zum Hauptinhalt
Verdi

© Imago Images; Bearbeitung: Tagesspiegel / Imago Images

Tarifstreit im Öffentlichen Dienst: 10,5 Prozent mehr – muss Deutschland sich das leisten?

Verdi fordert mehr Lohn für die Beschäftigten wegen der Inflation. Und glaubt, bei den Kommunen ist noch was zu holen. Stimmt das? Drei Experteneinschätzungen.

Eines steht schon fest, es wird ein zähes Ringen. Verdi-Chef Frank Werneke hat im Tarifstreit im Öffentlichen Dienst schon mit Warnstreiks in allen Bereichen gedroht. 10,5 Prozent mehr Lohn will die Gewerkschaft für die Beschäftigten erreichen.

Das beträfe 2,4 Millionen Angestellte der Kommunen und 160.000 des Bundes – sowie 360.000 Bundesbeamte und 180.000 Versorgungsempfänger. Kann Deutschland sich das leisten? Muss es sogar?

Drei Experten gehen in unserem Format „3 auf 1“ dieser Frage nach. (Alle Folgen von „3 auf 1“ können Sie hier nachlesen)


Der Staat sollte nennenswerten Lohnsteigerungen zustimmen!

Der Staat ist einer der größten Gewinner der Inflation, da ihm die aktuelle Teuerung deutlich höhere Steuereinnahmen beschert. Daher kann und sollte er nennenswerten Lohnsteigerungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zustimmen.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Forderungen von Verdi in Höhe von 10,5 Prozent mehr Gehalt so umgesetzt werden. Die Erfahrungen vergangener Tarifstreitigkeiten zeigen, dass in der Regel ein Abschluss bei rund 60 Prozent der ursprünglichen Forderung erreicht wird.

Lohnsteigerungen von sechs bis sieben Prozent würden zwar noch nicht einmal den Kaufkraftverlust durch die höhere Inflation ausgleichen, könnten aber zumindest den Rückgang des privaten Konsums etwas abfedern. Hinzu kommt, dass Löhne im öffentlichen Sektor eine wichtige Signalwirkung für die Lohnverhandlungen im Privatsektor haben.

Indirekt würden also auch viele Beschäftigte mit einkommensschwächeren Jobs in privaten Unternehmen von einem ordentlichen Abschluss im öffentlichen Dienst profitieren.

Gute Kräfte findet man nur mit guten Löhnen!

10,5 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – eine ähnliche Tarifforderung gab es zuletzt 1974, als die Ölkrise die Inflationsrate abheben ließ. Die aktuelle Forderung erklärt Verdi auch mit den Energiepreisen, obgleich die Regierung mit dem Geld der Steuerzahler die Preise vorerst deckelt.

Langfristig wichtiger als ein Inflationsausgleich ist für die Leistung des öffentlichen Dienstes die Aufwertung der Arbeit. Die Einkommensentwicklung der Staatsbeschäftigten blieb in den vergangenen 20 Jahren um rund zehn Prozent hinter der Industrie zurück. Inzwischen wird die staatliche Daseinsvorsorge mehr wertgeschätzt.

Trotzdem: Eine halbe Million Stellen sind nicht besetzt, vor allem in Kitas und Krankenhäusern fehlt Personal. Das ändert sich nur mit gut bezahlten Arbeitsplätzen. Die Finanzierung ist eine Frage der Prioritäten. Corona und Zeitenwende haben die Möglichkeiten des Staates gezeigt.


Eine Lohn-Preis-Spirale droht!

Verdi und Co. ignorieren, dass der vor allem durch höhere Energiepreise verursachte Wohlstandsverlust von allen gesellschaftlichen Gruppen zu tragen ist. Deutschland zahlte 2022 schätzungsweise 123 Milliarden Euro mehr für seine Energieimporte, 2023 dürften es 136 Milliarden sein.

Diese Summen stehen weder Unternehmen für Investitionen noch Arbeitnehmern für den Konsum zur Verfügung. Offenbar glauben die Gewerkschaften, dass das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, im Öffentlichen Dienst überschaubar ist.

Was sie dabei ausblenden: Die dadurch steigenden Schulden schränken künftige Lohnverhandlungsspielräume der Kommunen ebenso ein wie künftige Einstellungspotenziale. Natürlich sollten Reallohnverluste zumindest teilweise durch Tariflohnsteigerungen ausgeglichen werden.

Mit ihren Lohnforderungen schießen Verdi und Co. aber deutlich über das Ziel hinaus. Sie erhöhen damit die Gefahr, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt, an deren Ende nur Verlierer stehen.

Das lässt sich verhindern, wenn – wie in anderen Branchen auch – die größten finanziellen Härten der Arbeitnehmer durch steuerfreie Einmalzahlungen aufgefangen werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false