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Glindow

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Schönes Brandenburg: Im Reich der Steine

Mit Ziegeln aus Glindow in der Mark wurde halb Berlin gebaut. Noch heute glüht ein historischer Ringofen – zum Nutzen des Denkmalschutzes. Besucher werden hier in die hohe Kunst des Ziegelei-Brennes eingewiesen.

„So frühe Kundschaft ist ungewöhnlich. Ich schließe schon mal auf.“ Es ist halb zehn und Siegfried Wolf hat noch einige Vorbereitungen zu treffen, bevor er seinen „Dienst“ im Märkischen Ziegeleimuseum antritt. Doch da sich bereits vor der Öffnungszeit um zehn Uhr drei Besucher am Glindower See bei Werder eingefunden haben, öffnet er die Tür zu dem kleinen Museum und geht zunächst seiner Wege. „So gegen halb elf können wir dann mit der Führung durch die Manufaktur beginnen, wenn es Sie interessiert“, ruft er noch. Na klar sind die Ausflügler neugierig, wie das denn so war mit den Ziegeln aus Glindow, mit denen mindestens halb Berlin und noch viel mehr gebaut wurde.

Das heutige Museum ist in dem kleinen Turm neben der alten Ziegelei untergebracht. Die Ausstellung zeigt in vielen Exponaten anschaulich nicht nur den technologischen Prozess der Ziegelherstellung. Dem Besucher wird auch anhand von Illustrationen und Dokumenten die Geschichte des Glindower Ziegeleigewerbes vor Augen geführt – von dem seit 1462 verbrieften Tonabbau in der Gegend bis zur Wiederbelebung einer fast vergessenen Handwerkskunst in der nach der Wende gegründeten Glindower Ziegelei GmbH und heutigen Neuen Ziegel-Manufaktur.

Der Turm selbst ist ein wahres Schmuckstück, ein eindrucksvolles Beispiel für den Ziegelbau im 19. Jahrhundert. Er wurde vermutlich um 1890 vom damaligen Ziegeleibesitzer Krumbiegel errichtet. Prächtig reckt sich der Bau genau 14,60 Meter in die Höhe. Eine enge Wendeltreppe führt hinauf – Vorsicht, Kopf einziehen – und von oben bietet sich ein herrlicher Ausblick auf den See bis nach Werder. „Wahrscheinlich wurde er vor allem zu Werbezwecken errichtet“, sagt Siegfried Wolf später. „So genau weiß man das nicht. Er hat jedoch sicherlich auch zur Orientierung der vielen Ziegelkähne gedient, die hier anlegten, um ihre Fracht aufzunehmen und auf dem Wasserweg nach Berlin und weit darüber hinaus zu bringen.“ Drei Milliarden Steine kamen um 1905 Jahr für Jahr auf dem Wasserweg nach Berlin.

Wolf ist „Professor im Ruhestand“ und ehrenamtlich für das 1993 eingerichtete Märkische Ziegeleimuseum tätig. Außer ihm gibt es zwei weitere Ehrenamtliche vom Förderverein Historische Ziegelei Glindow, der seit 2001 das Museum verwaltet, und durch die Manufaktur führen.

Seinen besten Zwirn zieht der Emeritus nicht an, wenn er die Ziegelei zeigt. Gleich hinter dem Geländetor ahnt der Besucher, warum. Unter einer Plane, vor Feuchtigkeit geschützt, lagert das Brennmaterial für den historischen Ringofen. „Braunkohlebrikettabrieb“, sagt Wolf und lässt den schwarzen Staub von der Schaufel rieseln. „Das Beste, was es zum Ziegelbrennen gibt.“ Das Material werde bei sehr hoher Temperatur verbrannt, der typische Braunkohlegeruch sei nicht wahrzunehmen. Wie auf Kommando schnuppert das kleine Besuchergrüppchen die frische Luft: nichts. Entsprechende Filter täten ein Übriges, versichert der Professor.

Dann geht es in die Manufaktur. „Fotografieren verboten“, heißt es. Große Betriebsgeheimnisse gibt es hier kaum zu hüten, doch die Besucher kommen in eine Halle, wo die Arbeitsbedingungen schon recht archaisch anmuten. „Hier passiert’s“, sagt Wolf. Das Grüppchen steht dort, wo werktags und bei entsprechender Auftragslage die einzigen beiden Handziegelstreicher Deutschlands arbeiten. Über ein Förderband kommt der geraspelte, mit Wasser eingeweichte Ton aus der Strangpresse in sieben Kilo schweren „Hubeln“ an die Werkbank gerutscht.

Siegfried Wolf demonstriert, wie der Ziegelmacher den Tonklumpen dann in die Höhe stemmt und mit Schmackes in den Streichkasten schmettert. Mit einem Draht werden die überstehenden Tonreste abgestrichen, der Kasten entfernt und der geformte Ziegel auf eine Palette gelegt, fertig für den Trockenofen. Bis auf eine Tongrube in Petzow sind übrigens alle anderen der Gegend stillgelegt. Das Rohmaterial kommt heute vorwiegend aus Lagerstätten im Westerwald.

