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Ryan Gosling trifft in „Drive“ im Big-6-Markt auf Carey Mulligan und es knistern nicht nur Cornflakestüten. (Universum)

© imago/Prod.DB

Supermarktszenen im Kino: Action zwischen Kühlregal und Frischetheke

Bricht das Böse in den Alltag ein, dann oft zwischen Obsttheke und Kühlregal. Regisseure lieben die gut sortierte Ordnung als Kontrast zu Mördern und Zombies.

Bohnen, immer wieder Bohnen. Dazu „Spinat, beste Qualität … kalifornische Pflaumen … Rindfleisch … edler Pfeifentabak … kondensierte Milch … Tomatenmark … rote Rüben“. Es ist doch beruhigend, dass sich bestimmte Dinge trotz aller gesellschaftlichen Umwälzungen nicht wesentlich ändern. Dass etwa das Basisangebot eines Supermarkts unserer Zeit noch das gleiche ist wie das eines Einkaufsparadieses im Wilden Westen, im vorliegenden Fall der Welt von Sam Peckinpahs „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ (1973). Nun ist die Spelunke mit angeschlossenem Krämerladen, in dem Bob Dylan als Nachwuchsbandit Alias die Etiketten der Konservendosen vorlesen muss, kein Discounter im modernen Sinne, aber doch seine Frühform, gefüllt mit einem industriell gefertigten Warensortiment. Und die durch das Herunterleiern der Produkte komische Szene ist zudem typisch für viele Supermarktszenen im Kino, endet sie doch nicht friedlich, sondern blutig: Einer der drei Spießgesellen Billys, die sich nur mal einen genehmigen wollten und sich unversehens ihrem Häscher Pat Garrett (James Coburn) gegenübersehen, wird danach nie wieder einen heben.

Der Supermarkt als Ort der Gewalt – auf der Leinwand eine unendliche Geschichte. Erstaunlich, dass sich seine realen, auch durch langen Filmgenuss sozialisierten Kunden überhaupt noch ohne Herzklopfen hineintrauen. Da arbeitet man bei Bolle gemächlich den Einkaufszettel ab und plötzlich stürmt ein schlecht rasierter Kerl mit gezückter Pistole rein wie Moritz Bleibtreu in Tom Tykwers „Lola rennt“ (1998), was die Fortsetzung der Besorgungen schon mal unmöglich macht, und wird von ihm – „Legt euch jetzt alle auf den Boden!“ – auch noch frech geduzt. Wie gut, freilich nicht für den Räuber, wenn dann auch ein anderer Kunde bewaffnet ist, wie Robert De Niro in Martin Scorseses „Taxi Driver“ (1976) oder gar eine taffe New Yorker Polizistin herbeieilt wie Jamie Lee Curtis in Kathryn Bigelows „Blue Steel“ (1990).

In „Zombieland“ plagt sich Woody Harrelson zwischen Kühlregalen mit Untoten rum. (Sony)
In „Zombieland“ plagt sich Woody Harrelson zwischen Kühlregalen mit Untoten rum. (Sony)

© imago/Zuma Press

Der Supermarkt ist Angstraum und Zuflucht

Glaubt man der Hollywood-Welt, ist man als Kunde zwischen Kühlregal und Frischetheke eigentlich vor nichts sicher. Nicht vor lebenden Leichen wie in Ruben Fleischers „Zombieland“ (2009), in dem Woody Harrelson ein besonders ekliges, unvermittelt in den Gängen auftauchendes Exemplar mit dem Baseballschläger erledigt. Ja nicht mal vor zähnefletschenden Monstern des Meeres, wenn etwa in Kimble Rendalls „Bait 3D – Haie im Supermarkt“ ein Tsunami einen australischen Küstenort unter Wasser gesetzt hat und sich die Überlebenden nur mit Not auf die gerade noch aus dem Wasser ragenden Regale retten können. Der Supermarkt ist hier zugleich Angstraum und Zuflucht, ähnlich wie in Frank Darabonts Horrorthriller „Der Nebel“ (2007), in dem das Geschäft zur Bastion gegen das Grauen mutiert. Warum sich die mordlustigen Spukgestalten aus dem weißwallenden Nichts allerdings schon durch simple Glastüren stoppen lassen, bleibt ihr Geheimnis.

In „Taxi Driver“ raubt Nat Grant (in der Mitte) einen Minimarkt aus und bekommt es mit Robert de Niro zu tun. (Sony)
In „Taxi Driver“ raubt Nat Grant (in der Mitte) einen Minimarkt aus und bekommt es mit Robert de Niro zu tun. (Sony)

© imago/Cinema Publishers Collection

Auf der einen Seite der Supermarkt, ein Schauplatz der vertrauten Umgebung, der sortierten Ordnung einer schier grenzenlosen Warenwelt, ja, auch der Langeweile, des Überdrusses – auf der anderen die sich heimlich einschleichende oder gewaltsam eindringende Angst, das Grauen, das Meucheln, das unerklärlich Böse: Das ist wohl der größte Kontrast, der im Kino möglich ist. Aus Gegensätzen entsteht Spannung, in mal höherer, mal niedrigerer Dosis, die sich beim Zuschauer, bequem in seinen Sitz gelümmelt, umsetzt in Aufmerksamkeit, Herzklopfen, Zähneklappern oder Vergnügen. Und das ist nun mal das Anliegen jedes Regisseurs, der Billy Wilders oberstes Gebot erfüllen will. Es lautet: „Du sollst nicht langweilen!“

