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Wie gemalt. Venedig ist ein Traum, vor allem abseits der großen Touristenströme.

© Willem Thomson

Genusstour durch die Lagunenstadt: Venedig sehen und... speisen

Die schönsten Kulturorte der Lagunenstadt besuchen und nebenbei landestypisch essen gehen. Wir verraten, wo das gelingt - ganz ohne Abzocke.

In Sachen Präsenz macht ihm keiner etwas vor. Obwohl sich sein langes Leben in der fernen Welt der Renaissance erfüllte, prägt sein Werk Venedig bis heute. Die unzähligen Gemälde von Jacopo Robusti, den sie hier Tintoretto, den kleinen Färber, nannten, bevölkern Paläste, Kirchen und Museen. Sie verzieren Weinflaschen, T-Shirts, Schlüsselanhänger und Kaffeebecher. Wohin man auch kommt in dieser Stadt, Tintoretto war schon da.

Anfang des Jahres erst ging eine große Schau zu Ende, die seine Heimatstadt ihm zum 500. Geburtstag ausgerichtet hatte. Mehr als 60 Gemälde und Zeichnungen in den Sälen des Dogenpalastes und der Gallerie dell'Accademia gaben einen lebendigen Eindruck nicht nur von seiner dramatischen Inszenierung christlicher und paganer Legenden, sondern auch von jenen warmen, weichen Farbstimmungen, die der Maler aus der Luft griff. Wenn man durch die Gassen wandert, Plätze überquert und über Brücken schreitet, begegnet man dieser Palette in natura. Und der Dunstschleier über der Lagune schenkt der Stadt eine moderierenden Grundton.

Venezianische Tapas

Trotz frühen Ruhmes und bis ins Alter ungebrochener Schaffenskraft ist Tintoretto niemals ein ikonisches Bild vom Rang der „La tempesta“ seines Vorläufers Giorgione gelungen. Obwohl klein, überstrahlt es in der Accademia Tintorettos Monumentalwerk „Die Befreiung des Sklaven“. Sobald man auf der steinernen Balustrade des Rio di San Trovaso Platz genommen hat und den Blick auf die alte Gondelwerft Al Squero am Ufer gegenüber heftet, fühlt man sich selbst als Teil eines prachtvollen Gemäldes. Auch die Rezepte der wunderbaren Bruschetti, Crostini und Polentaschnitten der „Osteria Al Squero“ scheinen von weither zu kommen.

Keine Touristenfallen. An den Ständen auf dem Mercato di Rialto sollte man unbedingt einkaufen – Fisch zum Beispiel.

© Willem Thomson

Der enge Raum an einer vom Canal Grande abzweigenden Wassergasse gilt als einer der authentischsten „Bacari“. So werden die venezianischen Tapas-Bars genannt. Sie sind über die ganze Stadt verstreut und bieten diverse Röstbrote, Tramezzini und kleine Tellergerichte an, die Cicchetti genannt werden. Mit dem Generationenwechsel, der Venedig von grimmigen Wirten, dreisten Kellnern und gleichgültigen Köchen weitgehend befreit hat, nehmen sie mitunter moderne Züge an, indem sie Algen, Ingwer, Kokos, Koriander, Miso, Wasabi und Zitronengras einbeziehen. Bestes Beispiel hierfür dürfte die vorzügliche „Osteria Enoteca Ai Artisti“ sein, die im Umkreis der Museen von Dorsoduro liegt.

Doch die meisten Bacari bleiben traditionell. Einigen gelingt es, eine Brücke vom Fisch- und Krustentierreichtum der Lagune zum Feldbau und den Gärten des Veneto zu schlagen. Unterdurchschnittliches wird kaum serviert. Dass man einen gewissen Ruf bewahrt, ist nicht nur Indiz für lokalen Stolz, sondern hängt auch damit zusammen, dass für den fest programmierten Tagestourismus eine eigene Beköstigungskultur zuständig ist. Die beschränkt sich auf Pizza, Sandwiches, Donuts und Lockangebote wie Touristenmenüs zu Dumpingpreisen.

