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Stefan Mehnert arbeitet als Projektleiter im Sonntags-Club.

© Jana Demnitz

Queere Institution in Prenzlauer Berg: Der Sonntags-Club wird 50

Als Wohnzimmer im Kiez ist der Sonntags-Club bei queeren Menschen beliebt. Hier wird gefeiert, beraten und geflirtet. Ein Besuch zum runden Geburtstag.

Alles begann mit einer Zechprellerei. Zumindest für Stefan Mehnert. Anfang der Nullerjahre führte ihn eine Annonce in der „Siegessäule“ mitten in den Prenzlauer Berg. Im Sonntags-Club gab es ein Treffen für Schwule und Lesben in den 30ern. „Das war eine sehr coole Gruppe. Ich wusste, ich werde nächste Woche wiederkommen“, erinnert sich der 57-Jährige. Vor Aufregung vergaß er seine Getränke zu bezahlen. Das holte er später nach.

Seit 2004 arbeitet Stefan Mehnert im Sonntags-Club, der derzeit sein 50-jähriges Bestehen feiert. Zum Interviewtermin führt er erst einmal durch die verwinkelten Räumlichkeiten. Was früher eine Bibliothek war, ist heute mit Café, Bühne, Besprechungs- und Büroräumen in der Greifenhagener Straße eine feste Größe im Kiez. Mit den roten Ledermöbeln, den Stehlampen und dem Klavier in der Ecke empfinden viele den Sonntags-Club als „Wohnzimmer“. Auch wenn dieses „Wohnzimmer“ nach fast 25 Jahren an diesem Standort etwas „abgerockt“ ist, wie Mehnert selbst den Zustand beschreibt. Größere, schallisolierte und behindertengerechte Räumlichkeiten an einem anderen zentralen Ort könnte er sich in den nächsten Jahren schon vorstellen.

Offenheit als Markenzeichen

Was den Projektleiter des Vereins für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und inter Personen schon damals hier begeisterte – die Offenheit allen queeren Menschen gegenüber. Und: dass man nicht gleich angebaggert wurde. „Es hatte ein anderes Flair. Man konnte mit den Leuten an einem Tisch sitzen, ohne dass es gleich darum ging, mit wem ich abends nach Hause gehe“, erzählt Stefan Mehnert. Und diese Offenheit zeichnete den Sonntags-Club von Beginn an aus.

In Ost-Berlin beheimatet, gab es dort keine der Auseinandersetzungen, die in der Lesben- und Schwulenszene in West-Berlin in den 70er und 80er Jahren mitunter vorkamen. In der DDR wurde zwar schon 1968 der Paragraf 175, der Schwule kriminalisierte, aus dem Strafgesetzbuch entfernt, die Diskriminierung ging für Homosexuelle und trans Personen aber weiter.

„Bei 50 Jahre Sonntags-Club denke ich auch an die Menschen, die ihn mit gegründet haben, an Peter Rausch und Michael Eggert“, sagt Mehnert. Denn ohne die beiden gäbe es den Ort heute wohl nicht. Zumindest nicht in der heutigen Form. Anfang 1973 gründeten die jungen Schwulen mit weiteren Mitstreiter:innen in Ost-Berlin die HIB, die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin. Sie gilt als Vorläufer des Sonntags-Clubs. Etwas später kamen noch Lesben wie Uschi Sillge und trans Personen dazu. In den 80ern traf man sich sonntags in unterschiedlichen Lokalitäten, der Sonntags-Club war geboren.

Nach der Wiedervereinigung wurde 1990 der Sonntags-Club e.V. gegründet, Räumlichkeiten bezogen und die Beratungen begannen, für die der queere Verein immer noch steht. Heute gibt es acht Festangestellte und zahlreiche Angebote – darunter eine Gruppe für Angehörige von trans Personen, eine für trans, inter und nicht binäre Menschen, eine für schwule Alkoholiker und eine Bi-Gruppe.

Außenansicht des Sonntags-Clubs im Jahr 1997.
Außenansicht des Sonntags-Clubs im Jahr 1997.

© Harry Klein

Und die Gruppen „werden extrem stark besucht“, sagt Stefan Mehnert. Auch die psychosoziale Beratung nehme zu, gerade von trans und nicht-binären Personen. So seien Akut-Beratungen aufgrund der hohen Nachfrage im Sonntags-Club gar nicht mehr möglich. Es reiche nicht, sich schnell mal „Regenbogenhauptstadt“ zu nennen, sagt Stefan Mehnert, der Sozialmanagement studiert hat. Vielmehr bräuchte es dringend mehr Geld und Personal für Beratungen und Therapien.

Akzeptanz ist ein ständiges Thema im Sonntags-Club. Auch untereinander, wenn zum Beispiel ältere schwule Männer permanent trans Personen falsch gendern, erzählt Stefan Mehnert. Geholfen habe ein Gespräch. Die trans Männer „kotzten sich mal so richtig aus“ und erzählten über den beschwerlichen Weg der Namensänderung, der mit zwei psychologischen Gutachten verbunden ist. „Da machte es bei den älteren Schwulen klick“, so Mehnert. Sie stellten fest, die jungen Menschen kämpfen gegen Diskriminierung wie einst sie gegen den Strafparagrafen 175, der in der Bundesrepublik erst 1994 abgeschafft wurde.

Stefan Mehnert erinnert sich auch an schlimme Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit: 2008 musste nach einem Schwelbrand für zwei Monate komplett dichtgemacht werden, im vergangenen Jahr wurde eingebrochen und dann kam noch eine völlig überraschende Mieterhöhung 2019. „Das war ein Schock“, erinnert sich Mehnert. Letztendlich wurde eine Lösung gefunden, auch mithilfe der Antidiskriminierungsstelle. Und dann natürlich Corona. „Das war heftig“, sagt Mehnert. Die Gruppen mussten sich wieder neu finden, Ehrenamtliche für die Bar gefunden werden.

Veranstaltung im Sonntags-Club 1996.
Veranstaltung im Sonntags-Club 1996.

© Sonntags-Club

Als Nächstes stehen erneut Verhandlungen mit dem Vermieter an. In den kommenden Jahren wolle der Verein in der Greifenhagener Straße gerne noch bleiben, auch wenn man bei Veranstaltungen wegen der Lärmproblematik stark eingeschränkt ist. An dieser Stelle dankt Stefan Mehnert den anderen Mieter:innen im Haus, die bisher oft ein Auge zugedrückt hätten, wenn es bei der offenen queeren Bühne oder bei einer ESC-Party mal wieder etwas lauter geworden ist.

Nun also das Jubiläumsjahr. Bisher könne er diesen 50. noch gar nicht richtig genießen, sagt Stefan Mehnert, weil immer so viel zu tun sei. Aber er freue sich auf die Feierlichkeiten, die Ausstellungen, die Doku über den Club. Und zum Schluss plaudert Stefan Mehnert sogar noch ein wenig aus dem Nähkästchen.

In all den Jahren ist er nämlich doch mit der einen oder anderen Bekanntschaft nach Hause geschlendert. So sei der Sonntags-Club natürlich auch ein Ort, um queere Menschen für Abenteuer oder Beziehung kennenzulernen. „Hier sind Partnerschaften entstanden. Obwohl die Hälfte schon wieder auseinander ist“, erzählt er schmunzelnd. Letztendlich spiele sich in der Greifenhagener Straße 28 auch nur das ganze normale Leben ab.

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