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Mad Kate bringt den queeren Underground auf die Bühne.

© Guilles Chipironet, Gorki Theater

„Pugs in Love“ im Gorki Theater: Die queere Welt von morgen

Das Festival „Pugs in Love“ im Berliner Gorki Theater träumt von einer Zukunft, in der Sex und Gender keine Rolle mehr spielen.

In gewisser Hinsicht, findet der Regisseur Yony Leyser, ähnelt seine Entwicklung derjenigen, die auch Berlin in den vergangenen zehn Jahren durchlaufen hat. „Als ich herzog, war ich ein radikaler Punk-Anarchist. Und jetzt betreibe ich den künstlerischen Ausverkauf.“ Letzteres sagt der 34-jährige Amerikaner lachend, und so ganz ernst nehmen sollte man’s auch nicht. Klar, die Stadt mag braver, angepasster, gentrifizierter sein. Aber die Performance „W(a)rm Holes“, die Leyser gerade im Studio des Gorki Theaters probt, zum Auftakt des queeren Festivals „Pugs in Love“, geht nicht gerade als Kommerzware durch. Auch wenn der Regisseur mit Zazie de Paris einen Star der Peter-Zadek-Ära an Bord hat.

Auf der kleinen Bühne des Studios sind Boxen aus Vorhangstreifen gespannt, in die sich die Performerinnen und Performer Bondage-mäßig eindrehen, hinter denen sie sich tanzend in Ekstase schrauben, oder aus denen sie hervortreten, um hörbar zu werden am Mikrofon. Mit Erinnerungen daran, was sie nach Berlin getrieben hat. Oder mit Entwürfen der queeren Welt von morgen. Das Licht beschwört Club-Atmosphäre, energetische Elektrobeats ballen sich zur Soundcloud, die mal sehnsüchtig, mal befeuernd über den Akteurinnen und Akteuren niedergewittert.

Die Komposition stammt vom Berliner Duo Hyenaz, bestehend aus Adrienne Teicher und Kathryn Fischer, aka Mad Kate. Die beiden sind auch Teil des „W(a)rm Holes“-Ensembles. Hyenaz ist ein Grenzauflösungs-Projekt, es torpediert die Trennlinien zwischen Musik und Performance, zwischen den Geschlechtern und Schubladen. Ihren Song „Binaries“ nannte das Vice-Magazin mal so schön „ein großes lila Fuck You an die Mike Pences dieser Welt“. Leute also, die ihr Weltbild aus dem Alten Testament beziehen.

Es gibt nie die eine Szene oder Community

Für Mad Kate, die nach der Probe neben Yony Leyser auf der Foyer-Couch im Studio sitzt, ist „W(a)rm Holes“ auch ein Versuch, „Underground ins Theater zu bringen“. Inspiriert von Sex-Performances, wie man sie im Insomnia erleben kann, von Drag-Shows, von Kunst in queeren Bars. Soweit das Work-in-Progress erkennen lässt, geht das ziemlich glänzend auf (wobei man sich das Stück auch nicht zu explizit vorstellen sollte). Eine Inspiration, erzählt Leyser, war das Buch „In a Queer Time und Place“ von Jack J. Halberstam. Der schlägt darin eine Welt vor, die nicht von der familiären Generationenfolge geprägt wird, sondern Freiräume öffnet für das Ineinanderfallen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Für Zeitreisen, wie sie auch Leysers Inszenierung anbietet.

Der Künstler aus Chicago ist eigentlich Filmemacher, „W(a)rm Holes“ führt ihn als Regisseur erstmals ans Theater. Er hat zuvor unter anderem die autobiographisch gefärbte Odyssee durchs queere Berliner Nachtleben „Desire will set you free“ gedreht, auch die Dokumentation „Queercore – How to punk a revolution“, die höchst erhellend eine Musikszene durchleuchtete, die in Opposition zu dem entstand, was Punk auch sein kann: rechts und toxisch männlich.

