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Instrumente aus Eis: Soundcheck bei minus fünf Grad

Die einen wollen am Schnalstaler Gletscher Skifahren, die anderen gehen ins Konzert. Die Instrumente sind aus Eis – und erzeugen magische Klänge.

Ahnungslos sausen auf dem Schnalstaler Gletscher Skiurlauber an einer einzigartigen Attraktion vorbei: Auf 3100 Meter über dem Meeresspiegel geben Künstler in einem Rieseniglu Konzerte - auf Musikinstrumenten aus Eis.

Eine schwarze Flagge steckt in einem kleinen Schneehaufen auf dem Schnalstaler Gletscher im Ötztal, 200 Meter von der Seilbahn entfernt. Sie flattert, als wolle sie die Worte, die auf ihrem Tuch kleben, mit dem Wind über die schneebedeckten Gipfel in die Welt schicken. "Ice Music" steht dort in blauen Buchstaben - dabei hat das "I" die Form eines Notenschlüssels. Wer auf Skiern ein paar Meter weiter rutscht, entdeckt den Eingang in eine Schneehöhle. Der Skifahrer schnallt ab, parkt seine Bretter und stapft mit schweren Stiefeln durch den schmalen Gang in das Iglu.

Dort steht er unversehens in einem Theatron. Rund 40 Gäste in Skianzügen hocken auf den Treppenstufen aus Eis und warten. Die Musiker machen soeben ihren Soundcheck. Ein Styroporkissen unterm Po schützt vor Kälte. Es ist minus fünf Grad, und nahezu alles ist aus Schnee und Eis: die Wände, die Bar, die Bühne - und die Musikinstrumente.

Tim Linhart aus Colorado ist einer der wenigen Menschen auf der Welt, die akustische Saiteninstrumente aus gefrorenem Wasser bauen und damit Konzerte auf dem Gletscher geben: Geige, Bratsche, Gitarre und ein Xylofon stehen bereit. Ein jedes wird von innen beleuchtet und schimmert abwechselnd in rot, grün oder blau. Nur die Saiten, Hälse und Kinnhalter sind aus Stahl und Holz. "Leider müssen wir noch ein paar Minuten warten, bevor wir beginnen können", begrüßt der Künstler die Besucher, "bei der Geige ist ein Stück vom Steg weggebrochen, das muss erst geflickt werden und wieder anfrieren." Dann nimmt der fast zwei Meter große Mann mit der Figur eines kanadischen Holzfällers einen winzigen Schraubenzieher und drückt damit vorsichtig ein paar Eiskristalle auf die filigrane Verbindung zwischen Saite und Korpus.

Töne klar und kalt wie Wasser und zerbrechlich wie Glas

Geduld ist eine wichtige Tugend. "Je langsamer man arbeitet, desto schneller wird man fertig", meint Linhart, der schon vor König Karl Gustaf und Königin Silvia in Schweden auftrat.

Wenig später lauschen die Zuhörer den Klängen der "Eismusik". Tim Linhart und seine Band zaubern Töne, die klar und kalt sind wie Wasser und zerbrechlich wie Glas. Ein Pärchen hält sich eng umschlungen und wiegt die Oberkörper im Takt zu Beethoven on ice. "Es ist magisch", sagt Tim, "je länger man spielt, desto besser wird der Sound. Das Zupfen und Streichen der Saiten ist wie eine Massage für das Eis. Es entspannt sich und die Töne verändern sich während des Musizierens. Sie werden immer weicher." Das erfordert eine ganz andere, flexiblere Spielweise und ist eine neue Herausforderung für die Musiker.

Beim nächsten Lied greift Tim zur Querflöte. Damit die Fingerspitzen nicht festkleben, hat er Gummihandschuhe an, wie man sie sonst etwa beim Geschirrspülen trägt. Der Schlagzeuger haut mit Gummibrettern auf dickwandige Trommeln und die Xylofonistin entlockt dem "Glaciophone" Klänge, als würden Tropfen in einen unterirdischen See fallen. Obwohl die Wände im Iglu glänzen, ist hier nichts feucht. Es ist so trocken, dass man nicht einmal die Atemluft sieht. "Dies ist der natürlichste Kühlschrank der Welt und perfekter Lagerort für unsere Instrumente", erklärt Tim.

Jedes Jahr findet auf dem Schnalstaler Gletscher in über 3000 Meter Höhe das Icemusic-Festival statt. Internationale Künstler geben Konzerte auf außergewöhnlichen Instrumenten. Das Theatron - auch Icedome genannt - ist dann gleichzeitig Museum, Konzertsaal und Chill- out-Lounge mit Glühwein und Tee für Ski- und Sessellift-Fahrer.

"Die Natur ist der Boss"

In diesem Jahr wird der norwegische Musiker Terje Isungset zu Gast sein. Der 44-Jährige aus Geilo gilt als einer der europaweit bekanntesten Percussionisten mit Konzertaufträgen von Oslo bis Sansibar. Und er ist einer der originellsten. Er baute schon akustische Instrumente aus Stein, Holz und Metall. Aus dem jahrhundertealtem Gletschereis über dem Schnalstal wird er Trommeln und eine Trompete schnitzen.

Die Becken seines Tiefkühl-Schlagzeugs scheppern nicht. Sie bestehen aus vielen länglichen Eisröhren. Wenn der Musiker mit Eisstöcken dagegen klopft, hört es sich an wie ein mächtiges Windspiel. Die Idee, dem kalten Material Töne zu entlocken, hatte der 44-Jährige vor knapp zehn Jahren, als er den Auftrag bekam, während der Winterfestspiele in Lillehammer an einem gefrorenen Wasserfall zu spielen. Seitdem lässt ihn der frostige Stoff nicht mehr los. Inzwischen hat er mehrere CDs produziert. Seine neuste Scheibe "Igloo" wurde erst kürzlich in London ausgezeichnet.

"Dabei bin ich vollkommen unbedeutend", sagt Terje, "die Natur ist der Boss. Sie entscheidet praktisch alles: das Aussehen und die Qualität der Instrumente, wie lange ich in die Trompete blasen kann, ohne dass die Lippen einfrieren, und letztlich den Klang." Er selbst bezeichnet es als "zeitgenössische improvisierte Musik".

Manche Töne ratschen, als würde jemand ein Stück Papier zerreißen, andere gleiten die Tonleiter immer höher hinauf, so dass man meint, eine Kinderstimme zu hören. Im Februar wird die Stimme der norwegischen Sängerin Lena Nymark den Eismelodien einen Touch Wärme einhauchen. Auch wenn die Atmosphäre im Iglu trotz Minusgraden dann beinahe gemütlich ist: Am liebsten spielt Terje draußen - um Mitternacht bei Vollmond. Dann klingen die Eisinstrumente besonders mystisch. Am Gletscher dürften die Skifahrer um diese Zeit schon lange ins Tal abgefahren sein.

Auskunft zum Eis-Theatron im Internet www.meranerland.com, www.schnals tal.com oder unter www.icemusic.de,Touristinfo Kurzras, Tel.:00 39 / 473 /66 21 77

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