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Statussymbole am Meer: Yachten im Hafen von Marbella.

© Zink/ Imago

Schickeria, Traumstrand, Korruption: Der Mythos Marbella auf dem Prüfstand

Gunter Sachs und Audrey Hepburn machten hier Urlaub. In den 90er Jahren litt der Küstenort in Andalusien unter Bausünden. Und dann kam die Pandemie

So viel Spanisch versteht jeder: „Costa del Sol“ heißt Sonnenküste, und warum sie diesen Namen trägt, ist leicht zu erklären. Die Sierra Blanca mit dem Berg La Concha im Hintergrund sorgt für ein besonderes Mikroklima, im Sommer wird es nicht zu heiß, im Winter bleibt es angenehm mild. Ergibt unterm Strich knapp 3500 Sonnenstunden pro Jahr.

Vor allem die letzten Monate sei es wieder herrlich gewesen, schwärmt der Taxifahrer auf dem Weg vom Flughafen Malaga ins eine halbe Stunde entfernte Marbella. „Bis vorgestern“, setzt er nach. „Jetzt soll es eine Woche regnen. Endlich!“ Die Böden hätten es dringend nötig.

Die Natur hat selbstverständlich Vorrang vor den eigenen, niederen Schönwetter-Bedürfnissen. Aber „Costa del Sol sin sol“, wie die Daheimgebliebenen kalauern, ist das nicht zu viel des Antagonismus? Vordergründig verstößt es jedenfalls eindeutig gegen die Grundprinzipien dieses Sehnsuchtsortes. Denn Marbella, das war in der Vergangenheit immer Jetset, Party, Yachten, die Reichen, meist auch Schönen, und die standen bekanntlich auf der Sonnenseite des Lebens, nicht im Regen.

Später wird man mit Genugtuung dreierlei feststellen. Erstens hält sich das Wetter am Meer selten an die Vorhersage. Zweitens ist der alte Glanz noch nicht ganz verschwunden. Und drittens dafür eine Art neuer Glamour entstanden und der lässt sich, wenn es sein muss, sogar ohne Sonne genießen.

Aber vorher steht man erst einmal im Schutz einer riesigen Palme im Gartenhof des legendären Marbella Clubs, der nie ein geschlossener Club mit alberner Kordel und Membership-Zeugs war, sondern vielmehr ein Hotel für Menschen mit dem gleichen Mindset.

Eine Villa im Marbella Club heute.
Eine Villa im Marbella Club heute.

© Marbella Club

Hier auf die Sommerresidenz seiner Familie lud Alfonso von Hohenlohe ab den 50er Jahren seine adeligen und berühmten Freunde ein. Die sollten nicht immer in Saint-Tropez abhängen, im Süden Spaniens sei es viel schöner, außerdem noch unberührter und diskreter. Also kamen sie. Und verliebten sich sofort in den Ort.

Auf einem alten Schwarzweiß-Bild ist noch das Rohjuwel zu sehen: Die überschaubar große Finca der von Hohenlohes, drumherum viel dichtes Pinienwald-Grün, 180 000 Quadratmeter um genau zu sein, direkt davor das Meer. Sonst weit und breit: nichts. Eröffnet wurde das Hotel 1954 mit nur 20 einfachen Zimmern, dann kamen mit der Zeit lauter kleine, weißgetünchte Villen hinzu, dazwischen wurden subtropische Gärten mit Bougainvillen, Oliven-, Feigen und Orangenbäumen gepflanzt, geflieste Sitzbänke um plätschernde Brunnen arrangiert, zwei Pools und am Wasser ein lässiger Beachclub installiert.

Recht spartanisch war früher der Eingang zum Luxusanwesen.
Recht spartanisch war früher der Eingang zum Luxusanwesen.

© Marbella Club

„Die Leute fühlten sich hier ‚en casa’, wie zu Hause, das war unser Geheimnis“, erzählt Rudolf von Schönburg, der das Hotel als Manager jahrzehntelang mit seinem Vetter Alfonso führte. Der 89-jährige „Conde Rudi“ ist eine Legende in der Hotelwelt. Gunter Sachs, Brigitte Bardot, Cary Grant, Grace Kelly, Sean Connery, er kannte sie alle, kennt alle ihre Geschichten, also erzählt er sie noch mal.

