs Jahren ging es um die Zulassung der „Abtreibungspille“ in Deutschland. Wahlfreiheit für die Frauen gegen ethische Bedenken, so die gegensätzlichen Positionen.

Mittlerweile ist das Schlachtgetöse verhallt, das Verfahren etabliert. Etwa jede zwölfte der jährlich rund 120 000 Abtreibungen in Deutschland erfolgt medikamentös. Diese Zahl könnte zurückgehen, wenn ein für den guten Verlauf des Abbruchs notwendiges Präparat vielleicht bald nicht mehr verfügbar ist. Es handelt sich um Misoprostol, ein Präparat, das neben der Substanz Mifepriston (RU 486, Markenname Mifegyne) zum Einsatz kommt. Die Misoprostol-Herstellerfirma Pfizer erwägt nun, wie eine Firmensprecherin gegenüber dem Tagesspiegel bestätigte, das Mittel zumindest in Deutschland vom Markt zu nehmen.

Laut der Roten Liste, die die Grundlage für die Verordnungen in Deutschlands Kliniken und Arztpraxen bildet, gehört das Medikament mit dem Markennamen Cytotec zu einem ordnungsgemäßen medikamentösen Abbruch.

Auch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat das Kombinationsschema Mifepriston-Misoprostol zum frühen Schwangerschaftsabbruch bis 49 Tage nach Beginn der letzten Monatsblutung in seine Leitlinien aufgenommen. Und die Weltgesundheitsorganisation führt Misoprostol zusammen mit Mifepriston, aber auch allein, sogar auf ihrer Liste der „essenziellen“ Arzneimittel.

Denn in der Gynäkologie hat das preiswerte Prostaglandin-Präparat auch andere, weniger heikle Aufgaben als den Abbruch einer Schwangerschaft. So kommt es bei Wehenschwäche oder gegen Blutungen während der Entbindung und danach zum Einsatz. „Wir brauchen es zur Geburtseinleitung, denn man kann die Dosierung gut den individuellen Bedürfnissen anpassen. Zudem hat das billige Präparat in der Dritten Welt immense Bedeutung“, sagt Heribert Kentenich, Leiter der Frauenklinik im DRK-Krankenhaus Westend.

Neben dem Preis sprechen unkomplizierte Anwendung und Lagerung ohne Kühlung, vor allem aber geringe Nebenwirkungen für das Mittel.

Nach alledem erstaunt, dass Cytotec in aller Welt offiziell gar nicht als gynäkologisches, sondern als Magenmittel gehandelt wird. Eine Zulassung für andere medizinische Zielsetzungen haben weder Pfizer noch die US-Firma Searle, der das Mittel samt Patentschutz zuvor gehörte, je beantragt.

In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin von 2004 heißt es: „Auf Anfrage teilte uns die Firma Pfizer mit, dass sie die Sicherheit und Wirksamkeit von Cytotec beim medikamentösen Abbruch einer Schwangerschaft weder als Monotherapie noch in Kombination untersucht hat und eine derartige Anwendung daher nicht empfiehlt beziehungsweise unterstützt.“

Und das trotz jahrezehntelanger Erfahrungen und Hunderter von Studien zur Anwendung des Präparates in der Gynäkologie. „Die Firma will nicht mit der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs in Verbindung gebracht werden“, vermutet Klaus Vetter, Leiter der Klinik für Geburtshilfe im Vivantes-Klinikum Neukölln und Präsident der DGGG.

Immer wieder kamen in Ländern, in denen keine legalen Schwangerschaftsabbrüche möglich sind, Kinder nach einem unzulänglichen Abbruchsversuch mit Prostaglandinen (ohne Mifegyne und ohne operative Eingriffe) mit Missbildungen auf die Welt. Und grundsätzlich kann man keinem Hersteller verübeln, wenn er sich nicht um eine Zulassung bemüht, die er möglicherweise aus ethischen Gründen ablehnt.

„Aber es ist auch problematisch, wenn ein wichtiges und sicheres Medikament für Frauen aus wirtschaftlichen oder ethischen Motiven eines Unternehmens nicht zur Verfügung steht“, gibt die Ärztin Ines Thonke, Expertin bei „pro familia“ in Frankfurt, zu bedenken.

Weil die Zulassung fehlt, müssen Ärzte die Anwendung auf ihre eigene Kappe nehmen. Da sie grundsätzlich verpflichtet sind, ihre Patientinnen so wenig wie möglich zu belasten, könnte „der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch durchaus berechtigt sein“, ist im Papier der Fachgesellschaft zu lesen. Eine juristische Einschätzung zu diesem „Off-Label-Use“, die „pro familia“ gleich 1999 einholte, gibt ihnen zudem Rückendeckung. Die Ärzte müssen ihre Patientinnen jedoch über die Sachlage aufklären.

Nun steht jedoch die zusätzliche Sorge im Raum, dass auch dieser von keiner Zulassung gedeckte Gebrauch bald nicht mehr möglich ist. Zwar versichert Pfizer, das Präparat werde nur in Deutschland vom Markt genommen. Die Begründung, das Produkt sei schon älter und inzwischen unwichtig geworden, gilt aber genauso für andere Länder.

Tatsächlich hat es auch für die Magentherapie, für die es zugelassen ist, an Bedeutung verloren. Für Vorbeugung und Behandlung von Schädigungen der Magenschleimhaut, die etwa Rheumakranken bei der Schmerzmittel-Einnahme drohen, gibt es inzwischen modernere Medikamente. Ein Kombipräparat, in dem auch das Rheumamittel Diclofenac enthalten ist, wird man zudem auch in Zukunft in Deutschland kaufen können.

Noch tut sich in der Gynäkologie keine Lücke auf, weil die saarländische Firma Kohlpharma die Importlizenz für Deutschland hat. „Die Lage könnte sich jedoch ändern, sollte das Mittel europaweit vom Markt genommen werden“, fürchtet Ines Thonke. „Pro familia“ will sich aber auf jeden Fall dafür einsetzen, dass Misoprostol als sicherstes und nebenwirkungsärmstes Prostaglandin für den medikamentösen Abbruch verfügbar bleibt.

In Frankreich, wo die Firma Exelgyn die „Abtreibungspille“ Mifegyne herstellt, wird das Pfizer-Produkt Cytotec, dessen Patentschutz im Jahr 2000 ablief, als Ergänzung übrigens nicht mehr gebraucht. Dort ist inzwischen ein Generikum namens „Gymiso“ auf dem Markt, zwar deutlich teurer, doch von der Herstellerfirma HRA-Pharma zutreffend als „einziges für die Gynäkologie zugelassenes Misoprostol-Präparat“ beworben.

Adelheid Müller-Lissner

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