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Faldela Tolker (rechts) auf ihrer „Stoep“ im Bo-Kaap.

© mauritius images / United Archiv

Umbruch im Bo-Kaap: Kapstadts schärfstes Viertel

Curry und Samoosas, Chili Bites und Koeksisters. Von Faldela Tolker lernen Touristen, wie man kapmalayisch kocht. Im Bo-Kaap sagen sie: Lekker man!

Und wie hoch ist dein Preis? Das ist der gar nicht so lustige Running Gag unter Hausbesitzern im Bo-Kaap. Bei welcher Summe wird einer schwach und verkauft das Heim in einer der besten Lagen Kapstadts an einen Investor?

„Ich? Niemals!“, behauptet Faldela Tolker. Ihr freundliches Gesicht wird für einen Moment hart, als sie von dem Italiener berichtet, der angeblich ohne Anmeldung in ihre Wohnung trat und 550 000 US-Dollar bot, umgerechnet 498 000 Euro. „Ich habe ihn rausgeworfen.“

Kaum ein alteingesessener Bewohner des bunten Viertels kann es sich leisten, so standhaft zu bleiben: Die Grundsteuer steigt abhängig vom Wert der Immobilie.

Das ist für die meisten hier zu teuer, sie verkaufen und machen Platz für Guesthouses, Designerläden, Cafés. Immer häufiger steht Wohnraum leer, weil die neuen Eigentümer aus Europa nur ihre Ferien im Bo-Kaap verbringen.

Faldela hat sich vor einigen Jahren dazu entschlossen, das Beste aus der Lage zu machen. Touristen kämen meist ins Bo-Kaap, wenn sie Tafelberg, Strände und Pinguine abgegrast hätten, erzählt sie.

Die Mutter von vier großen Kindern veranstaltet Kochklassen für Besucher und bringt jedem, der dafür zahlt, die Kunst der kapmalayischen Küche näher. Nach dem Fajr-Gebet um 4.38 Uhr ist sie gleich wach geblieben, um Zwiebeln und Knoblauch zu hacken und so ihren Gästen den langweiligen Teil des Kochens zu ersparen.

Im Bo-Kaap zwischen Signal Hill und Innenstadt wollen Investoren Häuser kaufen.
Im Bo-Kaap zwischen Signal Hill und Innenstadt wollen Investoren Häuser kaufen.

© mauritius images

Doch vor dem Frittieren kommt das Spazieren. An diesem Vormittag Mitte Januar bringt das Licht die bunt gestrichenen Häuser zum Leuchten: mint, pink, lila, orange, grasgrün. Faldela führt die Besucher durch Wale Street, Pentz Road und Dorp Street.

Sie kennt die Geschichte jedes einzelnen Blocks, weiß, wo Fagmie Solomons, eine der Bo-Kaap-Legenden, wohnt. „Fluffy“ spielte als Nicht-Weißer Ende der 80er-Jahre Rugby – und wurde berühmt, als seine Auswahl 1987 ein entscheidendes Spiel gegen Namibia mit 72:3 gewann.

Mit einer Sondergenehmigung sollte er noch zu Zeiten der Apartheid der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaft beitreten, wies die Springboks jedoch zurück: „No normal sport in an abnormal society.“

Faldela geht weiter bergab, grüßt mal hier, mal dort, klatscht einen Autofahrer ab, ermahnt den Halter eines knurrenden Hundes und führt ihre Gäste in die Auwal-Moschee, das religiöse Zentrum des muslimischen Viertels. Nachdem die Holländer 1652 am Kap gelandet waren, brauchten sie dringend Handwerker und siedelten ihre Zwangsarbeiter aus den südostasiatischen Kolonien hierher um.

Mit der Zeit kamen mehr und mehr Holzarbeiter, Schneider, Schmiede. Ihre Kenntnisse waren so wichtig, dass sie zum Teil Lohn für ihre Arbeit verlangen und eigene Häuser errichten konnten.

Das Bo-Kaap war später, anders als der District Six, vom sogenannten „Group Areas Act“ des Apartheid-Regimes nicht betroffen. Das Gesetz bestimmte, dass alle Nicht-Weißen den innerstädtischen Raum verlassen und je nach Ethnie in einem Township leben mussten – fast immer in prekären Verhältnissen.

Die Apartheid endete formal mit der Befreiung Nelson Mandelas, die sich am 11. Februar zum 30. Mal jährt. Die Townships sind bis heute geblieben.

1694 kamen der gebildete Scheich Yussuf von Makassar und seine Anhänger aus dem heutigen Sulawesi ans Bo-Kaap und gründeten die Auwal-Moschee, deren grau-grüne Fassade seinen Landsleuten spirituellen Halt geben sollte.

Die Nummer des Imam hat Faldela im Handy, der schließt auf. Im Gebetsraum ist ein besonderes Ausstellungsstück zu sehen, der handgeschriebene Koran von Imam Abdullah Kadi Abdus Salaam. Er wurde auf der Gefängnisinsel Robben Island eingesperrt und schrieb alle Suren aus dem Gedächtnis nieder.

Draußen fasst sich Faldela an den Kopf: „Habe ich den Herd ausgeschaltet?“ Einen Anruf später rast eine Freundin in ihr Haus, um für sie nachzusehen, damit sie die Besucher vor der Kochklasse weiter rumführen kann.

Da gibt es ein kahles Architekturbüro, das sich ebenso gut in Berlin-Mitte befinden könnte, und ein winziges, leeres Ladenlokal mit Schild im Schaufenster: Miete 35 000 Rand / Monat, das sind gut 2160 Euro. Faldela: „Das wird mal mein Coffeeshop!“ Ein Scherz, natürlich.