Nur die jugendfreien versteht sich: dass sich Hubertus, der Sohn von Alfonso, über eine laut singende Dame beschwerte, die keine geringere war als Maria Callas. Wie der Herzog von Windsor sich hier so locker machte, dass er in Hawaiishorts zum Dinner erschien, um sich dann schnell wieder umzuziehen, weil so viel Etikette dann doch sein musste. Der Manager selbst ritt schon mal im Scheichkostüm auf einem Esel zur „Arabischen Nacht“ ein. Denn gefeiert wurde im Club so ausgelassen wie sonst nirgendwo. „Es gab ja damals noch keine Paparazzi“, flüstert von Schönburg verschwörerisch.

Goldene Wasserhähne kann jeder

Ein paar Fotos sind natürlich trotzdem vorhanden, und die hängen nun an einer Wand im frisch renovierten und üppig bepflanzten El Patio, dem Innenhof mit gleichnamigen Restaurant im modernen andalusischen Stil. Selbst die jungen Gäste bleiben vor diesen Aufnahmen stehen. Es ist der Stoff, aus dem Legenden sind, der Grund, warum Filme wie „House of Gucci“ oder Remakes von „Tod auf dem Nil“ gedreht werden. Echter Glamour. Goldene Wasserhähne und Infinitypools kann jeder, Authentizität hingegen lässt sich nicht kaufen.

Das allein reicht natürlich nicht, um einen Mythos am Leben zu halten. In Zeiten des entfesselten Tourismus ist der Spagat zwischen Exklusivität, Attraktivität und Modernität eine gewaltige Herausforderung. Marbella, auch das ist bekannt, hat vor allem in den 90er Jahren gelitten. Arabische Prinzen und der berüchtigte Unternehmer Adnan Khashoggi flogen regelmäßig mit dem Helikopter ein, die Russen kamen mit der Yacht, diejenigen, die in den Klatschzeitschriften vom Jet Set gelesen hatten, flogen mit dem Charterflugzeug hinterher.

Graf Rudi ist bis heute der eleganteste Hotelier der Stadt.
Graf Rudi ist bis heute der eleganteste Hotelier der Stadt.

© Marbella Club

Der kleine Küstenort, der 1950 gerade mal 10 000 Einwohner hatte, wuchs zu einer Stadt mit 140 000 Menschen heran. Bauboom und Korruption ließen nicht nur geschmackvolle Fincas und Luxusvillen, sondern auch Bettenburgen entstehen. Aber die hübsche Altstadt im andalusischen Stil und den vielen kleinen Gassen ist glücklicherweise verschont geblieben, wie auch die Goldene Meile, der Küstenabschnitt rund vier Kilometer weiter westlich, wo sich der Club und die schönsten Villen der Gegend befinden.

Wie Modemarken, die vorübergehend verblassen und dann plötzlich wiederentdeckt werden, scheint auch Marbella die letzten Jahre eine Art Revival zu erleben. Hier entstehen gerade die ersten exklusiven „Karl Lagerfeld Villas“. Engel & Völkers wirbt an der endlos langen Strandpromenade damit, ganze fünf Maklerbüros im Ort zu unterhalten. Der Preis pro Quadratmeter stieg in den letzten zwei Jahren um rund 40 Prozent.

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Am Abend sitzt ein Engländer, angekommen in der Mitte des Lebens, in einer Cocktailbar der Altstadt und fragt den Kellner über den Tresen hinweg, ob er nicht einen Tipp habe, wie man hier an ein Haus komme. Der Kellner schaut ihn mitleidig an. „Ein Freund flog kürzlich extra aus London für ein Wochenende her und hatte vier Besichtigungstermine“, erzählt er dem Briten. „Als er landete, waren drei schon verkauft.“ Er schnipst mit den Fingern. „Immobilien gehen im Moment weg wie nichts.“

Bloß an wen? In Puerto Banúz, immer noch der teuerste Yachthafen Europas drei Kilometer westlich vom Marbella Club, trifft man von jungen Familien im Dior-Jogger über terrakottagebräunte Engländer bis zu mondänen französischen Pärchen den Querschnitt der Wohlhabenden von heute. Nicht mehr ganz so geschmackvoll wie in den 60er Jahren, aber wo ist es das schon noch?

