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Kostüme für die 1920er Jahre. Bekleidung aus dieser Zeit erlebt bei Theaterkunst gerade einen Boom. Auch die Serie "Eldorado KaDeWe" wurde zu großen Teilen hier ausgestattet.

© Eldorado KaDeWe

Besuch beim größten Fundus in Berlin: Von Metropolis bis Inglourious Basterds - was für ein Theater

Mehr als zehn Millionen Kostüme warten im Fundus von Theaterkunst darauf, im Kino gezeigt zu werden. Schon Marlene Dietrich ließ sich hier einkleiden.

Manchmal sieht man einen abgerissenen Knopf auf der Straße liegen. Eine Belanglosigkeit. Wahrscheinlich ist das Fehlen dem Träger nicht einmal aufgefallen.

Ganz anders ist es, wenn ein Knopf von einem historischen Originalkostüm des größten Kostümfundus Deutschlands, der Theaterkunst, verloren geht. Hier muss jedes Detail stimmen. An ein altes Originalstück gehören die passenden historischen Knöpfe: „Man kann sich nicht vorstellen, wie viele Stunden verschiedene Leute daran arbeiten, das ursprüngliche Gesicht des Kleidungsstücks wiederherzustellen. Allein die Recherche! Oft läuft es darauf hinaus, dass alle Knöpfe ausgetauscht werden müssen“, sagt Dorothée Uhrmacher, Kostümbildnerin und künstlerische Leiterin bei Theaterkunst.

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Seit 1907 gibt es das heute von Andrea Peters geführte Berliner Unternehmen mit Dependancen in Warschau, Köln und Budapest. Besucht man das Stammhaus in der Nähe des Hohenzollerndamms, würde man nie erwarten, welche Schätze hinter den rohen Backsteinmauern schlummern.

Hüte unter der Decke. So sieht das aus im Fundus von Theaterkunst.

© Theaterkunst

Mehr als zehn Millionen Kostüme, Accessoires und Schuhe warten darauf, internationale Leinwände zum Strahlen zu bringen. Aber nicht nur die riesige Auswahl an Teilen macht den Fundus einzigartig, auch die Fachkenntnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts war das Unternehmen sehr erfolgreich und stattete Filme wie Fritz Langs Monumentalwerk „Metropolis“ (1926) aus.
Für ein weiteres üppig ausgestattetes Werk, den Stummfilm „Ben Hur“ (1925), wurden die Darstellerinnen und Darsteller eigens zur Anprobe aus Amerika eingeschifft. Sogar Marlene Dietrichs berühmtes Kostüm in „Der blaue Engel“ (1930) stammt von Theaterkunst. Im Umgang mit den zwanziger Jahren ist das Unternehmen also mehr als vertraut.

Stillgestanden. Tausende Kostüme aus vielen Epochen warten bei Theaterkunst auf ihren Einsatz.

© Theaterkunst

Dementsprechend groß ist die Nachfrage. Die nachgefragten Stücke gehen direkt von einer Produktion in die nächste, teilweise sind sogar Originalteile darunter. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Berlin viele Kostüm- und Ausstattungsunternehmen gegründet, die sich auf Theater, Oper oder Revue konzentrierten. Theaterkunst hingegen wagte schon den Sprung zum Film, als die Zukunft dieses neuen Mediums noch gar nicht absehbar war.

Einige Originalstücke werden irgendwann zu kostbar zum Verleihen

Auch Privatpersonen konnten hier in den 1920er Jahren Kostüme anfertigen lassen und ausleihen. Marlene Dietrich ließ sich für einen Maskenball 1927 einen blauen Samtanzug schneidern, der einem Anzug auf dem Gemälde „Blue Boy“ (1770) von Thomas Gainsborough nachempfunden war. Aber auch später trugen große Stars wie Romy Schneider oder David Bowie Kostüme von Theaterkunst.

Historische Filme wie „Inglourious Basterds“ (2009), „Shutter Island“ (2010), „Grand Budapest Hotel“ (2014) oder kürzlich die Netflix-Serie „Das Damengambit“, in denen die Kostüme eine wichtige Rolle spielen, wurden ebenfalls hier ausgestattet.

Einige Originalstücke werden irgendwann zu kostbar zum Verleihen, doch dann sind sie immer noch von unschätzbarem Wert als Vorlage für Neuanfertigungen. In den Archiven befinden sich sogar Teile, die vor weit mehr als 100 Jahren bei schlechtem Licht von Hand angefertigt wurden.

Goldenes Jahrzehnt. Schon vor 100 Jahren stattete Theaterkunst Filme aus.

