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Mode: Fashion Week Berlin: Skinny Jeans - Die toten Hosen

Dicke Mädchen und dünne Models: Alle lieben die Skinny Jeans. Noch immer. Auch wenn das der Mode gar nicht passt. Die Konferenz „Inventur“ erklärt am Dienstag in Berlin, warum das so ist.

Endzeitstimmung auf dem Gebiet der hautengen Beinkleider: Den „Abschied von der Röhrenjeans“ titelt jüngst die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Muss ich meine Röhrenjeans jetzt in den Altkleidersack stecken?“, fragt sich die Mittelbayerische und das österreichische Lifestyle-Magazin „Woman“ will sogar wissen, „Wie Skinny Jeans deine Gesundheit gefährden können“.

„Ich glaube, das ist alles nur konstruiert“, sagt Diana Weis. Die Modetheoretikerin lehrt Modesoziologie und Ästhetik in Berlin und Hamburg, hat ein Buch über Jugendkulturen geschrieben. Zusammen mit Christiane Frohmann gründete sie die neue Modekonferenz „Inventur“. Unter dem Titel „Die dünne Dekade: Nachruf auf die Skinny Jeans“ widmet sich die erste Ausgabe dem vermeintlichen Ende eines jungen Modeklassikers. Mit seinem modeökonomisch deklarierten Exitus sind Weis und Frohmann nicht einverstanden: „Das Ableben der Skinny Jeans lässt sich doch nur an der Häufung entsprechender Artikel festmachen“, sagt Weis, die Skinny Jeans sei auf der Straße noch immer so präsent, wie kaum ein anderes Modeprodukt. „Das zeigt, wie weit die Position der Mode selbst und die modische Realität auseinander klaffen.“

Die Praxis sieht anders aus: Bequem und leicht zu kombinieren bleibt das Stück hartnäckig, wird nach wie gekauft und getragen. Grund genug, Charakter und Koketterie der Röhre genauer zu betrachten: Beginnend mit der Popkultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts, hat sich die Skinny Jeans zu einem Klassiker entwickelt, der heute ganz trendunabhängig funktioniert. „Sie steht für Progressivität, Modernität und Androgynität in den Jugendkulturen“, sagt Diana Weis, „gerade den rockigen Look der letzten zehn Jahre hat sie relativ alternativlos geprägt: Skinny Jeans, Ankle Boots, T-Shirt, Blazer, fertig.“ Was hinter dem modischen Konsens seit 2005 steckt, verdeutlichen die sieben Vorträge im Roten Salon der Volksbühne.

Kate Moss steht ikonisch Pate für die Anfangszeiten der Röhrenjeans, die dralle Kim Kardashian symbolisiert ihr eventuelles Ende

Von „dünnen Beinen als Un-Lifestyle“ zum Beispiel, wird Christiane Frohmann sprechen: „Christiane F. über Christiane F.“. „Es geht um das inszenierte Image von Christiane F. im Film von 1981“, erklärt Diana Weis, „Von Zeitzeugen wissen wir, dass sie überhaupt nicht so ausgesehen hat.“ Der ikonische Look – die rot gefärbten Haare, die lässige Jeansjacke, die ultraenge Hose – müsse man als Glanzleistung des Kostümbildes betrachten. Tatsächlich beeinflusst „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ die Mode noch heute: Die in Berlin fotografierte Werbekampagne von Gucci für diesen Sommer erinnert szenografisch stark an den Drogenfilm. „Das ist einfach ein sehr gut konsumierbares Image, das sich über die Jahre gehalten hat“, sagt Diana Weis. So gut, dass der abgehalfterte Lebensstil samt Skinny Jeans selbst in Zeiten von „Work-Life-Balance“ und „Clean Eating“ noch Bestand hat.

Ein Paradox, das Diana Weis als „Agentur-Schrägstrich-Berghain-Leben“ umschreibt: „Man ist vegan und trinkt den ganzen Tag Smoothies und schießt sich im Technoclub dann trotzdem total ab. Der Magerkeitswahn verkörpert die Suche nach einer neuen metaphysischen Ebene und steht gleichzeitig im Kontrast zum neoliberalen Selbstverbesserungsideal. Die Leute wollen einen ganz normalen Job haben und modisch trotzdem Rock-n-Roll suggerieren.“ Diese postmoderne Verfasstheit zwinge zum Leben in Widersprüchen.

Widersprüchlich ist auch die Veränderung von Körper- und Schönheitsidealen, die bei aller Gegensätzlichkeit in der Skinny Jeans einen gemeinsamen Mode-Nenner finden. Davon handelt Diana Weis’ eigener Vortrag „Von Kate zu Kim. Zur Umformung des weiblichen Idealkörpers in Zeiten der Skinny Jeans“. Die magere Kate Moss stehe ikonisch Pate für die Anfangszeiten der Röhrenjeans, die dralle Kim Kardashian symbolisiere das Körperextrem ihres eventuellen Endes. „Die beiden haben für jeden ersichtlich eine sehr unterschiedliche Körperfigur und tragen trotzdem die gleiche Hose. In der gesellschaftlichen Vorstellung des Idealkörpers hat sich bestimmt etwas gewandelt, was aber nicht als Befreiung misinterpretiert werden darf“, erklärt Diana Weis. Slogans wie „Strong is the new Skinny“ veranschaulichten dies sehr gut: War der perfekte Körper zur Jahrtausendwende noch von Kanten und Knochen gezeichnet, darf er jetzt zwar runder, muss aber gleichzeitig straff und sportlich sein. „Dankeschön, das ist ja noch viel anstrengender!“, findet Weis. Einfach nichts zu essen basiere auf einer passiven Haltung, die Disziplin oder eben den Konsum vieler Drogen fordere, die neue rundlich-straffe Utopie bedeutet jedoch die tägliche aktive Formung des eigenen Körpers, ein ebenso unnatürliches Unterfangen. „Kim Kardashians Silhouette wirkt eher skulptural, der Körper als Kunstwerk. Das ist fast eine Art Neo-Rokoko. Eine absolutistische Haltung in der Mode, die Körperbilder herstellt. Für Leute, die unter normalen Bedingungen leben, unerreichbar.“

„Inventur“ ist nicht die einzige Konferenz auf der in dieser Woche über Mode gesprochen wird, vielen aus der Branche reicht es anscheinend nicht mehr, Mode nur anzuschauen. „Inventur“ aber verfolgt einen entscheidenden Akzent: Die Veranstaltung will Mode als soziales Phänomen verstanden wissen. „Mode wird im deutschen Modejournalismus und auch auf entsprechenden Vorträgen immer als elitäres Phänomen wahrgenommen. Es geht meistens um die Macherseite, wer dahinter steckt, wer die Designer sind und welche Probleme sie haben. Wir finden, manchmal fehlt die breitere Basis“, sagt Diana Weis, „Im Grunde macht bei Mode jeder mit, da muss man nicht viel Geld oder Ahnung haben. Mode entsteht eben auf der Straße.“ Und da sieht man sie immer noch recht häufig, die Totgeglaubte

- „Inventur_Null“, „Die dünne Dekade: Nachruf auf die Skinny Jeans“, heute ab 15 Uhr im Roten Salon der Volksbühne, Tickets, 20 Euro, ermäßigt 10 Euro an der Kasse. Wir verlosen einmal zwei Tickets. Bitte Mail an mode@tagesspiegel.de bis 12 Uhr.

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