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Tabakverdampfersticks – wenn man dieses Wort erst mal ausschreibt, erinnert es an die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft.

© imago images/Panthermedia

Lockdown für die Lunge: Spätis zu – und ich werde zum Nichtraucher

In Coronazeiten fehlen sie so sehr wie nie. Wie Sonntagsschließzeiten die Berliner vor Lungenkrankheiten bewahren.

Ich habe ein Problem: Ich rauche. Also nicht mehr so richtige Filterzigaretten, aber etwas Vergleichbares: Ich besitze einen Tabakverdampfer. Da wird nicht mehr gequalmt, sondern nur noch verdampft. Es ist eine Mischung aus normaler und elektronischer Zigarette.

Nun habe ich aber ein zweites Problem, das sich aus dem ersten ergibt: Um mit meinem modernen Tabakverdampfer Tabak zu verdampfen, benötige ich leider spezielle Tabakverdampfersticks. Diese Tabakverdampfersticks, die, wenn man dieses Wort erst mal ausschreibt, stark an die berühmte Donaudampfschifffahrtsgesellschaft erinnern, sind natürlich nicht überall erhältlich. So gibt gibt es beispielsweise nahezu keine Tabakverdampferstickautomaten.

„Bild der Frau“ trifft Frau kauft „Bild“

Aus diesem zweiten Problem ergibt sich nun das dritte Problem: Ich bin zum Erwerb der Tabakverdampfersticks mangels Tabakverdampferstickautomaten auf den guten, alten Berliner Späti angewiesen. Der Ort, der das Berliner Nachtleben anfeuert. Der Ort, an dem „Bild der Frau“ auf Frau kauft „Bild“ trifft. Der Ort, der immer ein Sterni, eine Bifi, einen kleinen Plausch, eine Packung Kippen und zumeist eben auch Tabakverdampfersticks für dich bereit hält.

Aus diesem dritten Problem ergibt sich nun leider das vierte Problem, um das es hier gehen soll: Viele Spätis, unsere besten Freunde und Retter in der Not, dürfen seit geraumer Zeit sonntags nicht mehr öffnen.

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In der Coronazeit gab es zwar diesbezüglich eine kleine Ausnahme, aber diese ist schon wieder vorüber. Wenn sich also auch nur der kleinsten Fehler in meine Tabakverdampferstickbevorratungspläne einschleicht, stehe ich sonntags mit leeren Händen und vor allem leerem Mund da. Keine Spätis, keine Sticks.

Letzten Sonntag war es wieder soweit. Die Sticks neigten sich dem Ende entgegen und ich stand vor der Wahl: spontan Rauchen aufhören oder irgendwie am Sonntag einen Späti auftreiben. Ich zog also sofort los durch das eingeschneite Berlin.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Späti eins: zu. Späti zwei: geschlossen. Aber Späti drei, das wusste ich, nimmt es nicht so genau mit dem Gesetz. Ich machte mich also wie Leo DiCaprio als „Revenant“ auf den Weg dort hin – quer durch das sibirische Berlin. Nur weit und breit kein verendetes Pferd, in dem mich hätte aufwärmen können. Als ich endlich kraftlos Späti drei erreichte, schlossen sich vor meinen Augen die elektrischen Rollläden.

Zwei Minuten später – die Rollläden schnellten hoch

Ich wunderte mich: Hatte man spontan beschlossen, dass man ab genau JETZT gesetzestreu sein möchte? Doch einen kurzen Moment später erkannte ich den Grund für die plötzliche Spätischnellschließung: Ein kleiner Polizeibus fuhr auffällig langsam, beinahe beobachtend durch die Straße.

Zwei Minuten später, der Wagen war abgebogen, schnellten die Rollläden auf magische Weise wieder nach oben.

Ich betrat konspirativ den Laden und erwarb zwei Bier und natürlich die Tabakverdampfersticks. Außerdem verriet mir der Verkäufer, wie sie so schnell auf die staatliche Gefahr regieren konnten. Doch dieses Geheimnis bleibt unter uns Neuköllner Gangstern.

Für die Tankstelle wird ja auch eine Ausnahme gemacht

Es ist schon erstaunlich: Amazon ist kurz davor, die Weltherrschaft zu übernehmen, und in Berlin darf ein kleiner Spätiverkäufer sonntags keine Apfelschorle verkaufen. An einem der eigentlich umsatzstärksten Tage der Woche. Ein bisschen so, als würde man man den Kinos verbieten, Freitag- und Samstagabend Filme zu zeigen.

Dabei sind es doch hier in Berlin, dass weiß jeder, der schon mehr als einmal in einem Späti war, sehr häufig Bürger oder zum Teil ganze Familien mit migrantischem Hintergrund, die einen Späti betreiben. Zum Teil auch, weil ihnen andere Optionen auf dem Arbeitsmarkt verwehrt bleiben.

Berliner Spätis – beste Freunde und Retter in der Not.

© imago/Hans Scherhaufer

Ich weiß ja, das Sonntagsverkaufsverbot ist rechtlich eine harte Nuss. Aber bei der Tankstelle wird ja auch eine Ausnahme gemacht. Ich finde, Fußgänger sollten sonntags ebenso selbstverständlich ein Radler kaufen dürfen, wie Autofahrer ihr Benzin

Außerdem: In den letzten neun Monaten ist es quasi gesetzlich verboten worden, einen Kindergeburtstag zu feiern, mehr als immer die gleichen Leute zu treffen oder ohne eine ganz spezielle Maske einen Supermarkt zu betreten. Zu Recht. Aber da muss es doch irgendwie möglich sein, Spätis am Sonntag öffnen zu lassen.

Ansonsten bleibt mir nur noch übrig, aus Protest das Rauchen aufzuhören!

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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