zum Hauptinhalt
Dominic Kuc hat das Schul-Ranking initiiert.

© Gazeta Wyborcza Poznań/Agora PL.

Queer in Polen: Wie LGBTIQ-freundliche Schulen Jugendlichen Zuflucht geben

In Polen gibt es ein Ranking der besonders LGBTIQ-freundlichen Schulen. Besuch an einem Warschauer Gymnasium, das seit Jahren in der Spitzengruppe landet.

Von Patricia Friedek

In der Blase sprechen Lehrer:innen ihre Schüler:innen mit den selbstgewählten Namen und Pronomen an. Da hängen Schilder an Toilettentüren, auf denen einfach „WC“ geschrieben steht, wo kein Männchen und kein Symbol vorgibt, wer die Toilette zu nutzen hat. Dort sind Regenbogenfarben auf Tornistern und Spindtüren ganz normal. „In unserer Schule fühle ich mich einfach mal nicht so, als wäre ich schuldig“, sagt Aiden, non-binär und Schüler:in.

Die Blase, das ist ein Gymnasium mitten in Warschau, das Liceum „Bednarska“. Häufig fällt dieses Wort, wenn Lehrer:innen oder Schüler:innen über das Gymnasium sprechen. Sie wissen, dass ihre Schule besonders ist – dass Regenbogensymbole in manchen polnischen Schulen verboten sind, oder das Thema Queer-Sein ganz oft einfach ein Tabu ist.

Das Gymnasium zählt zu den LGBTIQ-freundlichsten Schulen Polens, wie ein aktuelles Ranking unter 20.000 polnischen Schüler:innen ergeben hat, und in Polen für viel mediales und politisches Aufsehen sorgt. Seit fünf Jahren führt Dominik Kuc mit seinem Verein „Growspace“ die Rankings durch – von Schüler:innen, für Schüler:innen, wie er bei einem Gespräch in einem Warschauer Café sagt. In diesem Jahr haben so viele mitgemacht wie noch nie.

Die öffentlichkeitswirksamen Fälle von Selbstmordversuchen unter queeren Jugendlichen in Polen waren der Grund, warum Kuc damals das Ranking initiierte – 70 Prozent der queeren polnischen Jugendlichen denken einer Studie zufolge über Suizid nach. Das Ranking soll queeren Jugendlichen helfen, eine sichere Schule in einem Land zu finden, das von der NGO ILGA Europe dieses Jahr erneut als LGBTIQ-feindlichstes EU-Land eingestuft wurde.

Rechtskonservative machen Stimmung gegen das Ranking

Attacken von Politiker:innen und anderen öffentlichen Personen auf die LGBTIQ-Community haben in Polen zugenommen, seit die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit PiS das Land regiert. Einige Regionen wurden zu „LGBT-Ideologie-freien“ Zonen erklärt. Der Ombudsmann für Kinderrechte, Mikołaj Pawlak, kündigte erst vor wenigen Tagen an, Kontrollen in den vom Ranking als LGBTIQ-freundlich eingestuften Schulen durchzuführen – und begründete sie damit, dass Direktor:innen und Institutionen ihre Mitarbeiter:innen nicht im Pädophilenregister überprüften. Man müsse Kinder vor Kriminellen schützen, sagte er.

Ein Gymnasium in der kleinen Ortschaft Kedzierzyn-Kozle wurde kurz nach Bekanntgabe des Rankings von Mitgliedern der rechtskonservativen Partei Suwerenna Polska (Souveränes Polen) attackiert. Sie veranstalteten eine Konferenz an der Schule, bei der sie Schilder mit Sätzen wie „Die Schule soll lehren, nicht verderben“ und „NEIN zu LGBT in Schulen“ hochhielten.

Wie also sieht so eine queer-freundliche Schule aus? Und wie hält sie den Anfeindungen, den Herausforderungen stand? Die Direktorin der „Bednarska“, Wanda Łuczak, empfängt in bunten Flatterkleidern in ihrem Büro. „Das war immer eine offene Schule für alle“, sagt sie. „Wir sind einfach bunt – und das haben wir uns nicht von einem Tag auf den anderen überlegt, wir sind es einfach.“ Und doch sei das Thema LGBTIQ auch an ihrem Gymnasium in den vergangenen Jahren größer geworden – und das Interesse an Plätzen an der Schule gestiegen.