„Man muss sich überlegen, dass früher ein Arbeiter 5000 Kilo pro Schicht gestemmt hat“, sagt Wolf. „Eine Knochenarbeit.“ Wie könnte es anders sein – auch Theodor Fontane hat sich zu seiner Zeit auf den Streifzügen durch die Mark bei den Ziegeleien umgesehen. Eine „frondiensthafte Tätigkeit“, nannte der Dichter die Maloche in „Der Schwielow und seine Umgebung“. Ganze Familien waren im 19. Jahrhundert in der Ziegelherstellung beschäftigt. Während die Männer die Steine formten und die Öfen in Gang hielten, wuchteten die Frauen die Ziegel auf Schubkarren oder Brettern in eine Scheune zum Trocknen, später von dort zum Ofen und schließlich zum Verladen auf die Schiffe. Auch Kinder wurden für Arbeiten eingespannt, bis 1888 in Preußen die Kinderarbeit verboten wurde. „Das waren Proletarier, aber keine Präkarier“, betont Wolf. „Die waren stolz auf ihre Arbeit, waren arm, aber nicht elend.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass diese Menschen mit ihrer Hände Arbeit eine ganze Kultur begründeten.

Und um die Backsteinkultur in Gestalt zahlreicher historischer Gebäude zu erhalten, sorgen heute die Bestimmungen des Denkmalschutzes dafür, dass hier in Glindow der Ofen noch nicht ausgeht. Werden Reparaturen an geschützten Bauwerken oder gar ganze Rekonstruktionen fällig, ist die Verwendung „handgestrichener Ziegel“ vorgeschrieben. „Mit Steinen aus dem Baumarkt ist da nichts zu wollen“, weiß Wolf. Entsprechend lang ist die Referenzliste der Ziegel-Manufaktur: Vom Angermünder Pulverturm bis zum Kloster in Ziesar – überall finden sich Handstrichziegel und Formsteine aus Glindow (Wendisch: Lehmdorf). Auch an der Spandauer Zitadelle, am Roten Rathaus und der Zionskirche, am Lübecker Dom und an der St. Clara Kirche in Stockholm.

Auf dem Weg zum Ringofen, wo die Ziegel gebrannt werden, geht es vorbei an den Trockenkammern. „Feucht dürfen die Ziegel nicht in den Ofen. Hier verlieren sie neun Prozent ihres Volumens. Das ist ein Problem, das will bedacht sein“, sagt Wolf. Erfahrung sei halt bei dieser Arbeit alles.

Nun geht es in die Hölle. „Wenn der Ofen richtig in Wut ist, wird er heißer als ein Krematorium“, sagt der beredte Fremdenführer und schließt die Tür zum Ringofen auf. Mitte des 19. Jahrhunderts habe es ein Problem gegeben: Berlin wuchs und wuchs, doch die Produktion von Bausteinen konnte nicht Schritt halten. „Lassen Se mal, wenn’s ein Problem gibt, gibt’s auch einen Berliner, der es löst“, witzelt Wolf.

In der Tat erfand der Berliner Friedrich Eduard Hoffmann 1858 den Ringofen. Diese Ziegelöfen ermöglichten eine weit höhere Produktion als bis dahin üblich. Genau das, was Berlin brauchte. Allein 1866 wurden in Glindow drei Ringöfen errichtet, um 1870 gab es 50 davon in der Region. Zwei stehen noch, denkmalgeschützt. Einer der beiden „lebt“ und ist der einzige original nach dem Hoffmannschen Patent erhaltene, der in Europa noch glüht. Er wurde 1967 rekonstruiert und bis zur Wende vornehmlich für die Produktion von Blumentöpfen genutzt. Seit 1990 verlassen wieder Ziegel- und Formsteine die Produktion. Der andere Ofen wurde 1962 stillgelegt.

Kreisrund ist die Hölle. „Sie lebt, aber sie tut nix“, beruhigt Wolf. Der Schornstein in der Mitte ist ringförmig von einem überwölbten Kanal umgeben, der in Glindow in 14 Kammern je 30 Kubikmeter geteilt ist. Vorteil: Die Rohlinge in den Brennkammern können kontinuierlich gebrannt werden. Ohne Abbruch des Brennfortganges werden Rohlinge eingesetzt und die fertigen Ziegel entnommen. Im Vergleich zur früheren Technik wird so vor allem viel Zeit, jedoch auch Arbeitskraft und Brennstoff gespart. Wie im 19. Jahrhundert wird die Sauerstoffzufuhr über Klappen geregelt. „1016 Grad waren gefordert“, weiß Wolf. „1018 Grad waren schon zu viel, da ließ der Glindower Ton nicht mit sich handeln.“ Ohne Thermometer die richtige Temperatur zu halten, galt deshalb als hohe Kunst. Vornehmlich Wanderarbeiter aus Westfalen- Lippe verstanden sich darauf.

Doch wie lange kann in Glindow noch gebrannt werden? „Nachwuchs für den Knochenjob der Handstreicher gibt es nicht.“ Wolf wiegt nachdenklich den Kopf. Und wenn man bedenke, dass ein Ziegel wenigstens 20 Euro koste, müsse sich unter Umständen auch bald der Denkmalschutz von seinen Vorgaben verabschieden. Schließlich sei es auch möglich, Ziegel industriell „auf alt“ zu machen. Und Privatleute, die sich etwa eine Terrasse aus handgemachten Ziegeln leisten wollten, seien ohnehin die Ausnahme. „Dabei muss man sagen: Die Glindower Ziegel sind wie die Glindower selbst – nicht besonders schön, aber sehr haltbar.“

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