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Sarah Hegazi 2017 auf einem Konzert mit der Regenbogenfahne  - danach wurde sie verhaftet.

© Hamed Zane Sinno/Facebook

Trauer um die ägyptische LGBT-Aktivistin: Sarah Hegazi wurde verhaftet und gefoltert, weil sie eine Regenbogenfahne schwenkte

2017 zeigte die queere Aktivistin Sarah Hegazi bei bei einem Konzert in Kairo Unterstützung für einen schwulen Sänger. Jetzt ist sie gestorben.

Vor der ägyptischen Botschaft in Beirut stehen am Montagabend Kerzen. Einige Menschen haben sich versammelt und hängen eine Regenbogenflagge sowie die Bilder einer jungen Frau auf.

Tritt man ein Stück zurück, dann ergeben die vielen Teelichter gemeinsam ein Wort: Sarah.

Die ägyptische LGBTIQ* Aktivistin Sarah Hegazi wurde 2017 festgenommen, nachdem sie auf einem Konzert der Band Mashrou‘ Leila in Kairo die Regenbogenflagge geschwenkt hatte - das Symbol der LGBTIQ* Bewegung.

Das Schwenken der Fahne: "Ein Akt der Unterstützung"

In einem Interview mit National Public Radio nannte sie das Schwenken der Fahne „einen Akt der Unterstützung und Solidarität" - und zwar mit dem offen schwulen Sänger von Mashrou‘ Leila, und auch "für alle die unterdrückt werden.“

Sie sei stolz gewesen, die Flagge zu halten und hätte eine derartige Reaktion von Seiten des ägyptischen Staates nicht erwartet: „Für die war ich kriminell - jemand, der versuchte, die moralischen Strukturen der Gesellschaft zu zerstören.“

In den darauffolgenden Wochen wurden laut Medienberichten zwischen 50 und 75 Menschen festgenommen und weitere Auftritte der libanesischen Indie-Rock Band Mashrou‘ Leila verboten. Es wurde behauptet, dass es sich bei der Musik um „abnormale Kunst“ handle.

Zuhörer der libanesischen Gruppe Mashrou Leila halten beim Konzert 2017 in Kairo eine Regenbogenfahne in die Höhe.
Zuhörer der libanesischen Gruppe Mashrou Leila halten beim Konzert 2017 in Kairo eine Regenbogenfahne in die Höhe.

© Benno Schwinghammer/dpa

Im Gespräch mit der britischen Zeitung "Guardian" berichtete Leadsänger Hamed Sinno, dass die Band im Anschluss an das Konzert Morddrohungen und Hassnachrichten erhalten habe. Die Band solidarisierte sich in der Vergangenheit immer wieder mit LGBTIQ*-Communities in arabischen Ländern.

Im Libanon und in Ägypten etwa, wo es immer noch gefährlich ist, von heteronormativen Wertevorstellungen abzuweichen, hat die international bekannte Band queerer Kultur damit zu mehr Sichtbarkeit verholfen.

Sarah Hegazi war eine der wenigen Frauen, die festgenommen wurde

Unter den Menschen, die im Anschluss an das Konzert festgenommen wurden, war auch die damals 28-jährige Sarah Hegazi. Medienberichten zufolge war sie die einzige Frau - oder zumindest eine der wenigen Frauen -, die verhaftet wurden.

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In einem Gespräch mit der "Deutschen Welle" schilderte Hegazi, dass die Verhaftung brutal und unter Einsatz eines Elektroschockers verlaufen sei. Ihr wurde unter anderem vorgeworfen, einer illegalen Gruppe beigetreten zu sein und „sexuelle Abweichungen“ zu fördern. Der libanesischen Nichtregierungsorganisation Afemena zufolge wurde sie im Gefängnis körperlich und psychisch misshandelt.

"Das Gefängnis tötete mich"

Später sagte Hegazi: „Das Gefängnis tötete mich. Es hat mich zerstört.“ Sie habe aus der Zeit im Gefängnis schwere posttraumatische Belastungsstörungen davongetragen.

Nachdem sie im Januar 2018 schließlich entlassen wurde, verließ sie Ägypten und lebte seither im Exil in Kanada - weit weg von ihrer Heimat, ihrer Familie und ihren Freund*innen.

