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Reif fürs Bilderbuch. Gargnano an der Westküste des Gardasees sieht noch immer aus wie vor Jahrzehnten. Und wie eh und je präsentiert der Monte Baldo seine schneeweißen Gipfel.

© picture alliance

Wellness am Gardasee: Am Ufer blühen die Träume

Der Gardasee verzaubert viele seiner Besucher. Für immer zu bleiben, das wäre wunderbar. Manchen gelingt das.

Am Morgen ist der See verschwunden. Jenseits des Gartens türmen sich Wolken. Später vertreibt die Sonne den Dunst und wärmt die Hügel über Gargnano. Der See wird sichtbar, glatt wie eine silberne Scheibe. Oben ruhen die Gäste in ihren Liegestühlen, den Blick auf das Panorama geheftet. Fast scheint es, als wäre die Beobachtung des Sees der eigentliche Zweck ihres Aufenthalts. Dabei sollen sie in dem Resort in den Bergen ihre Gesundheit pflegen: durch ein Wellnessprogramm, das der Arzt des Hauses für sie ausarbeitet, durch individuell zusammengestellte Kräutertees, durch Yoga, Meditation und leichte Bewegung auf dem Spazierweg durch fünf Gärten. Sie entsprechen den fünf Phasen, in die die traditionelle chinesische Medizin den Lauf des Lebens teilt. So ultimativ sollen die Gäste ihren Lebensrhythmus entschleunigen, dass sie ausdrücklich dazu ermutigt werden, im Bademantel zum Frühstück zu erscheinen.

Hinter alldem steckt Dottore Maurizio Corradin, ein Mediziner aus Padua, der seit 30 Jahren einen holistischen Ansatz verfolgt, in Frankreich und New York Akupunktur und chinesische Heilkunde studiert und das Wellnesskonzept des Lefay Resorts & Spa entwickelt hat. Er analysiert den Zustand kurwilliger Gäste, fragt nach Schlafverhalten, auffälligen Träumen, Krankheiten, Stress, Schmerzen, bevorzugten Geschmacksrichtungen und Jahreszeiten, bevor er sich ihre Zunge zeigen lässt und ihren Puls analysiert.

Corradin, der selbst Marathonläufer ist, sich aber heute hinter seinem Schreibtisch müde die Augen reibt, will dann die richtigen Impulse geben, um den Gästen zu mehr Wohlbefinden zu verhelfen. Den ganzen Tag können sie im Spa vertrödeln, das auch architektonisch das Herz des Hauses ist: Jeder Weg zu Schwimmbädern, Garten oder Zimmer führt durch die Spa-Lobby.

Das Wohlbefinden stellt sich auch außerhalb des Spas fast wie von selbst ein: dank der traditionellen Gerichte aus allen Regionen Italiens, die in der „Trattoria la Vigna“ serviert werden und vielleicht nicht besonders leicht, aber dafür um so schmackhafter sind, und durch die Schönheit der Landschaft, die sich zu jeder Tageszeit ein wenig anders zeigt.

„Der größte Luxus ist die Natur“, sagt Anke Hähnsen, die seit fast zehn Jahren am Gardasee lebt und heute als Rezeptionistin im Spa des Lefay arbeitet. Zuvor verbrachte die gebürtige Hamburgerin lange Zeit in Mailand. „Der Gardasee war damals immer mein Wochenendziel, und jedes Mal fiel mir der Abschied schwer“, erzählt sie. Berge wie der Monte Costello, dessen Form sie an einen Drachen erinnert, verschlafene Dörfer über dem See, in denen sich das Leben über Jahrzehnte kaum verändert zu haben scheint, und die üppige Natur an den Ufern haben für sie nichts von ihrer Faszination eingebüßt.

