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Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung.

© IMAGO/Christian Spicker

Queer-Beauftragter zu den Attacken auf die Europride: „Das Krasseste, was ich jemals in Sachen CSD erlebt habe“

Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, übt nach der Europride in Belgrad heftige Kritik an der serbischen Regierung - und würdigt den Mut der Aktivisten.

Sven Lehmann (Grüne) ist Queer-Beauftragter der Bundesregierung im Familienministerium. Am Wochenende nahm er an der Europride in Belgrad teil.

Die Europride-Demo fand unter massiven Gegenprotesten und mit einem großen Polizeiaufgebot statt. Sie waren selber bei der Parade, wie haben Sie sie erlebt?
Das war das Krasseste, was ich jemals in Sachen Pride und CSD erlebt habe. Man kennt die Pride- Demonstrationen ja als bunte, fröhliche Paraden. Hier hing tagelang eine große Anspannung über der ganzen Veranstaltung. Die Parade war als solche massiv durch Polizei geschützt. Trotzdem wurde sie von außen angegriffen. Menschen standen am Straßenrand, haben uns Kreuze entgegengehalten und nationalistische Parolen gebrüllt. Das zeigt, unter welchem enormen Druck die Community in Serbien jeden Tag steht.

Es gab nach der Parade brutale Attacken gegen Demonstrierende. Aktivist*innen aus Albanien mussten nach einem Überfall von Rechtsextremisten ins Krankenhaus, auch eine Tagesspiegel-Kollegin wurde niedergeschlagen. Wird die Bundesregierung auf diese Übergriffe reagieren?
Die Bundesregierung war durch mich vor Ort präsent, auch die Deutsche Botschaft hat Hilfe und Unterstützung angeboten. Wichtig ist, dass die serbische Polizei und die serbische Regierung hier in der Verantwortung stehen aufzuklären wie es zu diesen brutalen Angriffen kommen konnte.  

Wurden Sie ebenfalls physisch bedroht?
Zu Beginn der Demonstration gab es eine besonders brenzlige Situation. Die Mitglieder der europäischen Diplomatie hatten sich gemeinsam versammelt. So war beispielsweise mein Kollege Fabrizio Petri dabei, der Queerbeauftragte Italiens.

Wir wurden massiv von einer Horde aggressiver, nationalistischer Hooligans angegangen, die die Polizeiabsperrung durchbrechen wollten. Die Polizei hat uns dann eingekesselt. Wir kamen eine Stunde nicht vorwärts. Letztlich hat die Polizei die Gegendemonstranten davon abgehalten, uns anzugreifen. Aber das war sehr bedrohlich.

Ein massives Polizeiaufgebot auf dem Europride.

© AFP / OLIVER BUNIC

Schon im Vorfeld haben Rechtsextreme und Ultra-Religiöse gegen die Pride mobil gemacht, in den serbischen Medien wurde ebenfalls dagegen polemisiert. Wie haben Sie insgesamt die Stimmung in der Stadt in den Tagen wahrgenommen?
Es war eine merkwürdige Mischung aus angespannt und sehr entschlossen. Ich habe viele Veranstaltungen besucht, mit Aktivist*innen gesprochen. Überall gab es ein Polizeiaufgebot. Letztlich ist es nur der Entschlossenheit und dem Mut der serbischen queeren Community zu verdanken, dass die Pride überhaupt stattgefunden hat – und auch der Solidarität aus Europa. Das ist meiner Meinung nach ein großer Erfolg. Wir haben uns nicht einschüchtern lassen.

Serbien hat bewusst eine Chance verpasst.

Sven Lehmann

Die serbische Regierung hat mit allen Mitteln versucht die Demonstration zu verhindern und erst in allerletzter Minute und nach langem Hin und Her grünes Licht gegeben. Wie bewerten Sie das Agieren Serbiens?
Dieser Schlingerkurs der letzten Wochen, als sich sowohl der Präsident als auch Teile der Regierung wie der Innenminister von Rechtsextremisten und orthodoxen Klerikalen haben treiben lassen, hat sicherlich viele erst dazu ermutigt, die Parade anzugreifen.

Serbien hat bewusst eine Chance verpasst – die Chance, zu zeigen, dass die Regierung klar und unverrückbar auf der Seite von Versammlungsfreiheit und Menschenrechten steht. Da hat die Regierung kein gutes Bild abgegeben.

Eigentlich war die Pride ja seit langem genehmigt.
Genau. Das hatte die serbische Premierministerin in einem Letter of Intent bei der Bewerbung für die EuroPride an das Organisationsteam zugesagt. Man muss es so klar sagen: Die serbische Regierung hat agiert, wie man es von einem Rechtsstaat eben nicht erwartet. Das wirft auf sie ein dunkles Licht. Sie hat damit auch ihrem eigenen Willen, der EU beizutreten, einen Bärendienst erwiesen.

Haben Sie und andere EU-Vertreter*innen versucht auf die Regierung einzuwirken?
Es gab massiven politischen und diplomatischen Druck. Wir europäischen Abgeordneten, die Botschaften und die EU-Kommissarin für Gleichstellung haben sich am Samstagmorgen untergehakt und gesagt: Wenn der Schutz der Parade nicht gewährleistet wird, boykottieren wir den Empfang, den die Premierministerin kurz vor der Demonstration geben wollte.