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Zumindest die Luxusläden werden sich nicht beklagen. Die Wegweiser an der Kreuzung, wo die Stege von den Bootsanlegern zusammenlaufen, weisen nach links zu Bottega Veneta und Bulgari, rechts zu Rolex und Valentino, Louis Vuitton wird gerade vergrößert.

Chanel hatte bislang nur einen zweiwöchigen Pop-up-Store im Marbella Club. „Die Frauen sind sich wegen der Kleider förmlich an die Gurgel gegangen“, sagt eine Mitarbeiterin. „So etwas habe ich noch nicht gesehen.“ Nach zwei Wochen saßen die Verkäuferinnen auf dem Trockenen, jetzt wird im Club eine feste Boutique eingerichtet, damit die Versorgung gesichert ist.

Ronaldo war hier

Den alten Glamour mag es in Marbella nicht mehr geben, aber Reiche eben schon noch, Berühmte auch: Lady Gaga und Cristiano Ronaldo waren in den letzten Jahren im Club, Novac Djokovic residiert in der Nähe, aktuell ist außerdem der belgische Michelin-Koch Stéphane Buyens zu Gast und ein skandinavisches Influencerpaar mit Baby.

Das Fünf-Sterne- Hotel bietet allen modernen Komfort, auf einen Gast kommen locker drei Angestellte, zu 115 Suiten gibt es 17 private Villen mit mehreren Schlafzimmern, teilweise mit eigenem Pool. Spa, Hair-Spa, Yogaangebot und dergleichen sind heute Standard, außergewöhnlich dagegen ist der Kids Club, schöner und größer als die meisten Berliner Kitas, der mit Seepferdchen-Züchten und Aromaschule nicht ganz das übliche Programm anbietet.

Ansicht der andalusischen Stadt vom Meer aus.
Ansicht der andalusischen Stadt vom Meer aus.

© Imago

Aber die Gäste kommen vor allem, weil das Hotel noch immer etwas sehr Besonderes ist. Die Anlage fühlt sich nicht wie eins der üblichen Luxushotels an, eher wie eine gewachsene, herrlich unprätentiöse Enklave inmitten einer Oase. Nach dem Regen dampft und duftet es überall, die Vögel trällern fast so ambitioniert wie die Callas früher.

Und die meisten Kunden kommen heute mit anderen Bedürfnissen. „Viele wollen sich nicht mehr nur wohlfühlen und in der Sonne liegen, sie wollen sich besser fühlen“, sagt Andrés Ruiz. Er stammt aus Ronda, nicht weit von Marbella, ist nicht nur Wellnesskoch sondern auch Ernährungswissenschaftler, außerdem noch Ultra-Marathonläufer und führt das El Olivar, das neueste der mittlerweile vier Restaurants.

Pralinen ohne Zucker sind heiß begehrt

Wer möchte, kann bei Ankunft im Holistic-Studio einen kompletten Ernährungs- und Gesundheits-Check machen lassen und bekommt ein auf ihn zugeschnittenes Menü serviert, während der Rest der Familie á la carte isst. „Es geht nicht um Verzicht, sondern um besseren Genuss“, sagt Ruiz. Seine Torten und Pralinen ohne Zucker und Gluten sind heiß begehrt. Hätte man Gunter Sachs damals gesagt, er müsse unbedingt noch die irre guten Tomaten aus dem hoteleigenen Gemüsegarten probieren, hätte der wahrscheinlich nur irritiert „Bloody Mary?“ geantwortet. Andere Zeiten, anderer Glamour.

Gefeiert wird in Marbella natürlich trotzdem noch, vor allem in den Sommermonaten. Wenn nicht hinter verschlossenen Türen, dann zum Beispiel im La Suite nebenan im Hotel Puente Romano, das übrigens der gleichen Besitzerfamilie wie der Marbella Club gehört, und fast genauso schön ist. Nur die legendären Geschichten, die gibt es eben nur einmal.

Hinweis: Die Recherche wurde unterstützt vom Marbella Club.

Andrea Zuckermann

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