Der erste Hinweis darauf, dass es sich hier um eine queerfreundliche Schule handelt, befindet sich direkt neben dem Eingangsbereich und ist fast unsichtbar. Die Toilettentüren sind frei von jeglichen Geschlechtersymbolen, dort steht einfach nur „WC“ geschrieben.

„Das ist eine ganz kleine Sache – aber sie ist unglaublich wichtig für viele LGBTIQ-Personen. Aus Gesprächen mit ihnen wissen wir, dass das Nutzen einer Toilette großen Stress und große Probleme für manche von ihnen bedeutet.“ Und dann gibt es die Regenbogensymbole, die auf den Spinden kleben – auf denen der Schüler:innen und der Lehrer:innen. In der Mensa hängt eine riesige Fahne, in Regenbogen- und Trans-Farben.

Die Progress Flag in einem Raum des Liceum „Bednarska“.

© Patricia Friedek

An einigen Schulen, sagt Dominik Kuc, seien Rucksäcke und Gadgets in Regenbogenfarben verboten. Besonders in Schulen, die zu den „LGBT-Ideologiefreien Zonen“ gehören. Einige Kommunen und Regionalparlamente führten ab 2019 eine „Resolution gegen die LGBT-Ideologie“ ein, um die „christlichen und traditionellen Werte der Nation“ zu wahren.

Dort sind zum Beispiel Protestmärsche und andere Veranstaltungen der queeren Community verboten. Es sind vor allem kleinere, ländlichere Orte, die sich zu solchen Zonen erklärt haben – Großstädte wie Warschau oder Danzig gelten dagegen als sichere Inseln, auf denen viele queere Personen Zuflucht finden. Wobei sie auch hier nicht vor Diskriminierung sicher sind.

Jenseits der Flaggen und Sticker ist Queer-Freundlichkeit an der „Bednarska“ etwas, was man nicht sehen kann. Das wird deutlich, wenn Aiden Rusek über Erfahrungen als non-binäre Schüler:in spricht. Aiden benutzt weibliche Pronomen, weil die non-binären polnischen Varianten ihr nicht gefallen.

Aiden ist non-binär und geht aufs Liceum „Bednarska“.

© Patricia Friedek

Sie ist in fröhlichen Farben gekleidet und trägt eine orange Kurzhaarfrisur, wirkt selbstbewusst. „Das war nicht immer so, ich habe früher eine katholische Schule besucht und trug einen langen, geflochtenen Zopf. Danach habe ich mich fast nur schwarz angezogen, trug schwarzen Kajal und Plateauschuhe.“ Aiden schaut an sich herunter. „Später habe ich gemerkt, dass ich hier aussehen kann, wie ich will. Jetzt kleide ich mich eher wie ein Hippie.“

Den Eltern gegenüber hat Aiden sich geoutet, weil sie wusste, dass es in der Schule Unterstützung geben würde. „Hier sind die Lehrer:innen unsere Partner:innen. Sie sprechen uns bei den Namen und Pronomen an, die wir gewählt haben.“ Besonders die schulpsychologische Hilfe und die Unterstützung eines Lehrers haben Aiden beim Coming-out geholfen. Der Lehrer habe sich immer Zeit genommen und ihr gut zugeredet. Als sie mit dem Thema zu einer Schulpsychologin ging, habe ihre Mutter am nächsten Tag ein Schreiben der Schule erhalten, wo sie im Zusammenhang mit dem Thema LGBTIQ Hilfe finden könne. „Mein Coming-out ist sehr gut ausgegangen“, sagt Aiden.

Das Zimmer, in dem die Schulpsycholog:innen mit ihren Schüler:innen sprechen, liegt im Untergeschoss, niemand kann hineinschauen. Es ist in hellen Grüntönen gehalten und mit warmem Licht beleuchtet, auf der Fensterbank blühen Zimmerpflanzen. Es ist der Arbeitsplatz von Maria Snarska. Hier redet sie mit vielen Jugendlichen unter anderem darüber, wie sie ein Coming-out durchstehen.

Wir sind einfach bunt – und das haben wir uns nicht von einem Tag auf den anderen überlegt, wir sind es einfach.

