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Dorf am Meer mit engen Gassen und dicken Mauern.

© Korfmann

Zeitreise auf Kreta: Sehnsucht nach dem einfachen Leben

Orte, an denen sich Spuren der Vergangenheit finden, sind selten. In Nakou Village können Touristen das ursprüngliche Kreta erahnen.

Es gibt Hotels, die so tun, als wären sie alt. Es scheint, als wohnte in ihnen noch Vergangenheit. Doch alt sind nur die steinernen Wände, und in den alten Schränken stehen Fernseher, die schweren Holztüren öffnen sich mit Chipkarten, und in einst feuchten Kellern finden sich Wellnesslandschaften.

Orte, an denen sich noch Spuren der Vergangenheit finden, sind selten. Um so größer wird die Sehnsucht nach ihnen. Die Zypriotin Eleni Nakou war eine der Ersten, die diese Sehnsucht nach der Vergangenheit verstand, und während die meisten Griechen Häuser und Oliven in den Bergen im Stich ließen, um an den Sandstränden mit den Touristen Geld zu verdienen, kehrte sie zurück in die Berge.

Unweit des kretischen Städtchens Ierapetra mit seinen langen Stränden und warmen Wintern stieß sie auf das verlassene Dörfchen Koutsounari. Sie kaufte die Ruinen, dichtete die Dächer, restaurierte Fenster und Türen und ließ die engen, schlammigen Wege zwischen den Mauern mit Steinen auslegen. Sie hat dabei genug Respekt vor den bäuerlichen Traditionen bewiesen, dass ein Bild vom einfachen Leben alter Zeiten entstehen konnte.

Eine Reise zu den Häusern der Eleni Nakou ist eine Zeitreise. Die Türen quietschen, die Fensterläden schließen nicht, das alte Holz ist nicht im postkartenüblichen Hellblau gestrichen, sondern im damals auf Kreta typischen Dunkelbraun. In der Küche steht eine Schale mit Tomaten und Äpfeln. Daneben eine Flasche Olivenöl und Paximadi, das getrocknete Gerstenbrot, das nie fehlte in Zeiten, als es noch keinen Bäcker gab, der täglich mit dem Auto frisches Brot brachte. Also aßen die Bauern dieses Paximadi: Eingeweicht in Wasser, mit gesalzenen Oliven und einem Stück Käse.

Nakou Village ist voller solcher Reminiszenzen. Im Kühlschrank stehen keine Plastikflaschen mit Mineralwasser, sondern auf dem Tisch steht ein Glaskrug mit Wasser, abgedeckt mit einem Tuch, und die Gläser für den Wein sind keine langstieligen Kelche, sondern schwere, stumpfe Gläser. Daneben hängen die dicken Tassen für den griechischen Mokka, und auf dem Herd steht das „Bricki“ zum Aufkochen des hellbraunen Kaffeemehles. Es gibt keine Kaffeemaschine, keinen Fernseher, kein Internet, keine klappernde Klimaanlage. Die Wände der alten Häuser sind dick genug, damit die Räume mit den kleinen Fenstern auch im Sommer noch kühl wie Höhlen sind. Die Blumen blühen in ausgedienten, weiß getünchten Blechkanistern, und auf den gekalkten Dächern stehen die Schornsteine aus umfunktionierten Tonkrügen.

Dora hatte gekocht, zwei Tage lang

Viel hat sich nicht geändert seit dem Sommer des Jahres 1962, als Eleni Nakou nach Koutsounari kam. Nur die klebrigen Rollen der Fliegenfänger, die über den geblümten Plastiktischdecken des Küchentischs baumelten, fehlen heute. Und die rußgeschwärzten, ölverschmierten Pfannen, das Kruzifix an der Wand und die Flinte am Haken neben der Tür fehlen. Und dann war da noch das Kofferradio auf jedem griechischen Küchentisch, mit der abgebrochenen, durch einen Kleiderbügel ersetzten Antenne.

Angeregt durch die Geranien im Tonkrug, die Petroleumlampe an der Wand, die gekalkten, krummen Wände, den wackeligen, hölzernen Riegel an der Tür des Wohnzimmerschrankes, tauchen allmählich die Erinnerungen auf. Die Erinnerung an den ersten Schluck Wasser nach einer langen Wanderung, den die Frau eines Bauern aus einem kugelrunden Tonkrug einschenkte, der in einem kleinen Schrein in der Wand stand. Der rostige Eisenring in der Mauer ruft das Bild eines dürren Esels wieder ins Gedächtnis zurück, und vor dem großen Kamin mit dem krummen Balken aus Olivenholz sitzt für einen Moment wieder dieser hundertjährige Yanis, mitten im Juni. Weil er immer da saß!

1978 erhielt Eleni Nakou den „Europa Nostra Award“ für die Erhaltung von „Bauten, Kulturlandschaften, Kunstwerken und archäologischen Stätten“. Als sie starb, vererbte sie das Dorf am Berg ihrer treusten Mitarbeiterin: Dora Madala. Auch sie hat kaum etwas verändert seit dem Tod der alten Dame.

Und nicht nur die Steine, die Fenster, die Blumenkästen sind geblieben, auch die Gäste. Sie kommen jedes Jahr, „wie die Vögel und die Fische“. Jaques Tournier zum Beispiel, der älteste Stammgast, der seinen 80. Geburtstag hier feierte. Dora hatte gekocht, für fünfzig Gäste. Zwei Tage lang. Als Jaques bezahlen wollte, hat sie abgewunken: Das spendiert Eleni Nakou. Da hatte Jaques eine Träne im Auge.

Claude Chanut, der Arzt, kommt erst seit 1978 hier her. Er bewohnt immer das gleiche Häuschen, das mit der kleinen Terrasse, von wo aus er an der Zeder vorbei über das Tal voller Oliven aufs Meer blicken kann. „Dora,“ sagte er einmal zu ihr, „Ich bin glücklich hier, und ich habe nur noch einen Wunsch!“ - „Was für einen?“, fragte Dora. „Ich möchte hier in diesem Zimmer sterben.“ Da hatte Dora Madala eine Träne im Auge.

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