Wie teuer müsste der Kaffee in so einem Laden sein, und wer würde ihn im wirtschaftlich stark gebeutelten Südafrika kaufen, einem Land, in dem der staatliche Energielieferant Eskom so handlungsunfähig ist, dass er nach Stundenplan den Strom abstellen muss, und dessen staatliche Fluggesellschaft SAA sich aktuell in einem Insolvenzverfahren befindet.

Das Bo-Kaap soll Faldelas Heimat und die ihrer Kinder bleiben. Eine Frage der Identität, findet sie, wie so vieles am Kap.

Deshalb hat sie auch im Herbst 2019 mitprotestiert, als wieder mal gebaut werden sollte. Unter #bokaapmatters organisieren sich die Freunde des Viertels. Auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco stehen zehn südafrikanische Phänomene, weitere fünf sind auf der Nominierungsliste, darunter spezielle Sukkulenten in der Halbwüste Karoo und die ersten Weinfarmen der Buren.

Das Bo-Kaap steht noch nicht unter dem Schutz der Vereinten Nationen, und die Stadt schlägt eher Kapital aus den bunten Straßenzügen, als sie zu schützen.

Scharf, schärfer, Kapstadt. Beim Essen kennen die Köche keine Gnade.
Scharf, schärfer, Kapstadt. Beim Würzen kennen die Köche keine Gnade.

© SA Tourism

Fast ständig finden hier Fotoshootings für Modemagazine statt. Und Jeffery Deaver lässt in seinem James-Bond-Roman „Carte Blanche“ eine Protagonistin im Bo-Kaap bei ihrer Großmutter Bobotie essen, einen schweren, mit Eimasse überbackenen Fleischauflauf, den man hier mit scharf-süßem Aprikosenchutney und Rosinen isst.

Vor einem Gewürzladen stoppt Faldela. Bei „Atlas Spices“ gibt’s alles, was sie für ihre Currys und Samoosas braucht: Chili, Kurkuma, Fenchel, Kardamom, Pfeffer und Mischungen wie „Die Rache der Schwiegermutter“.

So scharf ist die Luft im Laden, dass einem sofort die Augen tränen und ein kratziges Gefühl im Rachen entsteht. Schräg gegenüber vom „Atlas“ steht Faldelas lila Haus – zum Glück gab es in der Zwischenzeit keinen Feuerwehreinsatz. Die Freundin konnte den Gasherd rechtzeitig ausstellen. Nur der Topf ist komplett schwarz, das war knapp.

Faldela zischt einige nicht jugendfreie Worte auf Afrikaans, ihrer Muttersprache. Allerdings klingt auf Afrikaans dank der vielen Zischlaute, des harten „k“ und des stark gerollten „r“ auch eine Liebeserklärung wie ein Fluch.

Mit Schwung öffnet sie ihren Kühlschrank, und die Kochgruppe legt los: Teig machen für die Roti, in der Pfanne gebackene Fladen, mit denen später das Hühnchencurry eingerollt wird. „Rrrrroll it, punch it, rrrrroll again“, befiehlt Faldela, und jetzt gibt es keine Kochschülerin, die im 30 Grad warmen Haus nicht schmort.

Dann folgen die Samoosas. Gar nicht so leicht, die kleinen Dreiecke aus dem Teig so zu formen, dass sie eine Tasche bilden, die mit einer Fleischmasse zu befüllen eine feinmotorische Herausforderung ist.

Faldela führt vor, wie man die Enden mit ihrem „Superglue“ aus Wasser und Mehl verklebt, dann kommen sie ins heiße Sonnenblumenöl, bis sie beige und knusprig sind.

Das Kochen dauert, erst gegen Mittag, kurz nachdem die Noon-Gun-Kanone auf dem Signal Hill abgefeuert wird, steht Faldelas Küchentisch voller Köstlichkeiten: Chili Bites, klebrig-süße Koeksisters …

Trotz der Hitze stürzen sich alle drauf. Das übrige Curry bekommt später Faldelas Mann – doch da muss sie erst kräftig nachwürzen, sagt sie. Mit zwei gehäuften Teelöffeln Chilipulver.

Die Samoosas aus dem Kochkurs schmecken trotz Gluthitze.
Die Samoosas aus dem Kochkurs schmecken trotz Gluthitze.

© Esther Kogelboom

HINKOMMEN

South African Airways fliegt von Frankfurt und München nonstop für etwa 600 Euro über Nacht nach Johannesburg und zu vielen Zielen im südlichen Afrika, flysaa.com.

Der deutsche Anbieter Gebeco veranstaltet Rundreisen durch die Region, zum Beispiel „Südafrika Classics zum Kennenlernen“, neun Tage für 1995 Euro, gebeco.de.

Allgemeine Informationen über das Land: southafrica.net.

RUMKOMMEN
Faldela Tolkers Kochkurs ist unter cookingwithlove.co.za buchbar. 4 Stunden kosten umgerechnet 55 Euro pro Person.

Weitere interessante und sozial verträgliche Touren rund um Kapstadt gibt’s bei coffeebeansroutes.com. Empfehlenswert zum Beispiel die geführte nächtliche „Choral Music Tour“, bei der man Musiker für 135 Euro zu Privatkonzerten in den Townships zu Hause besucht.

UNTERKOMMEN 
Hier gibt es einen Garten mit blitzschnellen Riesenschildkröten, Pool, Spa und Zimmer, die zu keiner Kette gehören: Das „Vineyard“ liegt zwar außerhalb in Claremont, dafür günstig zwischen Weinregion und Stränden, vineyard.co.za. Mit Frühstück ab 200 Euro in der Hauptsaison, ab 140 Euro im Winter (Juni, Juli, August). Die Reise wurde unterstützt von South African Tourism und Gebeco.

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