Schuldirektorin Wanda Łuczak

„Ich schätze, dass etwa 40 Prozent der Schüler:innen zu mir kommen, um über ihre Identität zu sprechen.“ Vor allem für Kinder von Eltern aus besonders katholischen oder konservativen Familien sei das Coming-out eine Herausforderung und ein Prozess, der Jahre dauern kann. „Es gibt ängstliche Eltern, die eher im katholischen Denken verankert sind. Manchmal ist es so extrem, dass sie ihr Kind von hier wegnehmen wollen – sie glauben, dass unsere Schule Schaden anrichten könnte, nur weil sie offen ist.“

Für sie als ausgebildete Psychologin ist die Arbeit an der Schule sehr lehrreich, aber auch herausfordernd, sagt sie. „Ich denke, ein Bereich, in dem ich immer noch ständig dazulerne, ist Transgeschlechtlichkeit. Ich lerne, wie ich die Schüler:innen unterstützen kann, wie ich sie nicht unter Druck setze.“ Es gebe derzeit eine Tendenz, Transidentität auf eine sehr affirmative Art und Weise anzugehen. „Ich bin sehr dafür, das Kind zu begleiten, seine Bedürfnisse zu verfolgen und zu sehen, was in ihm vorgeht, aber auch ruhig und aufmerksam zu sein.“

Die Menschen, die hier arbeiten, wirken taff

Auch wenn die „Bednarska“ aufgrund ihrer Offenheit für Minderheiten und ihrem Lehrstil sowieso seit Jahren als Experiment in der Schullandschaft gelte, wie Lehrer und Vize-Schuldirektor Barto Pielak sagt, und sich dadurch eine gewisse Autorität in Warschau erkämpft habe, bleibe sie vor Angriffen aus der Gesellschaft dennoch nicht verschont. Bei einem Tag der offenen Tür kamen Eltern, die Schüler:innen fragten, ob man sie hier zu Lesben und Schwulen konvertiere.

Einmal veranstaltete die Schule eine „Polonaise der Gleichberechtigung“ auf dem Abschlussball und lud dazu ein Video auf YouTube hoch, auf dem Jungs mit Jungs und Mädchen mit Mädchen tanzten. Das Video erntete viele homophobe Kommentare. „Das war für uns nichts Neues“, sagt Schuldirektorin Wanda Łuczak mit einem Schulterzucken. Die Kommentare sind inzwischen gelöscht, geblieben sind die, in denen die Schule für die Aktion gelobt wird.

Die Menschen, die hier arbeiten, wirken taff. „Unsere Kollegen, unsere jungen Leute, unsere Eltern, unsere Absolventen, das ist unsere kleine Welt, in der das meiste passiert – und was draußen passiert, ist für uns zweitrangig“, sagt Barto Pielak. Und doch muss er sich der Kritik von außen stellen.

Lehrer und Vizedirektor Barto Pielak.

© Patricia Friedek

„Leute aus meinem Freundeskreis fragen mich oft: Wie ist es möglich, dass du das zulässt? Dass ich zum Beispiel die Regenbogen-Gemeinschaft fördere, ob ich wisse, in welchem Land ich lebe.“ Er versuche dann, in den Dialog zu treten und zu erklären. „Das ist etwas, was ich an dieser Schule gelernt habe, dass man auch Unterhaltungen über schwierige Dinge führen muss.“

Selbst für Schulen wie die Bednarska, die nicht in öffentlicher Hand liegen, könnte es bald schwieriger werden, ihre Antidiskriminierungsarbeit fortzuführen. Die PiS strebt eine Nouvelle des Bildungsgesetzes an, das die Zusammenarbeit von Schulen und Organisationen erschweren würde.

Und schon jetzt haben die Versuche, es einzuführen, Wirkung gezeigt, ist Dominik Kuc überzeugt: Weniger Schulen aus kleinen Ortschaften – die häufig PiS-dominiert sind – wurden als LGBTIQ-freundliche Schule nominiert. In diesem Jahr waren lediglich zwei kleine Orte im Ranking vertreten.

Sowohl Dominik Kuc als auch viele Menschen von der Bednarska hoffen, dass die PiS es bis zu den Wahlen nicht mehr schafft, das Gesetz durchzubringen – und die Regierung in diesem Herbst abgewählt wird. Jugendliche wie Aiden haben die Hoffnung auf bessere Zeiten schon aufgegeben, sie glauben nicht mal daran, dass die Opposition ihre Lage verbessern würde.

„Es bringt nichts, gegen Windmühlen zu kämpfen. Ich werde zum Studieren auf jeden Fall ins Ausland gehen – und ich weiß nicht, ob ich je nach Polen zurückkehre“, sagt Aiden. Erst kürzlich habe sie sich mit ehemaligen Mitschüler:innen getroffen. „Keiner von denen bleibt in Polen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false