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Rendezvous: Das US-Raumschiff „Atlantis“ am 4. Juli 1995 an der russischen Station „Mir“.

© Reuters/NASA | Bearbeitung: TSP

Vor 28 Jahren dockte die „Atlantis“ an die „Mir“ an: Als Russland und die USA ihren Krieg der Sterne beilegten

Im Juni 1995 koppelt erstmals nach Ende des Kalten Krieges ein US-Shuttle an die russische Raumstation an. Die Kooperation geht auch nach dem Überfall auf die Ukraine weiter. Fürs Erste.

1 Die Sensation

Mit einem Handschlag, 225 Kilometer über der Erde, besiegeln der Amerikaner Robert „Hoot“ Gibson und der Russe Wladimir Deschurow am 29. Juni 1995 die neue Freundschaft ihrer beiden Länder im Weltall. Nur wenige Sekunden zuvor hat Gibson das 78.000 Kilogramm schwere US-Spaceshuttle „Atlantis“ in Handarbeit an die russische Raumstation „Mir“ – was „Frieden“ sowie „Erde“ bedeutet – heranmanövriert. Historische Aufnahmen des Moments zeigen, wie das Shuttle sich in einer Geschwindigkeit von drei Zentimetern pro Sekunde langsam auf den Kopplungsring der Raumstation zubewegt und beide Module schließlich perfekt ineinandergreifen. Auf der Erde verfolgen Millionen von Zuschauern die Live-Übertragung des Andockflugs.

Insgesamt zwei Stunden dauerte der Landeanflug der „Atlantis“ an die „Mir“. Dabei verfolgte die amerikanische Crew die Raumstation, die mit durchschnittlich 28.000 Kilometern pro Stunde die Erde umrundete. Um sie einzuholen, waren mehrere Triebwerkzündungen der „Atlantis“ nötig. Als das „Rendezvous“, wie das Andockmanöver auch genannt wird, vollbracht war, öffnete Deschurow eine Luke, um seine amerikanischen Kollegen nach einem Druckausgleich zwischen den beiden Flugkörpern an Bord der „Mir“ zu lassen.

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Zur Begrüßung beschenkten die Crews einander. Für die amerikanischen Gäste gab es nach russischer Tradition Brot und Salz. Die „Mir“-Kosmonauten erhielten von der „Atlantis“-Crew Schokolade, Obst und Blumen. Der damalige NASA-Chef Daniel Goldin sprach vom „Beginn einer neuen Ära der Freundschaft und Zusammenarbeit“ zwischen Russland und den USA.


2 Die Annäherung

Das „Rendezvous“ von „Atlantis“ und „Mir“ war das erste Mal seit Ende des Kalten Krieges, dass amerikanische und russische Raumfahrzeuge aneinander dockten, aber nicht das erste Mal in der Geschichte. Bereits im Juni 1975 – 14 Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer – koppelten die amerikanische „Apollo“ und ein russisches „Sojus“-Raumschiff aneinander an. Schon damals war von einer Zäsur die Rede, schließlich rüsteten die Supermächte USA und Sowjetunion nicht nur auf der Erde gegeneinander auf. Auch mit Raketentechnik versuchten sie, einander zu übertrumpfen. Zumindest im Weltall hatten die US-Mondlandungen ab 1969 das Wettrennen aber inoffiziell beendet und für Entspannung im Kalten Krieg gesorgt.

Im All arbeiten Washington und Moskau seit Jahrzehnten zusammen – hier ein Archivbild des US-Astronauten Michael Fincke (oben) und des russischen Kosmonauten Juri Lontschakow im Jahr 2008.

© AFP/Dmitry Kostyukov

Auf dem Papier wurde die außerirdische Versöhnung im Jahr 1992 festgehalten, als US-Präsident George Bush und Kremlchef Boris Jelzin eine „Vereinbarung zwischen den USA und Russland über eine Kooperation bei der Erforschung und der Nutzung des Weltraums für friedliche Zwecke“ unterschrieben. Daraus erwuchs das „Shuttle-Mir-Programm“.

Die russische Raumfahrt konnte so ihre aus der Sowjetzeit geerbten Budgetprobleme kompensieren. Den Amerikanern hingegen fehlte Erfahrung mit Langzeitaufenthalten im Weltall. Sie hatten sich in den vorangegangenen Jahrzehnten auf kurzzeitige Spaceshuttle-Projekte konzentriert, während die Sowjets Raumstationen wie eben die „Mir“ entwickelten. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern führte schließlich zur Entstehung der ISS im Jahr 1998, der bislang größten Raumstation.


3 Der Alleingang

Als erste Amtshandlung verkündete im August 2022 der neue Chef der Raumfahrtagentur Roskosmos, Juri Borissow, Russlands Ausstieg aus der ISS. Zu dem Zeitpunkt war der großangelegte Einmarsch Russlands in die Ukraine rund fünf Monate her. Borissow ist ein ehemaliger Militär und eifriger Verfechter des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs. Dabei steht er seinem Vorgänger, Dmitri Rogosin, in nichts nach: Dieser hatte gewarnt, dass die ISS abstürzen könnte, wenn Russland sich aus dem Projekt zurückziehe. Schließlich sei das russische Segment der ISS dafür zuständig, „dass die Umlaufbahn der Station korrigiert wird“. Er verband die Drohung mit einer Forderung an den Westen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben.

Raumfahrtexperten werteten dies als reine Nebelkerze. Zu groß sei die Gefahr, dass die ISS bei einem Absturz auf Russland träfe. Und doch zeigte Rogosins Drohung anschaulich, warum die ISS trotz westlicher Sanktionen gegen Roskosmos, das in Russland als militärische Behörde gilt, vorerst weiterbetrieben wird: Sie funktioniert nur, wenn alle mitmachen.

Während Russland für die Kurskorrektur zuständig ist, steuern die USA etwa den maßgeblichen Teil des Stroms für den Betrieb bei. Man ist zu abhängig voneinander, um sich auch im All voneinander abzukehren. Für die Wissenschaft stellt die Raumstation einen Meilenstein dar, denn sie ermöglicht Langzeituntersuchungen und Experimente in der Materialforschung oder Humanmedizin.

Im Februar 2023 verkündete Roskosmos allerdings, die Raumfahrtbehörde werde sich 2028 von der ISS zurückziehen. In der Zwischenzeit wolle Russland eine eigene Raumstation bauen. Die Rivalität aus den Zeiten des Kalten Krieges wäre dann zurück.

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