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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU, l.) mit US-Botschafter Richard Grenell (l.) und Jörg Steinert vom LSVD.

© Tsp

Update

Streit um Regenbogenflagge in Spandau: Bürgermeister stellt sich hinter Frauenbeauftragte

"Unerträglicher Shitstrom": Im Streit um die Flaggenhissung in Spandau stellt sich der Bürgermeister hinter seine Frauenbeauftragte. Die Kritik am LSVD-Geschäftsführer wächst.

Im Streit um die für 4. Juli geplante Hissung der Regenbogenflagge am Rathaus Spandau hat sich Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank hinter die Gleichstellungs- und Frauenbeauftragte des Bezirks gestellt. In einer Pressemitteilung sprach der SPD-Politiker von einem "unglaublichen Shitstorm" gegen Juliane Fischer: "Das ist unerträglich und ein Armutszeugnis für alle, die sich daran beteiligen". Statt einer sachlichen Debatte gehe es dabei um "Ausgrenzung, Beleidigung, Unterstellung, üble Nachrede". Er fordere jeden auf, sich daran nicht zu beteiligen. Das Rechtsamt des Bezirks werde jeden Fall mit strafrechtlicher Relevanz zur Anzeige bringen.

Zugleich lud Kleebank Jörg Steinert, den Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) Berlin, zu einem "vertraulichen Gespräch" ein, um den Konflikt zu besprechen und aus der Welt zu schaffen. Steinert hatte die Gleichstellungsbeauftragte wegen kritischer Nachfragen in einer internen Mail im Vorfeld der Flaggenhissung angegriffen. Kleebank erklärte nun, er betrachte den LSVD als "natürlichen Verbündeten, weil wir die gleichen Ziele verfolgen. Mir ist also eine gute Zusammenarbeit mit dem LSVD Berlin-Brandenburg außerordentlich wichtig." Streit helfe niemandem.

Steinert bestätigte gegenüber dem Tagesspiegel die Gesprächseinladung, fügte jedoch hinzu, "dass ein Termin bedauerlicherweise noch nicht fest steht".

Der Rücktritt des LSVD-Geschäftsführer wurde gefordert

Der Streit hatte zuletzt an Schärfe zugenommen, auch innerhalb der queeren Szene. Alfonso Pantisano, Mitglied des Bundesvorstands des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD), hatte am Dienstag auf seinem privaten Facebook-Account Steinert aufgefordert „sofort seinen Posten zu räumen“.

Der Bundesverband distanzierte sich ebenfalls von dem Vorgehen seiner Berliner Abteilung, ohne jedoch explizit den Abgang Steinerts zu fordern. Der Bundesverband "bedauere" die öffentliche Auseinandersetzung, es seien dabei programmatische Grundsätze des LSVD "verletzt" worden, erklärte ein Sprecher am Mittwoch auf Anfrage. Der LSVD ist die größte Interessensvertretung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in Deutschland - dass der Bundesverband sich derart von einem Landesverband abgrenzt, kommt äußerst selten vor.

Was war zuvor passiert? Es geht um die Flaggenhissung, bei der Steinert als Geschäftsführer des Berliner LSVD eigentlich eine Rede halten sollte. Doch in der vergangenen Woche begann ein Streit zwischen ihm und Juliane Fischer, der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Bezirksamts Spandau. Hintergrund ist ein Foto von Steinert, das ihn 2018 bei einem Straßenfest des LSVD Arm in Arm mit dem schwulen US-Botschafter Richard Grenell und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigt und das 2018 entstanden ist. Grenell steht für die Werte von Donald Trump, die wiederum in LGBTI-Kreisen schwer umstritten sind - schließlich hat Trump in seiner Amtszeit LGBTI-Rechte beschnitten.

Hintergrund: Ein Foto mit US-Botschafter Grenell

Fischer sollte den urlaubenden Bürgermeister Kleebank vertreten und die Flagge mit Steinert hissen. Vorab wollte sie aber von dem LSVD-Funktionär in einer internen Mail eine Erklärung unter anderem dafür haben, weshalb er sich mit dem umstrittenen US-Botschafter habe ablichten lassen, der selbst bei den US-Republikanern als sehr rechts eingestuft werde. Steinert warf Fischer daraufhin öffentlich, unter anderem im Tagesspiegel, vor: „Ihr Demokratieverständnis ist empörend.“ Er habe mit Grenell, der Gesundheitsminister Spahn begleitet habe, lediglich wenige Sätze gewechselt.

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Das entsprechende Foto mit Grenell hatte bereits im vergangenen Jahr eine Kontroverse ausgelöst. Ein anderer schwuler Funktionär, der Geschäftsführer der Hirschfeld-Bundesstiftung, hatte sich für ein ähnliches Foto mit dem US-Botschafter im Nachhinein entschuldigt.

Pantisano schreibt nun auf Facebook direkt an Steinert gerichtet: „Ja, Du darfst Dich gerne mit dem aktuellen amerikanischen Botschafter treffen und Dich mit ihm fotografieren lassen: Nebeneinander, von mir aus gerne lächelnd und händeschüttelnd. Aber nicht fraternisierend und indem Du dich von ihm in Arm nehmen lässt. Schon gar nicht bei einem offiziellen Anlass oder mit dem Logo des LSVD im Hintergrund.“

Vor allem stört Pantisano aber, dass Steinert die AfD in diese Auseinandersetzung einbezogen und diese Partei um „support“, also Unterstützung, gebeten habe. Pantisano empfindet das als "abscheulich“.