Schließlich ließ sie sich in Mailand zur Shiatsu-Therapeutin ausbilden, gab ihren Job in einer Anwaltskanzlei auf und zog an den See ihrer Träume. „Ich hatte das Gefühl, hier oben, in den Bergen und mitten in der Natur, wirklich angekommen zu sein.“ Wandern, im See schwimmen – am liebsten am Nachmittag, wenn das Licht sich ändert und er spiegelglatt liegt – , dazu in der mediterranen, fast schon subtropischen Landschaft Kontakt zu anderen Deutschen, Besuchern und Bewohnern, halten zu können, das alles wiegt für sie auch die Zeit des Winters auf: „Der kann schon lang werden, wenn wenig Gäste da sind, die Ferienhäuser leer stehen und das nächste Kino fünfzig Kilometer entfernt ist.“

Protestantische Pfarrer kamen, um den Kurerfolg zu unterstützen

Maurizio Corradin, Mediziner aus Padua.
Maurizio Corradin, Mediziner aus Padua.

© Bildagentur Huber

Schon vor hundert Jahren fühlten Deutsche sich am Westufer des größten italienischen Sees wohl. Ausgelöst hatte den frühen Boom ein Arzt aus Norddeutschland, der das Klima im neuen Kurort Gardone Riviera als gesundheitsförderlich empfahl. Insbesondere bei Atemwegserkrankungen und Nervenleiden riet er zur Erholung am Gardasee. Seit der Österreicher Ludwig Wimmer (der es 1881 zum Bürgermeister von Gardone brachte) das erste Grandhotel erbaut hatte, blühte hier ein freilich elitärer Tourismus. Wer zum Gardasee kam, war wohlhabend. Manchen Besuchern gefiel es am Ort so gut, dass sie gleich den ganzen Winter hier verbrachten. Wer es sich leisten konnte, baute seine eigene Villa und legte einen Garten an, wie man ihn zu Hause kaum hätte erblühen lassen können.

Es kamen so viele Kurgäste aus Norddeutschland und sogar aus dem fernen Skandinavien, dass es schließlich geboten schien, zur spirituellen Unterstützung des Kurerfolgs einen Geistlichen zu entsenden. Denn dieser paradiesische Flecken besaß alles außer protestantischen Pfarrern. Zunächst musste die deutsche Fachkraft im Speisesaal des Hotels „Villa Aurora“ Gottesdienste halten, bis 1897 die einen Steinwurf vom Grandhotel in Gardone Riviera gelegene deutsche evangelische Kirche fertig wurde.

Rund zwanzig Jahre später entstand auch eine deutsche Schule an der Zitronenriviera. Sie gibt es nicht mehr, doch in Gardone Riviera besteht bis heute eine kleine, aber lebendige Gemeinde unter Leitung von Pfarrer Manfred Otterstätter. Rund zwanzig Deutsche treffen sich jeden Sonntag zum Gottesdienst und anschließendem Morgenkaffee mit Blick auf Pinien und Zypressen.

Die meisten Gemeindemitglieder sind Frauen, viele leben bereits seit Jahrzehnten in Italien. Meist kamen sie aus romantischen Gründen. Zwar hielten nicht alle der deutsch-italienischen Ehen, doch die Liebe zum Gardasee überdauerte alle persönlichen Krisen. „Für mich ist dies Heimat“, erklärt Kirchenvorstand Heide Lehrs. Mit 25 Jahren kam sie aus Wiesbaden nach Italien, ihres späteren Mannes wegen. Das ist nun vierzig Jahre her. Und obwohl ihre Kinder und Enkel in Deutschland leben, kam sie nie auf die Idee, aus dem Süden fortzuziehen.

Ebba Rathert träumte schon als Kind vom Gardasee, reiste später her und ließ sich dann für Jahre in Mailand als Designerin nieder. „Irgendwann hatte ich keine Lust mehr aufs Leben in der Stadt und beschloss, in die Natur zurückzukehren“, erklärt sie. Heute betreibt sie in Gardone eine Schneiderei. Die Auftragslage ist gut. Auch André Heller gehört zu ihren Kunden. Einige Anzüge hat sie für ihn genäht. 1988 hatte der Chansonnier und Kulturmanager den Botanischen Garten in der Nähe gekauft und sich dort ein Domizil eingerichtet.

