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Jugendliche in Trier und Göttingen setzten sich in ihren Schulen für mehr queere Sichtbarkeit und Akzeptanz ein

© Queerspiegel

Queeres Leben auf dem Land: Regenbogen-Power für die Dorffeuerwehr und den Schützenverein

Schul-AGs, Beratungsstellen, Projekte - beim Fachgespräch „Queeres Land in Sicht!?“ wird die Vielfalt ländlicher LGBTI-Initiativen deutlich – und die Defizite.

Die Frage nach der Situation queerer Menschen aus dem ländlichen Raum stand Ende vergangener Woche im Zentrum der Digital-Veranstaltung „Queeres Land in Sicht!?“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren und Frauen. Queere Gäste aus unterschiedlichen Orten Deutschlands gaben dabei einen Einblick in ihre Lebensrealität und erzählten von ihrer Arbeit bei Organisationen und Initiativen, die sich für mehr LGBTI-Sichtbarkeit auf dem Land einsetzen. Ebenfalls zu Gast war der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann.

Im Fokus des Fachgesprächs standen unter anderem die Erfahrungen queerer Jugendlicher in der Schule. Diese sei auf dem Land angesichts mangelnder Freizeitmöglichkeiten für LGBTI-Personen „die beste Möglichkeit, Raum für Queerness zu schaffen, weil ja jeder hingeht“, so Sophia Blaha vom Gymnasium Konz nahe Trier. Blaha hatte 2020 die AG „Queercomm“ mitgegründet, um LGBTI-Schüler*innen eine Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen und sich in einer verständnisvollen Umgebung mit ihrer eigenen Queerness auseinanderzusetzen.

An Schulen fehlen queere Vorbilder

Mittlerweile berichtet die Gruppe in einem eigenen Blog über ihren Alltag und macht auf queere Veranstaltungen und Jahrestage aufmerksam. „Am Anfang waren viele skeptisch, auch einige der Lehrer*innen. Es gab auch viele Vorurteile. Manche haben geglaubt, dass das eine Selbsthilfegruppe wäre“, erzählte Darina Starodumova aus der Initiative. Die Skepsis hätte sich aber mehr und mehr gelegt, und die Gruppe bekam immer mehr Zulauf. Es gäbe aber nach wie vor Widerstände, auch homo- und transfeindliche Beleidigungen seien auf dem Schulflur oder in den Klassen noch öfter zu hören.

Darina Starodumova und ihre Freund*innen haben 2020 die Schul-AG "queercomm" gegründet
Darina Starodumova und ihre Freund*innen haben 2020 die Schul-AG "queercomm" gegründet

© Queerspiegel

Helfen würden es, mehr queere Themen im Unterricht zu behandeln, auch in Fächern wie Geschichte und Deutsch, und die Lernmaterialien diverser zu gestalten „Warum können bei Matheaufgaben nicht zwei Frauen in den Supermarkt gehen und Äpfel kaufen“, fragte eine der Schüler*innen.  Die Jugendlichen sind sich auch darin einig, dass es mehr festangestellte und professionell ausgebildete Ansprechpartner*innen an Schulen geben müsse – seien es Lehrer*innen, Psycholog*innen oder Queer-Beauftragte.

„Mir hätte es viel geholfen, hätte ich einen queere Lehrer*in gehabt. Als Ansprechperson, aber auch, um zu sehen, dass queere Menschen ganz normale Jobs und ein ganz normales Leben haben“, erklärte Blaha.

Sven Lehmann lobte die Schüler*innen für ihre „unglaublich wichtige, politische Arbeit“ und kündigte an, dass er im Sommer ein Treffen mit dem Ministerium und Schul- und Interessenvertreter*innen zum Thema Queerness im Schulunterricht plant. Die Ideen und Kritikpunkte der Schüler*innen habe er sich notiert.

Mehr queere Schutzräume, Ausbau des Nahverkehrsnetzes

Neben der queerer Repräsentation an Schulen wurde auch über LGBTI-Unterstützungsstrukturen auf dem Land diskutiert. Ein wichtiger Teil der regionalen Aufklärungs- und Beratungsarbeit sei es, LGBTI-Themen in etablierte Organisationen und Verbände wie etwa der Dorffeuerwehr oder dem Schützenverein einzubringen, erzählte Silvia Rentzsch, welche die Organisation „Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland“ leitet und sich für die Interessen inter, nicht-binäre und trans Menschen einsetzt.

„Warum sollten INTA*-Personen ihre Heimat verlassen müssen, wenn sie sich dort wohl und zuhause fühlen? Das ist doch nicht zielführend. Ich suche mit den betreffenden Personen lieber nach konkreten Möglichkeiten, wie sie ihre Geschlechtsidentität in ihren Alltag und bei Bekannten und Freund*innen thematisieren können.“

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Dennoch würden Rentzsch und die anderen Gäste Abwandlungen des Satzes „Solche Leute haben wir hier nicht“ nach wie vor regelmäßig hören. „Solche Aussagen verstärken die Unsicherheit und Isolation queerer Menschen auf dem Land und führen zu einer Unsichtbarkeitsspirale, die sich nur schwer durchbrechen lässt“, erklärte Manuela Tillmann, die mit dem Projekt „Que(er) durch Sachsen“ mobile Beratungsarbeit leistet.

Ein Hauptbestandteil ihrer Arbeit sei es deshalb nach wie vor, durch Ausstellungen oder Stände Sichtbarkeit zu schaffen. Und das wirkt: Viele LGBTI-Personen, die sich an Tillmann wenden, seien durch diese Stände oder Mund-Propaganda auf sie aufmerksam geworden.

Dennoch sei es wichtig, neben queeren (Schutz-)Räume auch das Nahverkehrsnetz Prund die Gesundheitsfürsorge auszubauen, sodass LGBTIQs mehr Veranstaltungen und präventive Angebote wahrnehmen können, die es bisher vor allem in größeren Städten gibt.

Auch online könnte man Beratungsangebote schaffen und Interessierten einen gesammelten Überblick über queere Projekte, Veranstaltungen und Organisationen bieten, schlägt Benedikt Linke vor, der innerhalb der Hessischen Landjungend eine Queer AG gegründet hat. So werde den Leuten die erste Hürde – überhaupt erst Angebote in der Nähe zu finden – genommen.

Zu Gast waren überdies noch Podcast-Host Fabian Schrader, der in “Somewhere over the Hay Bale” auf dem Land lebende LGBTI-Personen interviewt, Chris Hess von „Queer in Niederbayern“ und Schüler*innen aus dem Hainberg-Gymnasium in Göttingen.

Jasmin Ehbauer

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