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Ein echter Bodenschatz: Der Terrazzo ist nachhaltig, langlebig und seit neuestem wieder ästhetisch gefragt

© iStockphoto, Montage: TSP

Architektur-Trend Terrazzo: Zurück in die Steinzeit

Im Alten Rom schmückte er Villen, im Nachkriegsdeutschland Schalterhallen. Jetzt feiert Terrazzo ein Comeback – auf Duschvorhängen und in Boutiquen.

Es tutet in der Leitung, dann nochmal, nochmal und nochmal. Schließlich geht der Anrufbeantworter dran. „Zur Zeit arbeitet Peter Hess an einem tollen Bodenkunstwerk“, flötet eine Frauenstimme. Und bittet, dass man eine E-Mail schreiben möge. „Wenn wir jedes Mal ans Telefon gehen würden“, entschuldigt sich der Sohn Norman Hess nach einer E-Mail telefonisch, „dann bräuchten wir zwei Büroangestellte extra.“ In St. Wendel im Saarland klingelt das Telefon gerade dauernd.

Der Familienbetrieb ist auf das handwerkliche Gießen von Terrazzoböden spezialisiert. Und der klassische Bodenbelag aus Nass-Estrich mit Natursteinsprengseln legt ein erstaunliches Comeback hin.

Kurzer Blick ins Auftragsbuch der Firma Hess. Gerade ist sie in einer Kirche in Frankfurt am Main zu Werke, ein alter Boden wird restauriert und der Altarraum neugestaltet. Dann ein historisches Gebäude in Berchtesgaden mit denkmalgeschütztem Boden. Anschließend Ibiza und Mallorca, jeweils Neubauten.

Ein Restaurantbesitzer will fluoreszierende Steine im Estrich

Dabei hatte Peter Hess sein Geschäft schon aufgegeben. Gab ja lange nichts zu tun für einen Terrazzoleger vom alten Schlag. Während seiner Lehre als Beton- und Terrazzohersteller nahm ihn sein italienischer Lehrmeister im Sommer mit nach Norditalien und zeigte ihm die prachtvollen, mit Mosaiken verzierten Böden rund um Florenz. Bloß: In Deutschland wollte die keiner. So verlegte Peter Hess halt Fliesen. Industrieware statt Handwerkskunst. Das schien wirtschaftlich die bessere Wahl.

Heute ist er fast Monopolist, denn Meisterbetriebe gibt es kaum noch in Deutschland. Der Bedarf aber wächst von Jahr zu Jahr. So um 2000 ging das los, da wurde Hess von einem Architekten angefragt, einen klassischen Terrazzo zu gießen. Danach kamen immer mehr Aufträge, von größeren Architekturbüros und aus dem ganzen Bundesgebiet. Darunter waren auch mal schräge Wünsche. Ein Restaurantbesitzer wollte fluoreszierende Steine im Estrich, die im Dunklen leuchten. Mittlerweile lernt auch Peter Hess’ Sohn Raffael Terrazzoleger. Ein Beruf mit Zukunft.

Trendarchäologisch gibt es bei dem aktuellen Boom eine Menge zu graben. Plötzlich tauchte das Muster überall auf. Im KaDeWe und im Zoopalast, in Cafés und Restaurants, aber auch auf Handyhüllen, Jutebeuteln, Sweatshirts, Seifen, Geschenkpapier, Duschvorhängen, Schachteln, Schuhen, Kissen – und sogar auf Teppichen. Da schließt sich quasi ein Kreis, denn auf dem Boden ging die Geschichte schließlich los.

Vom venezianischen Palazzo zur deutschen Nachkriegsschalterhalle

In der Südosttürkei buddelten Forscher einen Terrazzoboden aus, den sie auf etwa 7000 vor Christus datierten und der schon ein Qualitätsmerkmal des Werkstoffs zeigt: seine Robustheit. Im alten Rom war es en vogue, Kalkmörtel oder Lehm mit farbigen Zuschlagstoffen und Mosaiken zu verschönern. Während der Renaissance adelten die venezianischen Terrazzeri den Bodenbelag zu einem Stück Handwerkskunst. Jeder dieser gegossenen Böden ist schließlich ein Unikat. In der Lagunenstadt ziert Terrazzo so manchen Palazzo, nicht zuletzt den Dogenpalast.

In Deutschland wurde der Boden um 1900 populär. „Da kamen italienische Einwanderer über die Alpen und haben diese Handwerkskunst nach Deutschland eingeführt. Das Material war damals nicht teuer, die Personalkosten gering, Zeit hat praktisch keine Rolle gespielt“, sagt Norman Hess. Italienische Leichtigkeit kam deshalb nicht unbedingt auf deutsche Böden: „In Italien streut man die Zuschläge so lässig ein, in Deutschland hat man hochpräzise Mosaike gelegt. Akkurat und gradlinig in der Bordüre.“

Ab den 1950er Jahren löste allmählich die industrielle Fertigung das Handwerk ab – und mit ihm seine besondere Optik. Die neuen vorgeschliffenen Formatplatten wurden viel in Treppenhäusern und öffentlichen Gebäuden verbaut. Von seinem kieselgrauen Schalterhallencharme hat sich der Boden lange nicht erholt.

