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Künstliche Befruchtung: Ärzte wollen auch in Deutschland Embryonen auswählen

Reproduktionsmediziner: Es geht nicht um Kinder nach Maß, sondern um größere Erfolgschancen bei der künstlichen Befruchtung.

Für die einen ist der kleine Jamie eine Art „Ersatzteillager“ oder ein „Designerbaby“. Für die anderen ist er ein „Rettungssgeschwister“. Fest steht: Der vierjährige Junge aus dem britischen Derbyshire hat seinen vier Jahre älteren Bruder von einer lebensgefährlichen Form von Blutarmut geheilt – mit einer Stammzellspende aus seinem Nabelschnurblut.

Jamie ist nicht irgendein Blutspender. Er wurde in der Petrischale gezeugt. Bevor der Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt wurde, unterwarf man ihm einem Gentest. Jamie wurde ausgewählt. Und auch deshalb ausgetragen, weil seine genetisch festgelegte Blutgruppe ihn zu einem geeigneten Spender für seinen kranken Bruder machte. Deshalb sprechen die einen von einem Ersatzteillager, die anderen vom Rettungsgeschwister.

In der letzten Woche hat das britische Parlament entschieden: Kinder wie Jamie darf es geben. Die Auswahl eines genetisch zu einem kranken Geschwister „passenden“ Embryonen im Rahmen der künstlichen Befruchtung wurde nun in Großbritannien durch den Beschluss erlaubt, die Regelungen damit gelockert. Für Jamie musste seine Mutter dagegen noch in eine Klinik in den USA reisen. Auch in Deutschland ist die Auswahl von Embryonen bei der künstlichen Befruchtung verboten.

Fälle wie dieser sind selten. Sind sie gerechtfertigt? Oder machen sie das Kind zu einem Mittel, nämlich der Heilung eines anderen Menschen? „Ein Kind als Ersatzteillager auszuwählen, verstößt gegen die Menschenwürde des Kindes“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Hamburger Röntgenarzt und Vizepräsident der Bundesärztekammer. Der Frauenarzt Heribert Kentenich von den DRK-Kliniken in Berlin ist anderer Ansicht. „Entscheidend ist, ob das Kind um eines anderen Kindes oder hauptsächlich um seiner selbst willen gezeugt wird“, sagt er.

Der Reproduktionsmediziner kann mit dem liberalen britischen Recht gut leben. Aber er stört sich an der deutschen Gesetzeslage. Kentenich kritisiert wie viele seiner Kollegen, dass das deutsche Embryonenschutzgesetz zu streng ist. Es erlaubt nicht die Auswahl von befruchteten Eizellen. Jeder Embryo, der in der Petrischale erzeugt worden ist, muss auch umgehend eingepflanzt werden. „Der Vierzeller-Embryo in der Petrischale genießt in Deutschland einen höheren Schutz als der im Mutterleib“, sagt Kentenich. Das deutsche Recht hat erhebliche Konsequenzen. Zum einen ist die Erfolgsrate bei der künstlichen Befruchtung geringer als in anderen Ländern. Und zum anderen ist die Rate an Zwillingen und Drillingen deutlich erhöht. Mehrlingsschwangerschaften haben ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko – und damit steigt auch die Gefahr bleibender Behinderungen für die Kinder. Von der Belastung für die Frau zu schweigen. „Erbarmungslos“ nennt Reinhard Merkeln, Jurist an der Hamburg Uni, das deutsche Embryonenschutzgesetz.

„Heute werden bis zu drei Embryonen zurückgegeben“, sagt Kentenich. „Aber wir würden am liebsten den Embryo auswählen, der am entwicklungsfähigsten ist, und nur ihn einpflanzen.“ Kentenich plädiert deshalb dafür, das Embryonenschutzgesetz zu lockern und dem europäischen Standard anzupassen. Ärzte sollen künftig den Embryo auswählen, der das größte Entwicklungspotenzial besitzt, und nur ihn einsetzen.

Zumindest in dieser Legislaturperiode dürfte die Überarbeitung des fast 20 Jahre alten Gesetzes im Parlament allerdings nicht mehr zur Sprache kommen, schätzt Kentenich. Viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch gehen deshalb schon heute ins Ausland. Das Leben findet einen Weg.

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