Tragische und komische Figuren

Jim Carrey in „Dumm und Dümmer“ auf Chaostour im Einkaufswagen. (Warner)
Jim Carrey in „Dumm und Dümmer“ auf Chaostour im Einkaufswagen. (Warner)

© picture-alliance / dpa

Nun muss der Gegensatz zum Alltag nicht notwendig etwas Negatives, Bedrohliches sein. Mit Schönem lassen sich Billy Wilders Vorgaben ebenso umsetzen, zum Beispiel mit der Liebe. Ja, man kann ohne weiteres behaupten, der Supermarkt im Film, dieser merkantile Mikrokosmos, in dem sich der soziale Makrokosmos der ganzen Gesellschaft spiegelt, ist nicht bloß ein Ort des Leids, sondern ebenso oft der seines Gegenparts, der Freude. Selbst in einem Thriller wie Nicolas Winding Refns „Drive“ (2011) bahnen sich zarte Bande zwischen dem von Ryan Gosling gespielten Fluchtwagenfahrer und seiner Nachbarin Irene (Carey Mulligan) auf dem Parkplatz eines Supermarkts an, als ihr Wagen im richtigen Augenblick einen Motorschaden erleidet und er als Kfz-Kundiger zu Hilfe eilen kann. Anne Parillaud, staatlich geprüfte Auftragsmörderin in Luc Bessons „Nikita“ (1990), ist etwas forscher und fragt den von ihr angehimmelten Kassierer Marco (Jean-Hugues Anglade) kurzerhand, wann er denn Feierabend habe. Sogar geradezu märchenhafte Aschenputtel-Geschichten werden möglich, etwa in der Komödie „The Secret Life of Kathy McCormick“ (1988), in der die von Barbara Eden gespielte Titelfigur, eine einfache Angestellte, durch allerlei Missverständnisse Aufnahme in die lokale High Society findet. Niemand ahnt, dass sie, als sie von The Market als ihrem Arbeitsplatz erzählt, nicht den Stock Market meint.

In „The Secret Life of Kathy McCormick“ findet eine einfache Supermarkt-Kassiererin Aufnahme in die lokale High Society.
In „The Secret Life of Kathy McCormick“ findet eine einfache Supermarkt-Kassiererin Aufnahme in die lokale High Society.

© imago/United Archives

Wie man an ihrem Beispiel auch sieht: Prominenz im wahren Leben bewahrt Schauspieler keineswegs davor, vor der Kamera Jobs anzunehmen, die so gar nicht glamourös wirken – auch dies ein Kontrast, der dem Unterhaltungswert eines Films nur zuträglich sein kann. Gérard Depardieu, wie er in „Mammuth“ (2010) als vorzeitig in Rente geschickter Schlachthausarbeiter mit verkeilten Einkaufswagen kämpft. Mickey Rourke, in Darren Aronofskys „The Wrestler“ (2008) vom umjubelten Star der Kampfarenen zum frustrierten, Haarnetz tragenden Fleischer gesunken. Nicolas Cage, der in „Leaving Las Vegas“ (1995) seinen Warenkorb mit Schnapsflaschen füllt. Das sind bedauernswerte, tragische Figuren. Allenfalls noch komische wie Jean-Paul Belmondo, der als Stuntman in „Ein irrer Typ“ von Claude Zidi (1977) einen Promotionjob versiebt und, verkleidet durch den Supermarkt, als schwingender Gorilla, krachend in einem Warenstand landet.

Rätsel aus dem Supermarkt

Zwischen den Regalen ist eben auch jede Menge Platz für Humor und Schabernack, den die Minions in dem Animationsfilm „Ich – Einfach unverbesserlich“ (2010) treiben, mit Sprudelflaschen herumspritzen und so. Unvergessen auch „Hatari!“ von Howard Hawks (1962), als ein kleiner verwaister Elefant auf der Suche nach seiner menschlichen Pflegemutter einen afrikanischen Lebensmittelladen durchstürmt und – klassischer Supermarkt-Gag – diverse Pyramiden von Konservendosen umreißt. John Wayne als Großwildjäger Sean Mercer kann da nur hilflos danebenstehen und staunen. Und erst die Ungeschicklichkeit der Rentner-Gang in „Abgang mit Stil“ (2017), als Michael Caine und Morgan Freeman, beim Testlauf für einen Banküberfall, Lebensmittel zu klauen versuchen und dabei geschnappt werden.

Dann schon lieber einen spanischen Goldschatz suchen, auch wenn der ausgerechnet da verborgen sein soll, wo jetzt ein Supermarkt steht. Michael Douglas als heruntergekommener ehemaliger Psychiatriepatient Charlie und Evan Rachel Wood in der Rolle seiner Filmtochter Miranda stehen in Mike Cahills „King of California“ (2007) vor genau diesem Problem, aber einem wie Charlie erscheint es nicht unlösbar. Und so nimmt Miranda einen Job bei „Costco Wholesale“ an, hat so Zugang zum Generalschlüssel, hilft des Nachts beim Aufstemmen des Bodens in der Filiale, unter dem sich leider ein verdammt schwefliger Fluss auftut. Aber sind wirklich die begehrten Golddublonen in der Kiste, die Charlie mit Mühe bergen kann? Wohin ist er nach dem erneuten Abtauchen verschwunden? Und was genau steckt in dem speziellen Geschirrspüler, den Miranda, seiner letzten Anweisung folgend, gekauft hat? Sie lächelt, strahlt, der Zuschauer kann also beruhigt sein. Und dennoch: Das Rätsel aus dem Supermarkt bleibt ungelöst.

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