Für jede Lebenslage: Max Lamb hat für das Designstudio Dzek ein Klo aus Terrazzo entworfen
Für jede Lebenslage: Max Lamb hat für das Designstudio Dzek ein Klo aus Terrazzo entworfen

© Pomo / Dzek

Graue Maus plötzlich im Nerz

Heute staffiert der Regisseur Wes Anderson das Café der Fondazione Prada in Mailand mit einen bonbonrosa Terrazzo aus. Der Designer Max Lamb kleidet in Paris eine Boutique des Modelabels Maison Kitsuné mit einem weißen Terrazzo mit überdimensionierten Zuschlägen aus buntem Marmor ein. Es ist, als würde eine graue Maus plötzlich im Nerz erscheinen. Wobei grau – der Terrazzo hat auch eine bunte Verwandtschaftslinie. Die stammt von der Gruppe Memphis Design um Ettore Sottsass. Die entwarfen in den 1980er-Jahren das Muster Star Piece für einen Tisch. Statt Steinsplittern verwendeten sie farbige Glasscherben, was nach Kindergeburtstag mit Konfettikanone aussah. Eine Art anarchischer Vorläufer des Looks, der heute überall zu sehen ist.

Der vielfach ausgezeichnete Berliner Architekt Thomas Kröger etwa verwendet Terrazzo gern. Jüngst in einem Haus am Wandlitzsee und in einem Pavillon in Gerswalde in der Uckermark. Dort kam der ockerfarbene Kies, der in den Terrazzo gemischt wurde, aus dem Nachbardorf. „Auf dem Land bietet sich das an, dass man die Farbigkeit der Umgebung aufnimmt.“ Was er an dem Material schätzt? „Einerseits den speziellen Glanz, der durch das Schleifen entsteht. Andererseits das Monolithische des gegossenen Bodens, das Räume besser fasst und keine Fugen entstehen lässt.“ Dafür mit den Jahren umso mehr Charisma. „Der Alterungsprozess ist schön. Er erzählt mal etwas anderes als die deutsche Industrieästhetik des Unberührbaren.“ Dazu gehören auch feine Risse, die je nach Konstruktion mal größer ausfallen können. Aber: „In Venedig stört das den deutschen Romantiker auch nie.“

Auch alte Kabel kann man in einen Terrazzo gießen, findet das Designkollektiv "They feed off buildings"
Auch alte Kabel kann man in einen Terrazzo gießen, findet das Designkollektiv "They feed off buildings"

© Promo / Urban Terrazzo

Der älteste Recycling-Boden

Erzählen kann der Terrazzo noch ganz andere Geschichten. Darauf haben sich Rasa Weber und Luisa Rubisch mit ihrem „Urban Terrazzo“ spezialisiert. Das Design- und Architekturkollektiv „TFOB – They Feed Off Buildings“ gießt Böden aus regionalem Bauschutt. Statt Marmor und Granit landen bei ihnen Ziegel, Waschbeton, aber auch Keramik und Metall im Zement. Und davon gibt es eine ganze Menge. Immerhin ist Bauschutt die prozentual größte Müllart in Deutschland. Mehr als 200 Millionen Tonnen fallen pro Jahr an.

Insofern ist „Urban Terrazzo“, den sie in Berlin entwerfen und mit Handwerkern vor Ort gießen, auch ein Stück kreislauffähiges Bauen. „Der Terrazzo ist der älteste Recyclingboden. Schon bei den alten Römern legte man die Verschnitte vom Marmor, aus denen der Steinmetz nichts mehr machen konnte, als Mosaik in den kalkgebundenen Estrich und schliff sie dann.“ Die Zuschläge bestanden damals aus Ziegel-, Terrakotta- und Keramikstücken und nicht aus Stein, den man ohne Schleifmaschinen kaum glatt bekommen hätte.

Wenn möglich, arbeiten TFOB gleich im Bestand. Das machen sie gerade in der Kunsthalle Prag, die mal ein Umspannwerk war und danach ein Club. Für die neue Nutzung wird das Gebäude entkernt. Aus dem Schutt, der übrigbleibt, bauen sie den Bodenbelag. In den dunklen Beton kommen auch Keramik von den Isolatoren und Kupfer von den Kabeln. Die glänzen im dunklen Stein wie Edelmetall. Bodenschätze eben. Nur, dass die auch die Geschichte des Gebäudes festhalten.

Ein 3D-Drucker printet Marmor- und Granitsteine auf den Boden

„Ich mag die Spanne vom Material zum Boden“, sagt Rasa Weber. „Wenn man etwa Waschbeton schleift, dann entstehen da so kleine weiße Pünktchen. Etwas Schönes aus etwas Hässlichem.“ Weber erinnert das an die japanische Handwerkskunst des Kin Tsugi, die gerade auch im Westen populär wird. Bei der traditionellen Reparaturtechnik wird gebrochene Keramik gekittet und der Riss mit Goldstaub verziert. So wird Zerbrochenes nicht nur schön, sondern sogar einzigartig. Fällt eine Vase herunter, dann ist das kein Unfall, sondern ein Glücksfall.

Die neue Verbreitung des Klassikers hat aber auch mit neuen Methoden zu tun. Der von David Chipperfield entworfene Erweiterungsbau des Museums Folkwang in Essen etwa hat einen Terrazzo, der mit einer Fertigmischung angegossen ist, dem Rheinkiesel zugefügt wurden. Einen Schritt weiter ging die niederländische Firma Aectual am Flughafen Schiphol. Sie haben einen Roboterarm entwickelt, der wie ein 3D-Drucker Marmor- und Granitsteine auf den Boden printet.

Ach, winkt Norman Hess aus St. Wendel ab. Solche Versuche der Industrialisierung seien doch nur eine technische Spielerei. „Ein Roboter kann nicht die Menschenhand ersetzen.“ Jedenfalls lief das die letzten 7000 Jahre so.

Felix Denk

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