zum Hauptinhalt

Usedom: Strand ohne Grenzen

Eben mal nach Swinemünde: Auf Usedom werden Nachbarn zu Freunden. Und der Grenzverkehr ist mit der Bäderbahn noch einfacher geworden.

Polnisch lässt sich auch im Lokal Calypso an der Ahlbecker Seebrücke lernen: „Paluszki rybne“ heißt Backfisch und Matjes „Matias“. Gar nicht so schwer, Gäste lesen sich beim Blick auf die Karte Vokabeln vor – Auswirkungen der wirklich offenen Grenze vor Swinemünde. Beim Lokalpersonal findet sich übrigens auch immer einer, der Polnisch kann.

Mit der Usedomer Bäderbahn ist der Grenzverkehr noch einfacher geworden. Polen kommen gern herüber, weil viele Lebensmittel hier billiger sind. Deutsche fahren gern hinüber, weil sie unverdrossen an Schnäppchen glauben. Oder einfach nur Swinemünde sehen wollen, die Stadt, die bereits früher bei Berlinern beliebt war. Sie putzt sich zunehmend heraus und wirbt mit attraktiven Ferienwohnungen um Urlauber und Investoren aus Deutschland.

Die Herbsttage auf Usedom sind ein Genuss für den Besucher, besonders in den Kaiserbädern. Jeder dritte kommt übrigens aus Berlin. Auf dem Fahrradweg zwischen Ahlbeck und Swinemünde lässt es sich nun unbeschwerter durch Wald und Dünen radeln, weil nicht mehr so viele Urlauber unterwegs sind und weil die Trasse, anders noch als im Sommer, von etlichen Stolpersteinen befreit und aufgeschüttet wurde. Die alte Grenze jedoch bleibt auffallend sichtbar, ein breiter Sandstreifen, eine Schneise. Auf der Straße, die hundert Meter im Inselinneren entfernt diesen Grenzstreifen kreuzt, kontrolliert häufiger der deutsche Zoll. Er sucht nach Waffen, Drogen, Zigaretten.

Der ramschige Polenmarkt am Straßenrand lockt noch immer, vor allem viele Bustouristen. Inmitten der Stände mit Krimskramstextilien und CDs, dicken Würsten und Käse stehen manchmal deutsche Autos mit deutschen Kennzeichen ohne Stempel. „Zu verkaufen“, rufen polnische Händler, deutsche Touristen wenden sich dann schaudernd ab. Das scheint die reizvolle Exotik zu verstärken, die der Markt noch immer ausübt.

Kaum hundert Meter von der Ahlbecker Seebrücke entfernt hat Klaus Kottwittenborg sein Büro, mit großem Wintergarten. Es gibt eine Palme, und Besucher dürfen in einem sehr breiten Strandkorb sitzen – wohl eins der schönsten Bürgermeisterbüros Deutschlands. Kottwittenborg, ein freundlicher Westfale, regiert die Gemeinde Seebad Heringsdorf. Er ist stolz, dass er schon lange im Amt ist – und das als Parteiloser.

Der Mann erinnert sich: Im vergangenen Jahr um diese Zeit gab es Horrorszenarien, wie sich die im Dezember angekündigte Öffnung des Autoverkehrs von und nach Swinemünde auf die Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, auswirken könnte. Ein Kollaps wurde befürchtet. Auf der Küstenstraße standen und stehen ohnehin ständig Autos im Stau, weil stets irgendwas repariert wird.

Der Kollaps jedoch blieb aus, mittels eines Kunstgriffs, vertraglich vereinbart mit den Amtskollegen in Swinemünde, den „Freunden und Nachbarn“, wie der Bürgermeister betont. Die Bundesstraße auf deutscher Seite wurde zur Gemeindestraße, so dass Fahrzeuge über 3,5 Tonnen, also Lkw, hier nicht mehr fahren dürfen. Außerdem gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 Kilometer pro Stunde. „Es gibt keinen Transitverkehr, das ist wichtig“, sagt Kottwittenborg.

Rund 3000 Autos sollen einer neuesten Zählung zufolge die Grenze bei Ahlbeck täglich passieren. Das ist zwar noch erträglich, aber stellt den ebenfalls neuen Grenzübergang Garz im Inselinneren in den Schatten. Von dort könnte man aus südlicher Richtung Swinemünde ansteuern. Der Übergang wird allerdings so gut wie gar nicht wahrgenommen. Vom Grenzverkehr bekommt er nur zehn Prozent ab, aus Inselsicht müsste sich der Verkehr besser verteilen.

Noch also ist nicht alles im Lot mit der offenen Grenze, noch fehlt der Wiederaufbau der seit 1945 stillgelegten Bahntrasse, die von Berlin direkt nach Swinemünde führen und einem Bahngutachten zufolge 120 Millionen Euro kosten würde. Noch lässt sich vieles verbessern. Dennoch: Die Verständigung zwischen den Nachbarn ist spürbar besser geworden. Und wenn es auf Englisch ist. Aber das gibt die Karte des Calypso nicht her.

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false