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It’s Showtime! Die Unterhaltungsprogramme an Bord (hier das Musical „Aqua“ auf der „Mein Schiff 1“) kommen leicht daher, sind jedoch hart erarbeitet.

© promo

Kreuzfahrt: Zaubertricks vorm großen Spiegel

Passagiere wollen an Bord unterhalten werden. Das Entertainment für Tui Cruises wird weitab vom Meer erdacht – in Kreuzberg.

Der Zauberer, der sich auf der Bühne vom Riesenbohrer aufspießen lässt, sitzt entspannt am Tisch und trinkt Apfelschorle. Peter Valance hat Fans in aller Welt und bereitet sich gerade auf sein Programm, auf ein Kreuzfahrtprogramm, vor. Im Probenraum übt Assistenzchoreografin Daniela Meneses, eine ehemalige Primaballerina der Deutschen Oper, vor dem großen Spiegel mit dem Ensemble die Schlussverbeugung am Ende des Musicals „Aqua“. Bald werden sie alle das Haus in Kreuzberg verlassen und auf einem Schiff von Tui Cruises auf große Fahrt gehen. Was dort im Mittelmeer oder der Karibik an Unterhaltung geboten wird, ist „Made in Kreuzberg“, denn hier befindet sich die Zentrale von Tui Cruises Entertainment.

Zuständig für die „intelligente Unterhaltung“ auf den sogenannten Wohlfühlschiffen ist Thomas Schmidt-Ott als Director Entertainment. Dem Berliner Publikum ist der 46-Jährige aus unterschiedlichen Funktionen bekannt. Er arbeitete als Orchesterdirektor des DSO vier Jahre lang mit Kent Nagano zusammen, er ist immer noch Vorstandsvorsitzender der Brandenburgischen Sommerkonzerte und zu Lande ist er als Geschäftsführender Gesellschafter der Soko Entertainment GmbH unterwegs. Früher hat er auch für Hapag- Lloyd und andere Reedereien produziert. Seit vier Jahren aber ist er exklusiv für die Tui Cruises GmbH unterwegs, die jeweils zu 50 Prozent dem Reiseveranstalter aus Hannover und der amerikanischen Royal Caribbean Cruises gehört.

Das wie ein Altbau wirkende Haus in der Schützenstraße 8 kennt er bereits, seitdem es Mitte der 90er Jahre gebaut wurde. Aldo Rossi – großer Puccini-Fan – wollte in der Front die Rückseite des Palazzo Farnese zitieren, und Kent Nagano sollte als prominenter Bewohner bei der Vermarktung helfen. Seine Bedingung war der Einbau eines Konzertsaales. Nach der Eröffnung im Jahr 2000 nutzte das DSO ihn für Kammerkonzerte und der RBB als Studio. Normale Mieter waren schwierig zu finden für das ungewöhnliche Gebäude mit den fünf Meter hohen Decken. Aber für die Produktion von Unterhaltungsprogrammen für Kreuzfahrtschiffe erwies es sich als ideal. Seit 2007 arbeitet Thomas Schmidt-Ott hier, wenn er nicht gerade unterwegs ist in New York oder Las Vegas auf der Suche nach zündenden neuen Ideen für die Produktionen oder auf den Schiffen beim Feinschliff hilft.

Eigentlich ist Thomas Schmidt-Ott Cellist. Der promovierte Kulturmanager hat aber auch eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert sowie Musik-, Theater- und Wirtschaftswissenschaften studiert. „Ich finde es gleichermaßen spannend wie entspannend, populär und anspruchsvoll zu sein“ sagt er lächelnd. Auf den Tui-Schiffen werden jeden Abend die Besucher im Theater gezählt. Da der Eintritt nichts extra kostet, kann man sie tatsächlich einzig durch Qualität im Theater halten. Wenn zu viele Leute den Saal verlassen, während das Bühnengeschehen noch läuft, muss etwas verändert werden. „Am Anfang hatten wir mal eine Produktion, in der es sehr philosophisch ums Abschiednehmen ging. Da verabschiedeten sich zu viele Zuschauer vor dem Schluss der Vorstellung“, erzählt er. Aus dieser Erfahrung hat er gelernt. Schmidt-Ott sagt auch, dass er es richtig findet, wenn Kultur ihre Erträge selber erwirtschafte. Visuelle Wow-Effekte in kurzen Abständen helfen nach seiner Erfahrung sehr, das Publikum bei der Stange zu halten.

Es gibt keineswegs nur Klassikprogramme

Thomas Schmidt-Ott ist zuständig fürs Entertainment bei Tui Cruises.
Thomas Schmidt-Ott ist zuständig fürs Entertainment bei Tui Cruises.