Dann gab es wenige Stunden vor Beginn grünes Licht – wobei ich es sehr befremdlich fand, dass der Innenminister und der Präsident in den Medien dennoch kommuniziert haben, es handele sich gar nicht um die Pride, sondern nur um einen Geleitzug zu einem Konzert.

Was haben Sie von den Treffen mit der Zivilgesellschaft mitgenommen?
Ich war selten so bewegt und beeindruckt vom Mut einzelner Menschen, die wirklich tagtäglich kämpfen müssen. Sie sind jeden Tag in Gefahr und trotzdem so stark und aufrecht. Sie haben beschrieben, dass sie trotz aller Anfeindungen versuchen, Einfluss zu nehmen auf die Gesetzgebung.

Es gibt auch im Kabinett der serbischen Regierung Gesetzentwürfe zur rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder zur Anerkennung von trans* und intergeschlechtlichenn Menschen. Aber es ist zäh und unklar, ob diese Gesetze beschlossen werden. Und die Menschen vor Ort haben eine Botschaft an uns.

Die Zivilgesellschaft sagt: Wir brauchen eure Aufmerksamkeit.

Sven Lehmann

Welche?
Der Blick der serbischen demokratischen Zivilgesellschaft ist auf Europa und auch auf Deutschland gerichtet. Die sagen ganz klar: Wir brauchen eure Aufmerksamkeit, wir brauchen eure Unterstützung. Ohne Europa schaffen wir das hier nicht alleine. Gerade nach der Europride.

Serbien will in die EU und erhält bereits Milliarden Euro an Fördermitteln aus Brüssel. Vor dem Hintergrund der Ereignisse beim Europride und umso mehr vor dem Hintergrund, dass sich Serbiens Präsident immer mehr Russland annähert – können Zahlungen an Serbien noch gerechtfertigt werden?
Serbien ist EU-Beitrittskandidat und wie alle Beitrittskandidaten bekommt Serbien Unterstützung auf dem Weg in die EU. Serbien wird fortlaufend durch die EU-Kommission begutachtet. Noch in diesem Jahr wird es den nächsten Länderbericht geben. Da wird es sehr stark um Rechtstaatlichkeit und Minderheitenrechte gehen.

Ich kann den Impuls verstehen, dass man nach diesen Ereignissen Mittel kürzen möchte. Aber man muss wissen: Man trifft damit vor allem die demokratische Zivilgesellschaft im Land. Das wurde uns vor Ort ganz klar vermittelt: Auch sie bekommen Mittel, um sich zu vernetzen, um Strukturen aufzubauen. Deswegen haben gerade die demokratischen Teile der serbischen Gesellschaft große Angst, dass sich die EU aus Serbien zurückzieht.

Die Europride-Demo am Samstag in Belgrad. Gerade die die demokratischen Teile der serbischen Gesellschaft große Angst, dass sich die EU aus Serbien zurückzieht, sagt Sven Lehmann.

© AFP / OLIVER BUNIC

Auch EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn und Polen beschneiden die Rechte der LGBTIQ-Community. Die EU wirkt dabei letztlich oft hilflos. Teilen Sie diesen Eindruck?
Es gibt dort massive Rückschritte. Das Muster ist immer ähnlich: Rechtsnationale Regierungen verbünden sich mit Teilen der orthodoxen oder katholischen Kirche und machen dann Stimmung gegen Minderheiten. Ich finde aber nicht, dass die EU hilflos ist.

Warum nicht?
Die EU hat dieses Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Der Grund war tatsächlich das ungarische Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit. Ich hoffe, dass dieses Verfahren erfolgreich sein wird. Und dann gibt es den sehr neuen Vorstoß der EU-Kommission, Zahlungen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt an Ungarn zu kürzen, wegen der Missachtung von rechtsstaatlichen Prinzipien.

Außenministerin Annalena Baerbock, Ihre Parteikollegin, vertritt eine wertegeleitete Außenpolitik. Inwieweit sind Sie als Queer-Beauftragter der Bundesregierung auch beim Außenamt eingebunden?
Mein Auftrag ist, insbesondere innenpolitisch zu wirken. Aber natürlich ist Menschenrechtspolitik nicht allein national denkbar. Es gibt ein LSBTI-Inklusionskonzept, das gerade im Auswärtigen Amt und im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird. Und ich kann natürlich den Fokus auf bestimmte Themen setzen, wie zum Beispiel auf LSBTIQ* beim geplanten Aufnahmeprogramm für Afghanistan.

Wie sieht das internationale Inklusionskonzept aus?
Ziel ist eine strukturell nachhaltige Unterstützung der internationalen zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsarbeit für LSBTIQ*, insbesondere auch durch die finanzielle Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Menschenrechtsverteidiger*innen vor Ort. Die LSBTIQ*-Organisation Equal Rights Association auf dem Balkan wird zum Beispiel vom Auswärtigen Amt gefördert. Es ist sehr wichtig, dass das ausgebaut wird.

Es tut sich insgesamt sehr viel. Die USA haben ein solches Programm schon länger, Frankreich hat eines angekündigt. Frankreich will jetzt übrigens auch einen Queer-Beauftragten einsetzen. Man muss sich immer klar machen: Queere Menschen verteidigen nicht nur ihre eigene Lebensweise – sondern unsere gemeinsamen Werte von gleichen Rechten und offener Gesellschaft.

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