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Panoramablick auf den Wachturm, von dem früher Angreifer in die Flucht geschlagen wurden.

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Unsere Hotelkolumne für Apulien: Eine Nacht in der Masseria Torre Maizza

An der Küste Apuliens reihen sich wehrhafte Landgüter aneinander, sogenannte Masserie. Heute dienen sie anspruchsvollen Gästen als Rückzugsorte mit Wein, Weiß und Gesang.

Safari-Reisende kennen das: Jedes Wasserloch hat seinen Räuber. Im Hotel Torre Maizza ist die Bar die Trinkstelle, an der jeder Gast abends einmal einkehrt, und Carmelo Padellaro das musizierende Raubtier am Klavier, das mit Celentano und Sinatra zuschlägt.

Vor Carmelo gibt es kein Entkommen. Der Musiker im Unterhaltungsaufzug (weißer Hut, schwarzes Jackett, gelbe Fliege) und dem weißen Hemd sucht sich seine Opfer wie ein Afrikanischer Wildhund aus: mit Präzision und Ausdauer. Er pirscht sich mit Komplimenten an, klebt sich mit Anekdoten an die Aperitif-Trinker, erzählt von seiner Jugend in Sizilien, von Auftritten in Florida und in den schönsten Hotelbars Italien, schmettert „Volare“ oder „My Song“, ermuntert Gäste mitzusingen und schnappt zu, wenn die Opfer nach ein paar Gläsern Negroni mürbe sind.

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„Jetzt singen wir!“ Gegenwehr zwecklos. Draußen fegt ein Wind über Apulien. Flucht unmöglich. Auf seinem Yamaha-Piano schlägt Carmelo die ersten Töne von „My Way“ an – und am Ende werden die Singenden vom Publikum verschlungen. Klatschen, Beifall, Applaus! Jeder ist hier froh, nicht selbst in der Löwengrube gelandet zu sein.

Jetzt bist du dran! Alleinunterhalter Carmelo Padellaro sucht Gesellschaft,

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Natürlich ist niemand gefangen in der Masseria Torre Maizza. Auch wenn sich die Tore des Anwesens hinter dem Auto schließen, sobald man die Auffahrt zur Rezeption entlangfährt – es ist eher ein Schutz vor der gemeinen Welt dort draußen. Autobahnen, Neubauten, Fabrikanlagen. Hat man nun alles hinter sich gelassen, auf der knapp einstündigen Fahrt vom Flughafen Bari zum ehemaligen Gutshof. Auf der letzten Etappe säumen Olivenhaine die Route, knorrige Gesellen mit windgeformten Stämmen, die zwischen der Adriaküste und den Bergkette die sogenannte Selva, die fruchtbare Ebene, begrünen.

Hinter dem Eingang warten weiß gestrichene Steinquader auf die Gäste, ein Wohnblock aus dem 16. Jahrhundert mit wehrhaften Zinnen, blaue Glyzinien und rote Bougainville – und am Horizont lockt die Adria schamhaft blau. Etwa drei Kilometer entfernt ist sie vom umgebauten Landgut, eine ständige Erinnerung an Sommerfrische und Strandbargelassenheit.

Rund um die Masseria Torre Maizza wachsen knorrige Olivenbäume.

© Rocco Forte Hotels

Vom Dach des Wohnhauses beobachteten die Bewohner einst, ob sich Angreifer vom Meer dem Land näherten, meldeten per Rauchzeichen mögliche Gefahren an die Nachbarn (die auf ähnlichen Türmen saßen) und übergossen im Notfall die Invasoren mit heißem Olivenöl. Heute befinden sich unter dem Wachturm die Rezeption und eine besonders große Familiensuite. In der Manufaktur, in der das Öl produziert wurde, ist das Spa eingezogen. Der Stall, in dem das Vieh lebte, beherbergt nun das Restaurant.

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Die Masseria war früher als Landhaus mit Farm angelegt, nach dem Zweiten Weltkrieg verließen die Besitzer ihr Stück Land, um in der Stadt nach den Früchten der Industrialisierung zu suchen, und die Gebäude verfielen in einen jahrzehntelangen ruinösen Schlaf. Vor etwa 50 Jahren baute ein Unternehmer die Häuser zu Unterkünften aus, vor knapp fünf Jahren eröffnete die Gruppe Rocco Forte eine komplett renovierte Masseria mit zusätzlichen Anbauten, die stark an die ursprüngliche Architektur angelehnt sind.       

So sehen die Zimmer aus.

© Rocco Forte Hotels

Die dicken Mauern halten Hitze und Frost ab, die Farbpalette beruhigt jedes Auge: Weiß und Schilfgrün dominieren, dazu mischt sich dunkelbraunes Holz. An den Wänden hängen bunte Keramikteller, die typisch für die Region sind, die Decken sind wie Gewölbe geformt und erinnern an die ursprüngliche Architektur der Farmhäuser.