© Thilo Rückeis

Jüngst wurde in Turku das dritte Tui-Schiff auf Kiel gelegt, und er kann endlich von Anfang an mitreden bei der Architektur des Entertainmentbereichs. „Ein Traum“, schwärmt er. Am liebsten hätte er eine Flugmaschine, die sich in acht Richtungen im Theaterraum bewegen kann. Vor kurzem hat er David Garrett erlebt in der Wiener Stadthalle, wie er geigend mit Hilfe einer Flugmaschine übers Publikum hinweggebraust ist. „Die Gäste sind ausgerastet“, erzählt er mit glänzenden Augen. Auch an der Akustik will er arbeiten. „Wenn zum Beispiel Passagiere auf dem Schiff aus Berlin kommen, sind sie absolute Hochkultur gewohnt, das muss man berücksichtigen.“

Der Spielplan ist auf 14 Tage angelegt, danach beginnt er wieder von vorn. Die meisten Reisenden buchen einwöchige Kreuzfahrten. Neben klassischen Konzerten und Musicals wird in Kreuzberg auch Artistik, Tanz, Gesang, Zauberei, Schauspiel und Comedy geprobt. Vor dem großen Spiegel im Probenraum üben die Tänzer auf einer Bühne, deren Größe der auf dem Schiff in etwa entspricht. Es gibt dort keineswegs nur Klassikprogramme. Renner derzeit sind „Rock the Boat“ und eine leicht ironisierte Schlagershow mit dem Titel „Ein Lied umgeht die Welt“.

In der Schneiderei werden die Kostüme für die neuen Produktionen vorbereitet, und der Castingdirektor nimmt schon mal per Skype ersten Kontakt mit seinen Wunschkandidaten in aller Welt auf. Da die Künstler sich für sechs Monate auf das Schiff verpflichten müssen und vorher zwei Monate in Berlin proben, war es anfangs nicht einfach, richtig gute Künstler zu bekommen. „Wer jedoch einmal mitgefahren ist, bekundet meist auch Interesse, den Einsatz zu wiederholen.“

Manche Elemente des Progamms werden in Kreuzberg produziert und dann über eine riesige LED-Wand eingespielt. Neuerdings setzt man auch auf sogenannte Signature Shows, die durch prominente Künstlerpersönlichkeiten geprägt sind. Hannelore Elsner etwa spielt per Video die Erzählerin in der Rock-Oper SnoWhite. Die erste Schiffshymne „Ocean of Love“ wurde von Anna Netrebko aufgenommen und wird immer abgespielt, wenn das Schiff irgendwo ankommt oder ausläuft.

Sogenannte Edutainment-Angebote reichen vom Opernabend bis zum Kabarett und schließen auch wissenschaftliche Vortragsreihen über Meeresbiologie mit ein. Im Juli etwa kommen die Wiener Philharmoniker an Bord der „Mein Schiff 1“. 1000 Passagiere passen in das Theater auf dem Schiff, 1000 Gäste nahezu jeden Abend, das bedeutet 360 0000 Zuschauer im Jahr. Wenn ab 2014 drei Tui-Schiffe unterwegs sind, muss hier in Kreuzberg also Unterhaltung für mehr als eine Million Menschen pro Jahr produziert werden.

Die Zahlen offenbaren Rückenwind. Im Jahr 2010 erholten sich 1,2 Millionen Deutsche auf einer Kreuzfahrt, 2011 waren es schon 1,5 Millionen. Da gilt es, viele Geschmäcker zu berücksichtigen. Ältere Gäste begeben sich gern auf Nordlandfahrt, jüngere in die Karibik, wo auch schon mal einheimische Musikgruppen für originales Flair des Programms an Bord sorgen.

Bereits seine allererste Kreuzfahrt nach St. Petersburg hat Thomas Schmidt-Ott an das Genre gefesselt. Dann gewann seine Berliner Kammerphilharmonie, die er gemeinsam mit seinem Soko-Partner Wolfram Korr leitet, einen Preis beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Beim Sektempfang wurde er von einem ARD-Produzenten gefragt, wie man Klassik fürs Fernsehpublikum interessant machen könnte. „Indem man sie in die Antarktis bringt“, antwortete er. Sechs Monate Dreharbeiten in der Nähe des Südpols vertieften seine Liebe zum Lebensstil Schiff. Einer der nächsten Einsätze fürs Fernsehen war weniger beglückend. Da ist er aus 6000 Metern mit dem Cello am Fallschirm über Hawaii abgesprungen. Wegen ungünstiger Windverhältnisse musste der Sprung drei Mal wiederholt werden. „Beim dritten Mal hatte ich einen Blackout vor Angst“, sagt er. Nicht die Luft, das Wasser ist sein Element.

Normalerweise ist eine Kreuzfahrt für ihn harte Arbeit, sein Augenmerk muss auf viele Details gerichtet sein. In den vergangenen Herbstferien hat der Vater von vier Kindern zwischen drei und zwölf Jahren zum ersten Mal seine ganze Familie mitgenommen auf eine Tour durchs Mittelmeer. „Jetzt wollen sie am liebsten alle Ferien auf dem Schiff verbringen.“ Aber das geht nicht, denn für den Familienvater und freien Unternehmer gibt es dort auch dann keine richtige Entspannung, wenn er eigentlich abschalten sollte. Jeder Gast, der vorzeitig im Theater aufsteht, lenkt ihn dann vom Urlaub ab.

Doch auch wenn die Unterhaltungsarbeit auf dem Schiff hart ist, strahlt der musizierende Kulturmanager mit dem knabenhaften Gesicht noch die Freude am Erfolg aus. Das Haus in der Schützenstraße mit den ungewöhnlichen Räumen baut er langsam von oben nach unten aus. Über der Eingangstür reihen sich drei runde Fenster wie Bullaugen aneinander. Als hätte der Architekt die Bestimmung des Hauses schon geahnt, bevor der große Kreuzfahrten-Boom ausbrach.

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