Luxus zwischen Klassik und Avantgarde

Wenn das „Al Squero“ die Rolle einer Kantine der Accademia übernimmt, dann kann man das „Ai Gondolieri“ getrost als Restauration der nahen Peggy Guggenheim Collection sowie des Gegenwartsmuseums Punta della Dogana zu Füßen der mächtigen Barockkirche Santa Maria della Salute an der Mündung des Canal Grande bezeichnen. Die traditionelle Küche, der gediegene Schick des Ambientes und nicht zuletzt die weiß behandschuhten Kellner wirken wie aus den dreißiger Jahren.

Die traditionellen „Bacari“ servieren einfache, aber gut gemachte Kleinigkeiten.

© Thomas Platt

Wenige Gehminuten entfernt liegt das Luxushotelrestaurant „Antinoo's Lounge“, das, zwischen Klassik und Avantgarde changierend, an einem Michelin-Stern kratzt. Auf der Terrasse zum Wasser kann man eine extrem verfeinerte Variante des Fischgerichtes Risotto di Gò zu sich nehmen: überragend in Geschmack und Konsistenz, überragend auch im Preis. Wenn man den Werken von Giorgio de Chirico, René Magritte, Jackson Pollock, Martin Kippenberger und LaToya Ruby Frazier den Rücken kehrt und wieder den Spuren Tintorettos folgt und die Schritte in Richtung „Scuola San Rocco“ lenkt, lauert nicht weit hinter der gerade wieder instandgesetzten Ponte dell'Accademia ein besonderer Wegelagerer. Er heißt „Spritz“ und vermag an die Theke zu fesseln. Deshalb sollte man es in der gleichnamigen Bar bei bloß einem sprudelnden Aperitif bewenden lassen. Denn wer, wie die Einheimischen, „con Select“ bestellt, bekommt einen ausgesprochen tüchtigen Schuss venezianischen Likör in die Weinschorle, an den weder Campari noch Apérol herankommen.

Stockfisch und Wein

Beschwingt verlässt man das muntere Kleinlokal und steht alsbald vor den imposanten Tintoretto-Fresken der Scuola. Von diesem Tagungsort einer mildtätigen wie auch geschäftstüchtigen Bruderschaft ist es nur ein Katzensprung zur „Enoteca Vinus Venezia“. Für alles, was mit Baccala, dem in der gesamten Region so geliebten Stockfisch, zu tun hat, besitzen die Köche hier eine sichere Hand. Was die Weinauswahl betrifft, dominiert das „Triveneto“ (Trentino, Friuli und Veneto), darunter gereifte Jahrgänge, jedoch auch Underdogs wie etwa Bressan aus Farra d'Isonzo. Keinesfalls versäumt werden sollte die „Porchetta di Ariccia“: Knoblauch und Grillnoten betonen die animalische Natur dieser hauchdünn aufgeschnittenen Version des Schweinerollbratens.

Seezunge mit Haselnuss-Crumble im "Local Ristorante".

© Thomas Platt

Von den Speisen des intimen Buffetrestaurants „Sepa“ könnte man sagen, es führe traditionelle Kleinspeisen aus der Perspektive der jungen Generation fort. Die neuen Betreiber mildern nicht ab oder vermitteln, sondern suchen den Ursprung der typischen kleinen Häppchen, der „Cicchetti“. Sie nehmen den Gast mit auf einen kulinarischen Streifzug durch das venezianische Reich. Von den in Milch gekochten „Baccalà alla Vicentina“, verschiedenen Gemüse-„Polpette“ und Kürbis- und Kartoffeltorten aus dem Hinterland führt der Trip zu überbackenen Jacobsmuscheln, gerösteten Moschuskraken und Sardinen der oberen Adria. Deren Zubereitung „in saor“, nämlich in süß-sauren Schmorzwiebeln mit Korinthen, Anis und Zimt, verweist auf den Orient, dessen wichtigster Handelsplatz Venedig einst gewesen ist.