Der Schriftsteller H.-J. Fröhlich verliebte sich in die Zitronenküste

Anna Katharina Fröhlich in ihrem mediterranen Garten.
Anna Katharina Fröhlich in ihrem mediterranen Garten.

© Stefanie Bisping

Nur die Natur, die Ebba Rathert hier am meisten fasziniert, sieht sie heute bedroht: wenn etwa diskutiert wird, für den Bau neuer Luxuswohnungen einen Berg am See abzutragen. „Viele Menschen haben einfach keinen Respekt vor der Landschaft", erklärt auch die Schriftstellerin Anna Katharina Fröhlich. Man ahnt, dass sie gerne stärkere Worte wählen würde für das, was sie als Angriff auf ihr persönliches Paradies empfindet: ungezügelte Bauvorhaben. Sie sitzt in ihrem Garten in den Hügeln. Irgendwo gackern Hühner, von der Küstenstraße ist nichts zu hören. So verwunschen ist dieser Flecken Erde, dass allein die Tatsache, dass unter dem Grundstück ein Golfplatz liegt, irritieren könnte – wäre es nicht der zweitälteste Italiens und zudem ein Garant dafür, dass dieser Ausblick wohl auch in Zukunft unverbaut bleiben wird.

Anna Katharina Fröhlichs Liebe zum Land am See ist riesig. „Oben ist das Land karg, es gibt keine Olivenbäume, keine Zypressen – und das Seeufer unten ist so lieblich und mediterran“, schwärmt die schlanke blonde Frau. Der See, der sie an einen Fjord erinnert, vereine die schönsten Seiten von Nord und Süd in sich und sei zugleich unendlich vielseitig. „Er hat so viele Gesichter und so viele Seelen, dass man sich hier in die unterschiedlichsten Landschaften träumen kann“, erklärt Fröhlich. Ihrer glühenden Liebe zum Gardasee hat sie in ihrem Roman „Wilde Orangen“ ein Denkmal gesetzt. „Im Frühling, wenn die Erde aufspringt und alles knospt, über dem See Dunst liegt und die Krähen kreischen, fühle ich mich hier manchmal sogar wie in Indien.“ Die 41-Jährige lebt seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr am See. Er hat sie geprägt.

Vor genau 43 Jahren fuhr ihr Vater, der deutsche Schriftsteller Hans-Jürgen Fröhlich (1932-1986), mit ihrer Mutter in die Villa Massimo nach Rom. Auf dem Weg machten die beiden Halt am Gardasee, verliebten sich auf der Stelle in die „Riviera dei Limone“, die Zitronenküste. Sie überlegten nicht lange und kauften eine alte Scheune mit Stall in den Hügeln von Toscalano. Jahrzehnte dauerte es, die beiden Ruinen am Hang in schön restaurierte Gebäude zu verwandeln, von denen eines heute Anna Katharina Fröhlich mit ihrer Familie, das andere ihre Mutter bewohnt. Sie pflegen einen Kräutergarten, halten Hühner, Hahn, Ziegen und Hund Taomino und haben sich ein Refugium voller berückender Aussichtspunkte auf den See geschaffen.

Trotzdem verlässt Anna Katharina Fröhlich gelegentlich ihr Heim. Der kleine Hafen von Villa und der von Eichen und Zypressen beschattete Strand neben der Villa Feltrinelli in Gargnano – ursprünglich Sitz des gleichnamigen Papierfabrikanten, in den letzten beiden Kriegsjahren das Domizil Mussolinis und heute ein Grandhotel – besitzen für sie besonderen Zauber. Ein Leben jenseits des Gardasees ist für sie unvorstellbar. „Auch wenn die Winter lang und einsam sein können. Da braucht man eben viele gute Bücher.“

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