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Gesundheit: Der Philosoph Jean-Luc Nancy über Gewalt und Wahrheit

Wer eine widerspenstige Schraube mit Hilfe von Kriechöl und einem Schraubenzieher aus dem Holz dreht, handelt klug und dem Material entsprechend. Wer sie mit einer Zange ausreißt, agiert äußerlich und zerstört roh Form und Sinn des vorliegenden Gegenstandes.

Wer eine widerspenstige Schraube mit Hilfe von Kriechöl und einem Schraubenzieher aus dem Holz dreht, handelt klug und dem Material entsprechend. Wer sie mit einer Zange ausreißt, agiert äußerlich und zerstört roh Form und Sinn des vorliegenden Gegenstandes. Eine der schönsten Passagen im Vortrag des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy in der letzten Woche an der Humboldt Universität war seine bildliche Definition von Gewalt. "Die Gewalt entstellt, was sie vergewaltigt, sie entreißt dem Ding seine Form und macht daraus nichts als ein Zeichen ihrer eigenen Wut. Die Gewalt", sagte Nancy mit Nachdruck, "ist zutiefst dumm." Das Graduiertenkolleg "Codierung von Gewalt im medialen Wandel", hatte den hierzulande noch wenig bekannten sechzigjährigen Philosophen, der in Stasbourg lehrt und zum Kreis um Jacques Derrida gehört, zum Thema "Gewalt und Bild" eingeladen.

Bilder der Gewalt verfolgen uns alltäglich. Wir sehen sie in Zeitschriften, im Fernsehen, im Kino, sie hängen als Zeugen aus allen Jahrhunderten in den Museen. Immer wieder geht die Diskussion darum, wie weit die Darstellung von Gewalt zulässig sei, ob sie uns schadet oder nutzt und wie wir sie moralisch bewerten sollen. Ein Philosoph jedoch, der etwas auf sich hält, geht anders vor und fragt grundsätzlicher. So war auch Nancys Thema nicht die Gewalt als Inhalt der Bilder, er suchte vielmehr danach, warum ein Bild überhaupt Gewalt darstellen und warum es selbst - als Form - gewaltsam sein kann. Sein Interesse galt der Frage, "was eigentlich das Bild an die Gewalt und die Gewalt an das Bild bindet", und wie man die gute von der schlechten Gewalt, die guten von den schlechten Bildern unterscheiden könnte. Denn zwar ist die Gewalt dumm, eine "tobende Schwäche, Vernichtung bloß um der Vernichtung willen, eine reine, schwerfällige, unzugängliche Intensität", doch auch die "Wahrheit", die Offenbarung des Richtigen, geht gewaltsam vor und zerreißt bestehende Ordnungen.

Christus, so heißt es in der Bibel, "kommt, um das Schwert zu bringen", in Platons Höhlengleichnis werden die Menschen durch das Licht der Sonne, der Wahrheit, gewaltsam geblendet. Erkenntnisse treffen uns oft schmerzhaft wie ein Blitz und wir kennen den politischen Zwang zur Durchsetzung angeblich wahrer Werte. Die rohe Gewalt, die sich zur Wahrheit macht, ist von der guten Wahrheit, die sich gewaltsam offenbart, oft nicht zu unterscheiden. Nancy hielt beharrlich an dem Doppelspiel von "Wahrheit der Gewalt" und "Gewalt der Wahrheit" fest, gab aber gleichzeitig eine nicht ganz neue philosophische Unterscheidung an: Die bloße Gewalt diene nur sich selbst, sie setze sich als geschlossener Block, "sie nimmt die Identität eines Schlagstocks an, und kommt nur aus sich heraus, um dieser Schlagstock zu sein". Die Wahrheit dagegen bleibt, wenn auch gewaltsam, unbestimmt und offen, sie führt auf anderes hin, öffnet neue Räume, sie ist nicht Gewalt um der Gewalt willen.

Für die Gewalt des Bildes zeigte Nancy eine parallele Zweideutigkeit auf. Gewalt und Wahrheit wollen sich im Bild zur Schau stellen. Sie zwingen das Dargestellte zu einer künstlichen Einheit, sie wetteifern mit dem "Original" und machen ihm seine Präsenz streitig. "Jedes Bild ist vielleicht am Rand der Grausamkeit", meinte Nancy. Doch ähnlich wie bei der schlechten und der guten Gewalt, ist ein schlechtes Bild eines, das nur schockiert, eine Grausamkeit, die sich als Zeichen verewigt. Ein gutes Bild dagegen zeichnet sich durch Offenheit aus, dadurch, wie Nancy dunkel ausdrückte, dass es das "bodenlose Wirkliche", berühre und auf das "über sich schwebende unendlich Bevorstehende" zeige. "Es ist die Verantwortung der Kunst, zwischen einem bodenlosen Bild und einem Bild, das nur ein Schlag ist, unterscheiden zu können." Hilft das bei der Frage, welche Darstellung von Gewalt gut und welche schlecht ist? In gewisser Weise schon, denn es geht nicht darum, "ob wir Gewalt zeigen, sondern wie wir sie zeigen."

Französische Philosophie ist, seitdem sie Heidegger entdeckt hat, nicht mehr einfach. Auch Jean-Luc Nancy pflegt, inmitten in der aufgeklärten Moderne, jenen eigenartigen Gestus eines selbstverständlichen Philosophierens hart am Rand einer metaphysischen Begrifflichkeit. Um konkrete Beispiele und Bewertungen drückte er sich herum. Was ist mit der politischen Gewalt im Kosovo Krieg? Wie ist Body Art zu bewerten oder die schockierenden Benneton-Reklamen? Zu entscheiden, ob im Einzelfall "Gewalt der Wahrheit" oder "Wahrheit der Gewalt" am Werke ist, scheint nicht die Sache des Philosophen zu sein. Und vielleicht ist das auch gut so.

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