Es gibt eben nie die eine Szene oder Community. Dafür steht die gesamte Queer-Week „Pugs in Love“ (12. bis 15. Juni), die ein erfreulich breit gefächertes Spektrum an Arbeiten verspricht. Schauspielerin Mareike Beykirch zappt sich in „Androiden aus Mitteldeutschland“ auf der Suche nach alternativen Lebens- und Liebesformen durch die Kunstgattungen; Isabella Sedlak und Ensemble befragen in „From Hell with Love“ dämonisierte Figuren zwischen Mephisto und arabischem Gangster; auf „Sidewalks“ führen Zeitzeuginnen durch ihre Berliner Leben.

Reizthema "Political Correctness"

Für queere Diversität steht nicht zuletzt auch das Ensemble, das Leyser für sein Theaterdebüt gewonnen hat. Verschiedene Herkünfte, verschiedene Identitäten und Generationen treffen da aufeinander. Auch ganz eigene Kämpfe. Hinter einer Zazie de Paris, erzählt der Regisseur, liege etwa der harte Weg, eine trans Frau zu werden, „als das noch nicht mal ein Begriff war“. Inklusive Hormoneinnahme und gefährlichen Operationen. Und heute spielt sie zusammen mit Menschen, die sich als nicht-binär bezeichnen, „und die Gesellschaft akzeptiert das“. Aber trotz aller Unterschiede, das ist Leyser wichtig zu betonen, „respektieren sich alle gegenseitig, der Zusammenhalt ist großartig“.

Klar, jenseits des Theaters gibt es sie nicht selten, die Grabenkämpfe zwischen den queeren Szenen. Befeuert von Social-Media-Anwürfen, die sowohl Kate als auch Leyser für ein Grundübel halten. Oder von einem Buch wie „Beißreflexe“, herausgegeben von Patsy l’Amour laLove, das für harte Kontroversen gesorgt hat - mit seinen Attacken gegen „Sprechverbote“, die bestimmte queere Aktivistinnen und Aktivisten erteilen wollten, gegen eine vermeintliche PC-Polizei.

Yony Leyser
Yony Leyser

© Guilles Chipironet, Gorki Theater

Die „Political Correctness“ greift in „W(a)rm Holes“ eine Figur auf, die Kate spielt. Das Reizthema war ihr wichtig, weil es „von rechts wie von links aufkommt“. Und Probleme beschwöre, die keine seien: „Wenn ein Mensch Lisa genannt werden will, nennst du ihn Lisa. Wenn jemand ein Mann sein will, akzeptierst du ihn als Mann.“ Sprache verändere sich eben. Begriffe wandeln sich.

Was auch für „queer“ gilt. Eigentlich, ist Leyser überzeugt, bestehe doch die Sehnsucht nach „post queer“. Nach einer Gesellschaft, in der Sexualität und Gender keine Rolle mehr spielten. Allerdings sieht es danach nicht aus in Zeiten, in denen der Wind von rechts schärfer wird. In denen man sich – ein Gedankenspiel auch in „W(a)rm Holes“ – sogar einen schwulen faschistischen Despoten an der Macht vorstellen könnte.

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Yony Leyser, dessen Großeltern väterlicherseits Berliner Juden waren - die einzigen Familienmitglieder, die den Nazis entkamen -, ist 2010 nach Berlin gezogen. Er war geradezu baff, wie links, wie bewusst im Umgang mit der Nazivergangenheit alle waren, die er traf. Heute, sagt er, sei das nicht mehr so. Mad Kate, die seit 2004 in der Stadt lebt, gibt ihm recht: „Die Vergangenheit kehrt wieder, in verschiedenen Gestalten.“ Woraus für sie als Künstlerin folge: „Was ich mache, muss eine politische Bedeutung haben. Sonst ergibt es keinen Sinn.“ Gorki Studio, Premiere „W(a)rm Holes“: Mittwoch, 12. Juni, 21 Uhr. Konzert Hyenaz: Sonntag, 15. Juni, 21 Uhr.

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