Am Montag wurde nun bekannt, dass Sarah Hegazi Suizid begangen hat. In einem handschriftlichen Brief, der unter anderem von der Instagram Seite Artqueerhabibi geteilt wurde, und der Hegazi zugeschrieben wird, heißt es: „An meine Geschwister, ich habe versucht zu überleben, aber ich habe es nicht geschafft. Verzeiht mir. An meine Freunde, der Weg war grausam und ich bin zu schwach, um Widerstand zu leisten. An die Welt, du warst schrecklich grausam, aber ich vergebe dir.“

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Homosexualität ist in Ägypten zwar offiziell nicht verboten. Dennoch gehen staatliche Institutionen immer wieder gegen queere Menschen vor - zum Teil mit brutalen Mitteln. Auch in großen Teilen der Gesellschaft wird das Thema tabuisiert. Queeren Menschen wird zum Beispiel „Förderung von Ausschweifungen“ oder „Blasphemie“ vorgeworfen. Sie werden verhaftet und zum Teil misshandelt.

2019 wurden fast 100 Festnahmen von queeren Menschen in Ägypten dokumentiert

Allein im vergangenen Jahr dokumentierte eine Kairoer LGBTIQ*-Organisation mindestens 92 Festnahmen von LGBTIQ* Menschen in Ägypten. Einige erfolgten wahllos auf offener Straße, andere gezielt mithilfe von Dating-Apps. 

Die ägyptische Regierung erkennt die Existenz von LGBTIQ* Menschen bis heute nicht an. Erst Anfang März weigerte sie sich, die Empfehlungen zahlreicher Staaten der Vereinten Nationen umzusetzen und Diskriminierung und Festnahmen aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu beenden. Einem Bericht von Human Rights Watch zufolge erwiderte die Regierung lediglich, dass sie die Begriffe in den Empfehlungen nicht erkenne.

Traumatisiert von der Folter

In den Sozialen Netzwerken würdigen viele Aktivist*innen Sarah Hijazi nun unter dem Hashtag #RaiseTheFlagForSarah.

So schrieb Sarah Leah Whitson, ehemalige Leiterin von Human Rights Watch Middle East und Nordafrika, auf Twitter: „Ich habe Sara Hegazy kürzlich in Kanada getroffen. Sie hatte eindeutig Schmerzen, war traumatisiert von der Folter, dem Leiden und war von ihrem Land getrennt, aber wollte unbedingt ein neues Kapitel aufschlagen. Es war zu viel, um es zu ertragen. Damit niemand Zweifel hat, die ägyptische Regierung hat sie getötet.“

Mahnwache für Sarah Hegazi in Beirut.
Mahnwache für Sarah Hegazi in Beirut.

© Sultana

Auch in der libanesischen Hauptstadt rief die Organisation Afemena, die sich für Geschlechtergleichheit einsetzt, am Montagabend dazu auf, gemeinsam Kerzen vor der ägyptischen Botschaft anzuzünden und Sarah Hegazi zu gedenken. Rund 20-30 Menschen versammelten sich laut Augenzeugenberichten vor dem Gebäude, schrieben Solidaritätsbekundungen an die Wand und hängten Bilder auf.

Unter ihnen die libanesische Drag Queen und Aktivistin Sultana: „Es ist wichtig, Solidarität zu bekunden und diesen patriarchalen Strukturen zu zeigen, dass wir existieren, dass wir nicht weggehen und dass ihre Verbrechen nicht ungeachtet bleiben.“ Es sei wichtig, anderen queeren Menschen zu zeigen, dass es eine Community gebe, die sie liebe und unterstütze. 

Die Mahnwache durfte nur 23 Stunden bestehen

Dass die Schriftzüge, Bilder und Kerzen wenige Stunden später bereits entfernt worden seien, schockierte Sultana: „Nicht mal 23 Stunden konnten sie die Mahnwache stehen lassen!“

Dennoch: „Sara Hegazy ist eine Heldin für viele und wird genauso in Erinnerung bleiben. Ich bin froh, dass die Welt ihren Fall anhört, denn es gibt so viele ungehörte und unbekannte Fälle.“

Haben Sie dunkle Gedanken? Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können.
Der Berliner Krisendienst ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern variieren nach Bezirk, die richtige Durchwahl für Ihren Bezirk finden Sie hier.
Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de

Inga Hofmann

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