© Theaterkunst

Ein Tag reicht niemals aus, um sich alles genau anzuschauen. Im Erdgeschoss ist die Herrenbekleidung untergebracht, Anzüge hängen bis unter die Decke, an den Wänden stehen Dutzende Meter von Schubladen mit gestärkten Kragen, Manschetten, Handschuhen. Auf drei Ebenen warten Kleider, Hüte, Umhängetücher, Mäntel aus 120 Jahren Damenmode. Für alle Stücke vor 1900 und Uniformen gibt es eine zusätzliche Halle eine S-Bahn-Station entfernt.

Eine Waffenkammer im Keller, Säbel, Ritterrüstungen und Helme, ein ganzer Raum nur gefüllt mit Stiefeln. Im Obergeschoss die Werkstatt, denn auf Wunsch fertigt Theaterkunst auch an. Zu den Werkstätten gehören Wunderkammern voller Korsettstäbe, Knöpfe und Stoffe. Einige sind mit echten Metallen durchwirkt, die versilbert sind. Wenn man schwitzt, würde das Gewebe grün anlaufen. Hier befestigt eine Gewandmeisterin funkelnde Glitzersteinchen auf einem schillernden Bikini. Der Gala-Frack eines Staatsministers von 1890 thront auf einer Schneiderpuppe, golden bestickt.

Auch die unzähligen Komparsen der TV-Serie „Eldorado KaDeWe“ wurden von Theaterkunst ausgestatte

Auf die Frage nach der richtigen Zusammenstellung eines authentischen 1920er-Jahre-Kostüms folgen lange Debatten. Das Problem ist nämlich, dass die besten Teile aufgrund der großen Nachfrage immer ausgeliehen sind. Schließlich findet sich ein Kleid aus 100 Jahre altem Stoff, das womöglich in der Serie „Babylon Berlin“ zu sehen war. Auch die unzähligen Komparsen der TV-Serie „Eldorado KaDeWe“ wurden von Theaterkunst ausgestattet.
Unterm Dach grüßen Hüte, Hüte und nochmals Hüte von Regalen an den Wänden, bratenplattengroß, explosionsartig mit Papierblumen und Straußenfedern verziert. Auf einem Strohhut thront ein ausgestopfter Vogel, ein goldener Hut ist mit Paradiesvogelfedern besetzt, ein Glockenhut mit Perlen bestickt.

Einsatzbereit. Kostüme von Theaterkunst.

© Theaterkunst

Eine Mitarbeiterin der Theaterkunst sagt: „Das ist der schönste Beruf, den man sich vorstellen kann.“ Zärtlich streicht sie über all die Kostbarkeiten und schweigt andächtig angesichts der Schönheit, die sie jeden Tag umgibt. Immer neue Stücke werden ausgegraben und vorgezeigt, eine muschelförmige Handtasche, über und über mit Perlmuttpailletten besetzt, ein Set aus Seevogelleder, bestehend aus einer Mütze, einem Kragen und Manschetten. Möchte man ein Kostüm aussehen lassen, als stamme es aus der Zeit der Renaissance, ist das allerdings gar nicht so einfach. Viele historische Materialien gibt es heute nicht mehr, auch die Handwerkstechniken gehen immer mehr verloren. Da müssen die Gewandmeister:innen erfinderisch sein.

„Kleidung ist die nonverbale Selbstoffenbarung eines Menschen“

Aber natürlich gibt es auch viele ästhetische Übersetzungen der Vergangenheit, je nach Produktion oder Intention der Regie ist es vielleicht gar nicht wichtig, historisch genau zu sein. Manchmal soll über das Kostüm ein Bezug zur Gegenwart hergestellt werden wie in „Eldorado KaDeWe“. Einzelne Szenen spielen im Berlin der Jetztzeit und die Kostüme sind so modern, dass sie im heutigen Straßenbild nicht auffallen würden.

Wie viel Arbeit in einem einzelnen Filmkostüm steckt, ist den Zuschauern oft gar nicht bewusst. Kostümbildner:innen dürfen nicht das kleinste Detail dem Zufall überlassen. Welchen Stoff sollte man verwenden? Welche Einlage? Sollen die Schuhe bei jedem Schritt quietschen? „Kleidung ist die nonverbale Selbstoffenbarung eines Menschen. Wenn uns die Bekleidung unseres Gegenübers nicht irritiert, dann wirkt sie stimmig, ist Ausdruck der Persönlichkeit. So sollte das auch mit einem guten Kostüm sein. Es sollte die Qualität in sich tragen, den oder die Darsteller:in in der jeweiligen Rolle zu unterstützen“, sagt Dorothée Uhrmacher.

Maja Hohenberg

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