Neben dem Eingang steht ein Pumo oben auf dem Regal, ein Glücksbringer in Form einer stilisierten Knospe, tausendfaches Hauseinweihungsgeschenk in Apulien. Im Badezimmer verströmt das Aprikosen-Duschgel einen berauschenden Duft. Und als Gast fühlt man sich zwischen klösterlicher Strenge und kühlem Weinkellerambiente gut aufgehoben.

Der Pumo gilt in Apulien als Glücksbringer für das eigene Heim.

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Die Landherren organisierten sich früher ihre Verteidigung selbst (Olivenöl!), weil Apulien lange ein Spielball fremder Interessen war. Das lernen Reisende schnell, wenn sie ihre Exkursionen rund um die Masseria planen. Griechen, Römer, Langobarden, Normannen, sie alle kamen durch diesen Landstrich, der am Ende doch seinen eigenen Stolz bewahrte.

Nur wenige Autominuten entfernt („Gehen Sie nicht zu Fuß! Das ist viel zu gefährlich wegen der Autofahrer!“, rät die Rezeptionistin) hat das Museo Egnazio eröffnet. Auf dem Gelände in Küstennähe wurden Anfang des letzten Jahrhunderts die ersten Ruinen und Artefakte aus dem fünften Jahrhundert vor Christus entdeckt. Das Volk der Mesappier lebte in der Region – die Griechen kamen wegen der tückischen Böen kaum an diesen Teil der Adria – und erbaute mit Gnathia eine Stadt, die zur Blütezeit unter den Römern später fast 50.000 Einwohner hatte.

Geschmackvoll: das Restaurant der Masseria.

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Gräber, Säulen, Mauern erinnern an die Antike. Auf dem Ruinenfeld lassen sich mühelos Therme und Amphitheater ausmachen, von den Uferfelsen blicken Reisende auf einen natürliche Bucht, den die Mesappier mit langen Molen zu einem sicheren Hafen umbauten und der sie in der Form an ein menschliches Kinn erinnerte.

Etwa 40 Minuten landeinwärts, zuerst die Ebene entlang, dann die steil aufragenden Hügel hinauf, stehen Zipfelmützen in den Wiesen. Steinerne Gebilde, die auch Märchenfiguren sein könnten: Trulli mit ihren typischen Runddächern. Die Bauern Apuliens sahen angeblich überhaupt nicht ein, dass sie im 17. Jahrhundert dem neapolitanischen Königreich Steuern für ihre Häuser zahlen sollten – und da die Gebäude ohne Zement und Mörtel errichtet wurden, nur mit aufeinander geschichteten Steinen, stufte der Fiskus sie als provisorische Unterkünfte ein und erhob keine Abgaben darauf.

Die Steuerhinterziehung hat sich ausgezahlt. Heute staunen Touristen aus aller Welt über die winzigen und ziemlich stabilen Bauten. Ein Trullo ist zur Marke geworden, Geschäfte, Cafés oder Hotels sind in die früheren Armenhäuser eingezogen. Wenig Licht, viel Romantik. Nirgendwo stehen sie einladender aneinander als in Alberobello. Die Stadt mit knapp 10.000 Einwohnern wurde wegen des besonderen Rundhausensembles zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. An einem Hügel entlang formen die Dächer sich zu einer steinernen Kleckerburg. Gassen führen an Boutiquen und Souvernirläden vorbei, Vorsicht auf den glatt gelaufenen Steinen.  

Trulli in Alberobello.

© Tagesspiegel/Ulf Lippitz

Abends treffen sich alle Tagesausflügler wieder an der Bar. Ein Aperitivo muntert auf. Vielleicht ein Americano aus Campari, Wermut und Soda? Carmelo sitzt bereits am Klavier, der große Alleinunterhalter, die Wunderwaffe am frühen Abend, um die Stimmung anzuheizen. Er kann zwischen den Songs von seinen Stationen in Los Angeles, München und an der Amalfiküste erzählen wie ein Durstender vom Wasser schwärmt.

Die Zuhörer spüren die Sehnsucht nach der Welt vielleicht durchströmt sie sogar ein Gefühl der Dankbarkeit, dass der große Carmelo nach all seinen Kreuzfahrt- und Betriebsfeierengagements die Zeit gefunden hat, sie auf diesem feinen Landgut in Apulien zu beglücken.

Er ist natürlich auf der Pirsch, diesmal in einer Kombination aus gelb und blau als harmloser Paradiesvogel getarnt. „Antonella!“, begrüßt er eine elegante Dame, die eigentlich Yvonne heißt. Er erzählt von seinen Dutzenden Anzügen und Schuhen zu Hause: „Normalerweise hat die Frau vier Koffer Kleidung und der Mann einen, bei mir ist es umgekehrt.“ Nach einem Tag Schnellkurs in apulischer Kultur ist man zu ermattet, um eine strategische Verteidigung aufzubauen. „Let It Be“ von den Beatles? Alle nicken ergeben.

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