LSVD-Geschäftsführer schrieb auch an AfD-Stadtrat

Pantisano bezieht sich bei diesem Vorwurf offenbar auf die Mail Steinerts an Fischer, in der er sich empört gegen die Fragen wehrt. In dieser Mail wollte er auch wissen, ob die Gleichstellungsbeauftragte für sich oder für das ganze Bezirksamt spreche. Im Verteiler dieser Mail waren auch die Spandauer Bezirksstadträte. Einer dieser Stadträte ist Andreas Otti von der AfD, verantwortlich für Facility Management, Umwelt- und Naturschutz. Über die Adressaten der Mail hatte als erstes das Magazin "blu" berichtet.

Tatsächlich hat die Spandauer AfD aus dem Fall prompt eine schriftliche Anfrage im Rathaus gemacht. Darauf ging auch der LSVD-Bundesverband am Mittwoch ein. In den programmatischen Grundsätzen, die der gesamte LSVD 2018 beschlossen habe, werde ausdrücklich betont: „Angesichts der bedrohlichen nationalistischen und LSBTI-feindlichen Mobilisierung braucht es Zusammenhalt aller emanzipatorischen Kräfte. Daher werben wir für eine solidarische interne Diskussionskultur, die Kritik und Widersprüche aushält“, teilt der LSVD-Sprecher mit: "Wer der AfD Futter liefert, verletzt diese Grundsätze eindeutig."

Steinert wollte von den Stadträten die politische Linie des Bezirksamt erklärt bekommen

Steinert erklärt, er habe die Stadträte einbezogen, weil sie für die politische Leitung des Bezirks stünden und klären könnten, ob Fischers Linie auch die der Bezirksamts sei. Ohne offizielle Einladung des Bezirksamts und ohne Entschuldigung von Juliane Fischer will kein Vertreter des LSVD zur Flaggenhissung kommen.

Pantisano betonte gegenüber dem Tagesspiegel, dass er nicht für den Bundesvorstand des LSVD spreche. Das Gremium hatte in einer Pressemitteilung mitgeteilt, es bedauere die öffentliche Auseinandersetzung Steinerts mit Juliane Fischer. „Für uns als Bundesvorstand gehört zur Professionalität und gutem Stil, immer zuerst das persönliche Gespräch zu suchen und auch auf vielleicht als unberechtigt empfundene Kritik souverän und verantwortungsvoll zu reagieren, vor allem wenn die Kommunikation im bilateralen, nicht-öffentlichen, Mailverkehr gesucht wurde. Nach unserer Ansicht ist das hier zum Schaden aller Beteiligten versäumt worden.“ Dies sei dem Vorstand des LSVD Berlin-Brandenburg sowie Jörg Steinert mitgeteilt worden.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hisst mit der BVG-Vorstandsvorsitzenden Sigrid Evelyn Nikutta und LSVD-Landesgeschäftsführer Jörg Steinert (l) die Regenbogenflagge am Berliner Rathaus.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hisst mit der BVG-Vorstandsvorsitzenden Sigrid Evelyn Nikutta und LSVD-Landesgeschäftsführer Jörg Steinert (l) die Regenbogenflagge am Berliner Rathaus.

© Lisa Ducret/dpa

In direkter Reaktion auf die Vorwürfe von Pantisano beschloss der Vorstand des LSVD-Landesverbands Berlin-Brandenburg seinerseits „mit dem Bundesvorstand das Gespräch zu suchen. Dabei wird es auch um die Vorwürfe und die Kommunikation von Pantisano gehen.

Die LSU unterstützt Steinert

Steinert hat aber auch Unterstützer, die seine Haltung stärken. Zu diesen Unterstützern gehört der Berliner Landesverband der Lesben und Schwulen in der Union (LSU). Sein Vorsitzender Mario Röllig teilte in einer Presseerklärung des LSU mit: „Urplötzlich soll der Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, Jörg Steinert, einen Fragekatalog zur Verbandsarbeit und zu seinen persönlichen Einstellungen beantworten.

Eine solche Gesinnungsschnüffelei ist skandalös“, schrieb Röllig im Namen seines Verbands. „Auch von mir gibt es solche Fotos, weil Richard Grenell beispielsweise den Stand der LSU beim letzten schwul-lesbischen Stadtfest in Schöneberg besucht hat. Ist jetzt auch die LSU in Spandau unerwünscht?“ Auch die Schwusos, die Schwulen in der SPD, unterstützen Steinert.

Zurücktreten im Übrigen könnte Steinert gar nicht. Er besetzt kein Wahlamt. Als Geschäftsführer ist er Angestellter des Landesverbands. Entlassen könnte ihn nur der Landesverband selber. Und freiwillig will er seinen Job nicht aufgeben.

Kritik am LSVD Berlin-Brandenburg hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. So fühlen sich viele Lesben seit dem Streit um die Erinnerungskultur um lesbische NS-Opfer nicht mehr von dem Verband vertreten - was Juliane Fischer in ihrer Mail an Steinert übrigens ebenso thematisierte wie die Arbeitsbedingungen im LSVD. Aus Brandenburg heißt es, dort sei der LSVD praktisch gar nicht präsent - die Kärrnerarbeit in den Kommunen werde anderen überlassen. Steinert weist diesen Vorwurf entschieden zurück. Dem Tagesspiegel erklärte er : "Dieser Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. Wir haben eine sehr engagierte Projektleiterin in Brandenburg."

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