Die beste Wegzehrung

Das Gewirr der engen Gassen im Bezirk San Marco gleich bei der Rialtobrücke würde selbst den Orientierungssinn Tintorettos auf die Probe stellen. Belohnt wird der Ausflug ins Labyrinth aber mit einer einzigen charismatischen Speise: dem panierten und in Olivenöl ausgebackenen „Mozzarella in carrozza“ aus der neonüchternen „Rosticceria Gislon“. Vielen genügt diese Sandwich-Bombe als Wegzehr durch die kaum eine Viertelstunde entfernte Biennale di Venezia im Arsenale und den dahinter liegenden Giardini.

Venedig bei Nacht. Auch einsame Spaziergänge sind möglich.

© Willem Thomson

Sollte man am späteren Abend tatsächlich feststellen, der Mensch lebe nicht von der Kunst allein, dann findet man im schlicht „Local“ genannten Ristorante einen legeren Ort, um bei einem Menü das Gesehene Revue passieren zu lassen. Chefkoch Matteo Tagliapietra verkörpert geradezu die kulinarische Moderne der Stadt. Restaurants wie das Londoner „Locanda Locatelli“ und „Nobu“ sowie das „Noma“ in Kopenhagen haben ihn genauso geprägt wie die Familienküche seiner Heimat, der Laguneninsel Burano, und der Einfluss seiner japanischen Frau. Tagliapietra erkundet die Beziehungslogik der Zutaten, als handele es sich auf dem Porzellan nicht bloß um Gerichte, sondern um abstrakte Kunst.

Fröhliches Treiben im koscheren Restaurant

Zu den noch wenig behelligten Bereichen der von Großstädtern und ihren Gästen bevölkerten Provinzstadt Venedig zählt Ghetto, die Insel im Sestiere Cannaregio. Im koscheren Restaurant Ghimel Garden inmitten der historischen Gebäude herrscht fröhliches Treiben, auf der Karte spiegelt sich die jüdische Tradition, aber auch die internationale Erfahrung eines Meisters, der mit koscheren Zutaten quasi quer durch den Garten kocht. In diesem scheinbaren Drauflos bekommen altehrwürdige Gerichte wie die in herbem Olivenöl gebackenen Artischocken, „Carciofo alla Giudea“, die Kartoffelgnocchi mit „Guazetto“, der lokalen Bouillabaisse, sowie die orientalisch gewürzten Mezze einen ganz speziellen Dreh, den man weder als echt jüdisch noch als echt venezianisch bezeichnen kann. Diese individuelle Note wird durch das Interieur noch ein Stück ins Kuriose verschoben, teils erinnert es an eine Kneipe, an ein Café der sechziger Jahre oder auch den Speisesaal eines Landhotels. Aber sitzt man erst draußen, im geräumigen Garten unter Granatapfelbäumen, vergisst man all das - womöglich sogar ganz Venedig.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Empfehlenswerte Adressen

Al Squero, Dorsoduro 943/944, Fondamenta Zattere al Ponte Longo, osteriaalsquero.wordpress.com

Antinoo's Lounge & Restaurant, Hotel Sina Centurion Palace, Dorsoduro 173, sinahotels.com

Bar Spritz, San Marco 3538, Calle dei Frati/Campiello Santo Stefano

Enoteca Vinus Venezia, Dorsoduro 3961, Calle S. Rocco, vinusvenezia.it

Ghimel Garden, Cannaregio 2873, Campo Del Ghetto Novo, ghimelgarden.com

Local Ristorante, Castello 3303, Salizzada dei Greci, ristorantelocal.com

Osteria Enoteca ai Artisti, Dorsoduro 1169/A , Fondamenta della Toletta, enotecaartisti.com

Rosticceria Gislon, San Marco 5424a, Calle de la Bissa

Sepa Presidio del Gusto, San Marco 5482, Calle del la Bissa

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