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Demonstrant*innen erinnern daran, dass trans Rechte Menschenrechte sind.

© Imago

Sterilisation von trans Menschen: „Ein Entschädigungsfonds wäre mehr als angebracht“

Vor zehn Jahren wurde der seit 1981 vorgeschriebene OP- und Sterilisationszwang für trans Menschen für verfassungswidrig erklärt. Charlie V. hat damals dafür gekämpft.

Charlie V., 55, der hier anonym bleiben möchte, gehörte einer Gruppe von Aktivist*innen an, die gegen den Sterilisationszwang vorgegangen sind.

Können Sie kurz erzählen, wie damals die Lage war?
Wenn man seinen Personenstand ändern wollte, musste man sich sterilisieren oder das Geschlecht angleichen lassen. Daran führte kein Weg vorbei. Damals war ich in einer Arbeitsgruppe tätig, da ich zur selben Zeit eine Transition durchgeführt habe. Ich wollte keine geschlechtsangleichende Operation durchführen, was den unteren Teil angeht.

Sie haben sich also nicht sterilisieren lassen oder ihr Geschlecht angleichen lassen?
Um das juristisch durchzubekommen, damit ein männliches Pronomen im Pass steht, mussten diese Eingriffe durchgeführt werden. Ich habe mich nicht sterilisieren lassen und trotzdem etwa 2009 einen Antrag auf Personenstandsänderung beim Amtsgericht gestellt.

Anschließend kam ein Schreiben, dass ich mich hätte operieren lassen müssen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich von der Arbeitsgruppe. Genau in diesem Prozess wurde dann das Gesetz gekippt und ich hatte das Glück, dass ich mich nicht zwangsoperieren lassen musste.

Was hat es in Ihnen ausgelöst, dass es den Zwang vor der Gesetzesänderung gab?
Insgesamt war der ganze Prozess schon sehr aufwendig, mit den Gutachten und der Psychotherapie. Zwei Jahre lang musste ich Unterlagen sammeln. Meine Stimme war noch total piepsig. Letztendlich habe ich überlegt, ob ich mich operieren lasse oder nicht. Ich wollte mir das immer offen halten.

[Dieses Interview ist eine Leseprobe aus dem Tagesspiegel-Newsletter Queerspiegel, der monatlich, immer am dritten Donnerstag erscheint. Hier kostenlos anmelden]

Zu dem Zeitpunkt war ich schon Mitte 40. Kinder waren also kein Thema mehr. Sorge hat mir hingegen gemacht, dass ich mir die Gebärmutter und Eierstöcke hätte entfernen lassen und dadurch mein Leben lang Medikamente hätte nehmen müssen – also Testosteron. Das bringt weitere Fragen mit sich: Wie entwickelt sich eine Gesellschaft? Die Politik? Gehen irgendwann die Medikamente aus?

Bin ich vielleicht lange im Ausland, in Afrika, und habe keine Medikamente parat? Was passiert dann? Man sieht an der politischen Entwicklung in den letzten Jahren, wohin das führen kann. Vor elf Jahren war die Situation anders. Was ich aber in der Hose habe oder nicht, das geht niemanden etwas an – nur mich und meinen Partner oder meine Partnerin.

Charlie V. entging dem Paragrafen nur knapp.
Charlie V. entging dem Paragrafen nur knapp.

© privalt

Welche Veränderungen nehmen Sie in den letzten zehn Jahren wahr?
Ich bin politisch gar nicht mehr so aktiv. Aber ich nehme es so wahr, dass die Situation für trans Menschen etwas einfacher geworden ist. In der Gesellschaft habe ich keine Probleme mit Diskriminierung, aber ich bekomme Diskriminierung mit. Die finde ich mal schlimmer und mal weniger schlimm.

Menschen gehen viel offener mit Transsexualität um. Das stößt momentan noch oft auf Ablehnung in der Heteronormativität. Ich glaube, dass dadurch Angst entsteht und durch Angst entstehen Gewalt und Diskriminierung.

Wie stehen Sie zum Thema Entschädigung? Die Grünen fordern zum Beispiel, dass trans Menschen aufgrund der Gesetzeslage entschädigt werden. 
Schweden hatte Deutschland 2018 im UN-Menschenrechtsrat eine entsprechende Empfehlung gegeben. Die Bundesregierung erklärte, sie sehe ”keinen Bedarf” für einen Entschädigungsfond

Die Niederlande ziehen jetzt nach. Was sagt uns das über unser Land aus? Ein Entschädigungsfonds wäre mehr als angebracht. Für die erzwungene Kinderlosigkeit und für die Entwertung, die wir von staatlicher Seite erfahren mussten. Nirgendwo hat sich Entwertung deutlicher gezeigt als im Transsexuellengesetz.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche jeder trans Person, dass sie leben kann, wie sie möchte. So wie ich auch. Ich habe im Alltag keine Probleme. Ich bin als Architekt beschäftigt. Niemand weiß, dass ich trans bin. Dadurch werde ich nicht diskriminiert. Ich wünsche mir aber schon, dass ich offen leben könnte. Ich bin ein Schisshase. Es ist leichter, mich zu verstecken.

Aber es wäre toll, wenn die Gesellschaft offener und toleranter wäre. Dann würde es mir auch leichter fallen, mich zu zeigen. Ich werde immer Menschen verteidigen, wenn sie diskriminiert werden. Wenn es um gendergerechte Toiletten geht, zum Beispiel. In Flugzeugen, in der Deutschen Bahn und auch in Schweden bekommt man es hin. Ich verstehe den Sinn der Trennung nicht.

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